zum Hauptinhalt
Yorckstraße in Kreuzberg und Schöneberg: Verschönerung erwünscht: Der Mittelstreifen der Yorckstraße ist zwar grün - doch ziemlich verwahrlost.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Lebensadern (10): Yorckstraße: Vor fünf im Urwald

Straßen erzählen Geschichten. Stadtgeschichten, Kiezgeschichten, Lebensgeschichten. In unserer Serie folgen wir den Lebensadern Berlins. Die Yorckstraße verbindet Schöneberg mit Kreuzberg und lebt vom ständigen Vergehen.

Aber nach hinten ist es ganz ruhig.“ Die Beteuerung des Vormieters hat uns zunächst nicht ganz überzeugt, als wir vor dem Haus standen. Um uns brauste der Durchgangsverkehr, statt Vogelzwitschern gab es Autohupen, der Blick ging auf den verwahrlosten Mittelstreifen, den zu verschönern immer wieder verzweifelte Anstrengungen unternommen werden, umsonst: Er ist und bleibt ein Hundeklo. Doch wenn nachts der Verkehr schweigt, spaziert hier gern der Fuchs über die Straße, ein räudiges Vieh, das bessere Zeiten gesehen hat. Nie ist es schöner als morgens um fünf.

Die Yorckstraße: Zwitterwesen, Brückenschlag. Halb in Schöneberg, halb in Kreuzberg, auf der einen Seite Industriedenkmal mit über zwanzig historischen Eisenbahnbrücken, auf der anderen Seite die schicken Restaurants um das einzigartige Gründerzeit-Quartier Riehmers Hofgarten. Und dazwischen: unsere schräge Zeile. Die es gar nicht hätte geben dürfen, wäre es nach Plänen des Berliner Stadtbaumeisters James Hobrecht gegangen. Und die doch, im Kern, so Kreuzberg ist, wie es nur geht. Ständig in Veränderung. Unglaublich beständig.

Wäre es nach Hobrechts Plänen gegangen, hätte die Yorckstraße eine gerade Verbindung zwischen Ost und West gebildet, vom Mehringdamm, ehemals BelleAlliance-Straße, bis zur Potsdamer Straße. Sie wäre dort verlaufen, wo heute die Hornstraße eine der schönsten Berliner Sackgassen bildet, hätte das Gleisdreieck gequert und sich auf der anderen Seite mit der Bülowstraße vereinigt, als Teil des „Generalszugs“, den Peter Joseph Lenné hier geplant hatte, ausgehend von der Gneisenaustraße über Yorck- und Bülowstraße bis zur Kleiststraße. Der Namensgeber der Yorckstraße ist übrigens Ludwig Yorck von Wartenburg, der „alte Isegrimm“, ein Held der Befreiungskriege gegen Napoleon.

Allein, Generalszug hin oder her: Die Bahn war schneller. Errichtete auf dem Gleisdreieck ein wucherndes Schienenlabyrinth, ausgehend von den Kopfbahnhöfen der Berlin-Anhaltinischen und der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahngesellschaft – auf dem Bebauungsplan von 1891 dehnen die Schienenbetten sich wie Muskelstränge. Die Yorckstraße musste nach Süden abknicken, unter den Brücken hindurch, um dann als Goeben- und Bülowstraße wieder zur ursprünglichen Höhe zurückzukehren.

Die Straße und die Bahn: Das bleibt eine Hassliebe. Noch heute ruft der Umgang mit den Yorckbrücken heftige Diskussionen hervor. Die Bahn nutzt, mit den S-Bahnlinien S1 und S2, nur noch die wenigsten, baut sich lieber wuchtige neue Betonbrücken für ihre ICE-Strecke, statt die denkmalgeschützten historischen Eisenkonstruktionen zu sanieren. Sie rotten weiter vor sich hin, halblegale Fußgängerüberwege für diejenigen, die sich auf dem verwilderten Gleisdreieck verirren. Doch seit auf dem nördlich der Yorckstraße gelegenen Teil ein Landschaftspark entsteht, als Ausgleichsfläche für den Potsdamer Platz, ist Schluss mit der Unkrautromantik. Auf dem Gelände des ehemaligen Wohnmagazins Exil ist ein neues Wohnquartier geplant.

