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Vom Holzsteg zur Stahlkonstruktion. Die Glienicker Brücke verbindet Berlin und Potsdam, legendär ist sie, weil zu Mauerzeiten hier Agenten zwischen Ost und West ausgetauscht wurden.

© Thilo Rückeis

Berliner Brücken (2): Die Russen haben mich gerettet

Sie verbindet seit rund 350 Jahren Berlin mit Potsdam, war kurz berühmt und hat viel zu erzählen: die Glienicker Brücke.

Guten Tag! Wie ich spüre, sind Sie dabei, über meine Fahrspur von Potsdam nach Berlin zu gelangen. Gönnen Sie sich einen Moment der Muße, und genießen Sie von meinem Geländer aus den Blick über die Havel und den Teltowkanal, die von mir passierbar gemacht werden. Nördlich von mir liegt der Jungfernsee, südlich der Tiefe See. Die Gewässer am südwestlichsten Zipfel Berlins also. Schloss Glienicke und das Jagdschloss können Sie auch bewundern. Wenn Sie einen wissenschaftlich fundierten Grund für Ihre Pause benötigen:

„Der Blick von der Glienicker Brücke wetteifert mit den schönsten Punkten der Welt“ , soll Alexander von Humboldt gesagt haben, der seinerzeit öfter mal vorbeischaute, um die Aussicht zu genießen.

Außerdem wurde das ganze Landschafts- und Gebäudeensemble 1990 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.

Wann meine Geschichte beginnt, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Viele historische Quellen nennen das Jahr 1660, aber das stimmt vermutlich gar nicht. Auf jeden Fall stimmt, dass Friedrich Wilhelm von Brandenburg während seiner Regierungszeit zwischen 1640 und 1688 etliche Brücken bauen ließ, um Potsdam aus seiner Insellage zu befreien. Während etwa die Lange Brücke am Schloss schon damals gewürdigt wurde, beachtete kaum jemand mich, einen 300 Schritt langen Holzsteg über den Fluss, der den Adeligen den Weg vom Schloss zu ihren Jagdgründen auf der anderen Flussseite erheblich verkürzte. Fast hundert Jahre blieb ich also ein nützlicher Trampelpfad für Jäger.

Ab 1754 wurde ich wichtiger. Der Postverkehr zwischen Potsdam und Berlin hatte derart zugenommen, dass eine tägliche Postkutsche die Distanz zwischen beiden Städten überwinden sollte. Die betrug sechs preußische Meilen. Ungefähr 45 Kilometer.

Auf mir wurde ein Wachposten eingerichtet. Die Arbeit der Soldaten bestand darin, die Begleitscheine zu kontrollieren. Für ihre Arbeit bekamen die Männer einen Groschen am Tag. Der Posten wurde also mit armen Invaliden bestückt. Die aber konnten zumeist nicht lesen, so dass sie oft genug hilflos mit den Scheinen auf der Suche nach einem Lesekundigen umherirrten. Manchem Kutscher platzte deshalb der Kragen, und er preschte unkontrolliert gen Berlin, „ohne auf das notpeinliche Examen der buchstabierenden Invaliden zu warten“.

Nach kurzer Zeit wurde deshalb auf mir ein Schlagbaum installiert, und es gab minutiöse Anweisungen, wie die Kontrollen durchzuführen waren. Wer nicht genau bezahlte und quittieren ließ, bekam es mit der preußischen Polizei zu tun.

1777 war der nächste Umbau an mir fällig. Der Verkehr zwischen beiden Städten wuchs ständig, so dass Friedrich der Zwote den Bau einer Chaussee anordnete, die auch über mich führte. Die Mautplätze wurden entlang der Strecke eingerichtet. Das erhöhte die Einnahmen und verringerte die Peinlichkeiten.

