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Masken, Macken, Mutationen. Achim Freyers „Abschlussball“ am Berliner Ensemble.

© Eventpress Hoensch

Berliner Ensemble lädt zum "Abschiedsball": Von Homer bis Humbug

Achim Freyer läutet Claus Peymanns letzte Saison am Berliner Ensemble ein. Seine Inszenierung "Abschiedsball" ist so bunt wie inhaltsleer.

Es ist das Finale schon vor dem Finale, gleichsam der Digestif als Aperitif. Achim Freyers „Abschlussball“ hat zu Beginn der letzten Saison von Intendant Claus Peymann am Berliner Ensemble schon den Abschiedsdrall. Ein Schwanengesang. Und Achim Freyer, der noch immer vitale 82-jährige Bildkünstler, Regisseur, Performance-Erfinder, er nennt seinen buntgrauen Abend aus Tanz, Deklamation, Video und Mummenschanz im Untertitel vermutlich augenzwinkernd: „Ein Lamento“.

Man möchte das zunächst für ein Stück Selbstironie halten, die dem Peymann-Ensemble, nach allem verbalen Gedonner und Gedöns, und dem Publikum diese letzte Spielzeit nicht gar so bierernst verdrießlich, nicht so teutonisch apokalyptisch erscheinen lassen soll. Also ein bisschen Schmerz und Scherz, wohlwissend, dass der (vermeintliche) Theatertod auch nur Theater ist und das Spiel auch morgen, sogar nach dem unsterblichen Claus Peymann, weitergeht.

Ballons und Glitzerkugeln schweben im Raum

Also schweben hier Ballons und Glitzerkugeln im Raum, aus der Rangloge am Bühnenportal dirigiert ein Weißclown den Reigen, der sich unter einer schräg über die halbe Szene gekippten Spiegelglaswand vollzieht, während auf einer Videoleinwand allerlei matschfarbige Visionen und Animationen laufen, mal Höllenfeuer, mal Meeresstrand. Oder weibliche Sexsymbole. Oder das Bild einer lachenden Frau und dazu die Schriftbotschaft „Die Zukunft von Afrikas Waisenkindern entscheidet sich heute“.

Was das soll? Ist egal.

Gegenüber dem erwähnten Weißclown hängt im Rang auch eine Figurine, die ein Tanzpaar à la Ginger Rogers und Fred Astaire darstellt. Doch von deren bildhaft angedeuteter Leichtigkeit und Eleganz ist drunten auf der Bühne leider wenig zu spüren. Zu einem Musikmix aus Walzer, Swing oder Tango vom Band (Komposition Lucia Ronchetti) schleppt sich in immer neuen Kostümierungen, unter Tiermasken oder mit Gummipimmeln und Stoffbrüsten aufgebläht, ein Dutzend BE-Schauspieler/innen in einer Art Prozessions-Potpourri über die Bühne; dazu auch zwei kleine Mädchen, die selbst kurz vorm Ende noch „Das Spiel beginnt!“ piepsen – und die Sopranistin Esther Lee-Freyer (des Meisters Ehefrau) setzt im dunklen Gemenge immer mal wieder zu kurzen Koloraturen an.

Was das soll? Egal, egal.

Kleist und Kleister

Unentwegt wird in wechselnden Satzfetzen und einem sanft elegisch sein wollenden, aber nuancenfreien, bedeutungsvoll säuselnden Dauerton irgendwas und irgendwer zitiert: Homer und Humbug, Kleist und Sophokles, das Großmuttermärchen aus Büchners „Woyzeck“ oder Heiner Müllers Engel der Verzweiflung. Plötzlich zischen alle im Chor „die sieben Geister Gottes!“, oder eine Stimme tremoliert „Die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zerschreiet die Schatten“. Was ein Zitatschnipsel aus Jean Pauls „Rede des toten Christus“ sein mag, hier indes nur Stuss ist. Und gleich darauf sagt einer, der sich in seinen Gummipimmel beißt: „Ich geh jetzt in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald.“

Tja, wenn auch die Kalauer nur wirken würden! Als Kontrast. Doch es ist, gleich ob Kleist oder Kleister, eine einzige müde Soße, das immergleich larmoyant pathetische Geraune, selbst wenn die zwei Piepsmädchen krähen, dass gleich „die lebendige Verkörperung des Gesprochenen“ zu erleben sei. Selbst eine schwarzhumorige Pointe wird hier eher vernuschelt: „Was vermisst ein Einarmiger in der Einkaufspassage? Einen Secondhand-Shop.“ Da hat in der Premiere freilich niemand gelacht. Auch egal.

Hat der große Bildkünstler bloß seinen Fundus entstaubt?

Alles Maskerade. Vogelmenschen, Wasserköpfe, Tierfratzen: als hätte Achim Freyer, dessen szenische Metamorphosen einst die Theater und Opernhäuser in aller Welt und auch die Documenta in Kassel angeregt haben, nur seinen Fundus entstaubt. Leuchtschriftworte wie Tod oder Krieg erscheinen da so wohlfeil wie einzelne Reizvokabeln ohne Zusammenhang („Syriens Grenzen entflohen“). Nur einmal, als sich Münder und Maskenmäuler eine Weile stumm bewegen, kommt ein kleiner Zauber auf, eine Sekundenstimmung, die mehr berührt als alle sinnlosen Worte.

Keine Groteske, keine wahre Elegie. Am Ende vom „Ball“, der einer bleischweren Seifenblase gleicht, strecken die Spieler wie bettelnde Lemuren ihre Hände ins Publikum. Es ist eine Geste des Selbstmitleids. Sie erntet Beifall und Buhs.

Nächste Vorstellungen am 1., 2., 22. und 23. Oktober

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