Industrieromantik gibt es noch genug unter den Yorckbrücken. Das leise Tropfen von Regenwasser, das den Gang durch den dunklen Tunnel begleitet, die Graffiti-Poesie, die Parolen verkündet wie „Wir wollen nicht ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei“, oder „Keine Rinderzucht auf Regenwäldern. Boykottiert McBurger“. Die Kneipen heißen hier Ess-Station, passend zur S-Bahn, oder Zum Umsteiger, ein Klassiker. Endlos kann der Weg unter den Brücken hindurch erscheinen, nachts, wenn nur ab und zu ein Scheinwerfer die Strecke erhellt. Doch am Ende des Tunnels wartet das Licht. Und das bunte Leben.

Welche Straße hat das schon? Brücken, die nach ihr heißen. Gleich zwei S-BahnStationen. Und ein eigenes Schloss. Auch wenn es im Fall der Yorckstraße nur ein Schlösschen ist, eine Jazzkneipe eigentlich, samt Biergarten. Das Yorckschlösschen ist ein Oldtimer unter den Jazzkneipen, eine Legende, und am allerschönsten ist es hier Heiligabend, wenn nach 22 Uhr die Feiermüden und Musikwachen eintrudeln, zur stundenlangen Jam-Session. Der Schlagzeuger Gerhard Tenzer kommt dann zum Beispiel, mit Udo-Lindenberg-Hut, und nimmt das Mikro in die Hand – am Tage ist er Maler, hat den Wirt vom Rat Pack verewigt und dem Landkost-Laden, bei dem wir uns mit Käse und Wurst eindecken, eine monumentale Kuh an die Wand gemalt.

Das Rat Pack, die Whisky-Bar, ist auch so eine Community. Doch das Enzian, das Traditionslokal, wo Wirt Norbert Hähnel, wenn er Lust dazu hatte, als „wahrer Heino“ auftrat, hat leider geschlossen, die Miete war zu hoch. Der Laden steht immer noch leer, Müll und Kot liegen vor der Tür, es hat auch schon mal gebrannt.

Ja, das ist typisch für die Yorckstraße. Läden eröffnen, Läden schließen. Von der Vergangenheit als Automeile künden Leuchtkästen an den Fassaden: YorckFahrschule (steht leer). Autobedarf Yorckstraße (hält sich tapfer). Autoteile Walter Karge (wurde zwischenzeitlich der beliebte Szenetreff Terry Explosion. Nun ist der auch schon wieder zu). Wessen Auto am Knick der Yorckstraße gerade von unaufmerksamen Geradeausbrausern zu Schrott gefahren wurde – da darf man nicht parken, außer, man will sein Auto loswerden, sagen die Anwohner dann nachher gern –, der muss notgedrungen zu Auto-Teile Unger gehen.

Kreuzberger Philosophie: Es geht immer abwärts. Und bleibt, wie es ist. Die Alteingesessenen, die es noch gibt, hadern mit den neuen Eigentümern und neuen Läden und werden immer weniger, ziehen weg, bald wird keiner mehr erzählen können vom Leben, wie es war in den Siebzigern, von den vielen Hilfsjobs, den Festen. Klar, das Yorck-Records hält sich noch, an schönen Tagen sitzt die ganze Truppe vor der Tür, raucht, trinkt und diskutiert. Unvergessen ein lauer Abend, wir auf dem Balkon darüber wurden unfreiwillige Zeugen einer nicht enden wollenden Diskussion über Tarantino – das war filmreif.

A propos: Quentin Tarantino war auch schon da, während der Dreharbeiten zu „Inglourious Basterds“. Wurde in Riehmers Hofgarten gesichtet, im edlen Italiener Bar Centrale, in der Osteria Nr. 1 in der Kreuzbergstraße. Und Til Schweiger soll sich in der Yorckstraße eingekauft haben, heißt es gerüchteweise. Lofts sind entstanden, wo vor Jahren noch die Hausbesetzer von Yorck59 ums Bleiberecht kämpften und dann doch 2005 von der Polizei vertrieben wurden, um im Anschluss Christoph Tannert im Künstlerhaus Bethanien auf die Nerven zu gehen – „Yorck59 muss bleiben“ war noch jahrelang danach, wie zum Trotz, auf den Yorckbrücken zu lesen.

Neulich übrigens wurde der Fuchs gesehen, wie er brav an der roten Ampel gewartet hat, am hellichten Tag. Sind auch nicht mehr so wild wie einst, die Wilden von der Yorckstraße. Für uns immer noch wild genug.

Bisher erschienen: Oranienstraße (13. 7.), Motzstraße (16. 7.), Schiffbauerdamm (20. 7.), Bergmannstraße (23. 7.), MartinLuther-Straße (27. 7.), Sybelstraße (30. 7.), Immanuelkirchstraße (3. 8.), Schillerpromenade (6. 8.), Edisonstraße (10.8.)

Christina Tilmann

Zur Startseite