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Tonsetzerin. Komponistin Malin Bång lebt in Stockholm, ein Jahr wohnte sie als Stipendiatin in Berlin.

© Promo/Falkuggla

Berliner Festival für Neue Musik: Die Rummelsburger Bucht belauschen

Beim Ultraschall Festival erforschen Komponistin Malin Bång und Architektin Anna Kubelík den Klang von Berliner Objekten.

Anna Kubelík musste erst ein mal lernen, wie man Drachen baut. Mehrere Tage hintereinander, so erzählt die Architektin, Künstlerin, Bühnengestalterin und Schauspielerin in ihrem Hinterhofatelier in der Neuköllner Donaustraße, pilgerte sie zum Schöneberger Drachenladen „Flying Colors“, um sich von erfahrenen Drachenkonstrukteuren erklären zu lassen, wie man ein solches Ungetüm möglichst authentisch nachbaut. Denn handelsübliche Drachen sind auf deutschen Bühnen wegen der verwendeten Materialien unerwünscht: B1-Norm. Feuergefahr! Doch was hat ein Lenkdrachen überhaupt in einem Konzert zu suchen?

Das kann uns Malin Bång erklären, die aus Stockholm anruft. Der 1974 geborenen schwedischen Komponistin ist nämlich das Porträtkonzert des morgen beginnenden Ultraschall-Festivals gewidmet, auf das sich Kubelík so akribisch vorbereitet. Wobei der Drache nicht nur als Requisit und Ausstellungsobjekt mitspielen soll, sondern auch als Musikinstrument.

Alltagsgegenständen und aufgefundenen Objekten Töne zu entlocken und sie mit den Klängen traditioneller Instrumente zu kombinieren, ist nämlich eine wichtige Facette ihrer musikalischen Sprache, erfahren wir von der Komponistin. Wobei der Drache in diesem Konzert einen deutlichen Berliner Akzent mit einbringt: Er ist eines von vier „Berlin Objects“ mit denen Malin Bång in ihrer neusten Komposition die Atmosphäre der Stadt reflektiert – in diesem Fall das Tempelhofer Feld, wo jährlich das Festival der Riesendrachen stattfindet.

Doch schon zuvor habe Berlin ihre Art zu Komponieren beeinflusst, sagt Bång. Das war 2002, als sie zu einem Austauschs zum ersten Mal in die Stadt kam. Es war gar nicht so sehr der offizielle Kompositionsunterricht an der Universität der Künste als die Begegnung mit der Improvisationsszene, die sie musikalisch beeinflusst habe, erinnert sich die Komponistin, sondern die Begegnung mit der hiesigen Musikszene. Nicht bloß die großen Konzertsäle suchte sie auf, sondern die zahlreichen kleinen Orte wie das Ausland im Prenzlauer Berg, das Podewil in Mitte und eine ganze Reihe inzwischen längst verwehter Musikschuppen mit ihrer intimen, fokussierten Atmosphäre. „Es war inspirierend“ sagt Bång: „Ich hörte mehr improvisierte Musik, als ich je zuvor gehört hatte. Die Leute sind wirklich sehr erfinderisch – es ist so, als ob jeder Musiker sein eigenes Klanguniversum schafft. Sie finden Laute, von denen man gar nicht dachte, dass sie möglich sind.“

Erfahrungen, die hilfreich sind, wenn man neben einer Geige auch mal ein Nudelholz zum Klingen bringen will. Ihre ersten Erfolge bei dieser Experimentierarbeit führten die Komponistin nach Aufenthalten in New York, Paris und Tokio schließlich wieder an die Spree zurück, wo sie zwischen 2012 und 2013 als DAAD-Stipendiatin lebte. In dieser Zeit machte sie sich auf die Suche nach ihren persönlichen „Berlin Objects“. „Ich hatte mich immer für urbane Atmosphäre und urbane Situationen interessiert und etwa in Paris, New York und Tokio Feldaufnahmen gemacht“ sagt sie. „Ich wollte dabei über städtische Situationen reflektieren, die durch einen Prozess des Wandels gehen – und in Berlin gibt es diese Situation überall, weil es zum Charakter der Stadt gehört dass sie sich in einem steten Wandel befindet.“

Das Tempelhofer Feld, dessen Atmosphäre durch die Pläne zur Randbebauung akut bedroht ist, gehört zu den prominenten Orten, auf die Bång stieß. Doch auch versteckte Orte wie die Rummelsburger Bucht mit ihrem Neubaugebiet aus schwarzen und weißen TownhouseNeubauten faszinierten die Musikerin, für die sich Berlin übrigens gerade durch seine Inseln der Stille am meisten von den akustisch meist viel aggressiveren übrigen Metropolen unterscheidet. Wobei sich die Suche nach einem charakteristischen Objekt, das sich in einem Konzert zum Klingen bringen ließe, in diesem Falle unerwartet schwer gestaltete: „Ich befand mich in einem Niemandsland, wo man nicht einmal eine Flasche Wasser bekommt und ich sah nichts, dem man in irgendeiner Weise interessante Töne entlocken könnte“, erinnert sich die Komponistin. Fündig wurde sie erst, als sie plötzlich einen Kindergarten voller Leben wahrnahm – und vor dem ehemaligen Gefängnis Rummelsburg eine Schaukel erblickte.

Auf einem Stipendiatenkonzert wurde Malin Bång auf andere Weise fündig: Sie lernte Anna Kubelík kennen, die sich schon mehrfach um die Regie und Inszenierung von Konzerten mit Neuer Musik beschäftigt hat und damit die ideale Partnerin für ein Konzert mit tönenden Objekten war. Auch für Kubelík, die unter anderem bereits für ein Projekt des Solistenensemble Kaleidoskop eine riesige origamiartige bewegliche Decke im Radialsystem konstruierte, war das Angebot zu einer Zusammenarbeit attraktiv. Die junge Künstlerin ist gerade dabei die Rolle einer Spezialistin für Raum und Inszenierung bei Konzerten zu erobern.

Die Inszenierung von Bångs „Berlin Objects“ im Hebbel am Ufer 2, bei dem neben den gebauten Objekten vor allem Licht als strukturierendes und erzählendes Element eingesetzt wird, stelle eine weit diskretere Aufgabe dar als etwa die frühere Arbeit im Radialsystem, sagt Anna Kubelík: „Ich empfinde mich fast wie ein Mediator.“ Den die Komponistin jedoch zu schätzen weiß: „Wenn man mit Objekten musiziert, spielt die Inszenierung immer eine Rolle und ich empfinde es als einen Luxus mit jemandem zu arbeiten, der auf den Umgang mit visuellen Objekten spezialisiert ist“.

Dass die Zusammenarbeit auch eine logistische Herausforderung darstellt, verschweigen die beiden Künstlerinnen nicht. Schließlich proben die Curious Chamber Players, die Malin Bång 2003 gemeinsam mit ihrem Mann Rei Munakata gründete und die an der Uraufführung des neuen Werks beteiligt sind, gerade noch in Stockholm. Und obwohl die Telefone eifrig klingeln und Kubelík auch schon auf dem Sprung in den hohen Norden ist: Wie sich der Drache und die übrigen Objekte klanglich und räumlich neben Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Klavier, Guitarre, Violine und Cello bewähren werden, wird sich erst in den Tagen unmittelbar vor dem Konzert entscheiden. Aber wenn man sich wie Malin Bång im Improvisieren auskennt, darf man das ganz gelassen nehmen.

Konzert: Hebbel am Ufer 2, Freitag, 24.1., 21 Uhr, Programm komplett: www.ultraschallberlin.de

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