Das 19. Jahrhundert kam, und ich wurde immer beliebter. Mit dem ständig steigenden Verkehr wurden irgendwann meine Holzplanken nicht mehr fertig. Stein musste her. Bei großen Bauten führte seinerzeit kein Weg an dem Stararchitekten Karl Friedrich Schinkel vorbei. Unter seinem abschätzigen Lächeln bei der ersten Besichtigung fühlte ich mich alt und billig. Viel sympathischer war mir der Mann auch bei der Neueröffnung am 30.9.1834 nicht geworden. Aber immerhin: Ich war jetzt geräumiger, hatte in meiner Mitte einen schmucken Durchlass für den Schiffsverkehr, und Ziegel in 300 verschiedenen Formen waren extra in der königlichen Ziegelei für mich hergestellt worden. Ein bisschen eitel ist man ja schließlich auch.

Im 20. Jahrhundert tummelten sich immer mehr Leute auf mir

Es hätte ewig so weitergehen können. Doch dann kam das 20. Jahrhundert und brachte alles durcheinander. Immer mehr Leute in immer mehr Fahrzeugen tummelten sich auf mir. Im Juni 1901 passierten mich gar 24 000 Fahrzeuge, darunter bis zu 200 Autos täglich. Das muss man sich mal vorstellen! Auch unter mir drängten sich immer mehr Schiffe. Lange konnte das nicht gut gehen. Ging es auch nicht – man schloss mich, und im November 1907 wurde ich in neuer Gestalt eröffnet. Erstmals hatte man mich aus Stahl gebaut. Ich war funktionaler, aber sah nicht mehr gut aus. Zur Einweihung kam von offizieller Seite nur Regierungspräsident Schulenburg. Architekturkritiker moserten über meine Gestalt, ich sei „eine plumpe Eisenkonstruktion“. Auch von Denkmalschützern hagelte es abfällige Bemerkungen. Ich hätte sie alle ohrfeigen können.

Das letzte Jahrhundert hatte aber noch ganz andere Grausamkeiten für mich parat. Und zwar Ende April 1945. Eigentlich sollte ich gesprengt werden, doch das rasche Vorrücken der Rote Armee verhinderte meine komplette Zerstörung. Die sowjetischen Panzer schossen auf die Brücke und trafen zwei deutsche Sprengladungen. Die Deutschen zogen sich zurück und verloren erst mal den Krieg.

Drei Mal wurden hier Agenten ausgetauscht

Vom Holzsteg zur Stahlkonstruktion. Die Glienicker Brücke verbindet Berlin und Potsdam, legendär ist sie, weil zu Mauerzeiten hier Agenten zwischen Ost und West ausgetauscht wurden.
Vom Holzsteg zur Stahlkonstruktion. Die Glienicker Brücke verbindet Berlin und Potsdam, legendär ist sie, weil zu Mauerzeiten hier Agenten zwischen Ost und West ausgetauscht wurden.

© Thilo Rückeis

Für wenige Jahre wurde ich wieder zur Holzbrücke. Am 19. Dezember 1949 eröffnete ich wieder – als Stahlkonstruktion. In meine Mitte wurde ein Strich gemalt. Die Grenze zwischen der DDR und West-Berlin. Mein neuer Name lautete „Brücke der Einheit“. Am 26. Mai 1952 wurde ich für den privaten Autoverkehr gesperrt, Fußgänger konnten nur mit einer Sondergenehmigung hinübergelangen. Militärische Kontrollposten wurden eingerichtet, die nur noch Angehörige der Militärverbindungsmission die Brücke der Einheit passieren ließen.

Glauben Sie mir, ich habe schon mal herzlicher gelacht.

Es sieht aus, als würden Sie ein wenig frösteln. Kein Wunder, die Sonne ist ja auch schon untergegangen. Halten Sie noch ein bisschen aus. Denn mit den Jahren der Teilung kam auch die Zeit, die mich weltberühmt machen sollte. Als „Agentenbrücke“. Zwischen 1962 und 1986 wurden hier drei Mal ein paar Agenten getauscht. Beim letzten Mal reisten Hunderte von Journalisten aus aller Welt an. Ich wurde beäugt, als würde ich meinen Job mit Schlapphut und Spiegelbrille versehen.

Na ja, einen Tag nach der Wiedervereinigung wurde ich wieder für den Verkehr geöffnet. Plötzlich war ich wieder eine ganz normale Brücke. Immerhin eine mit Vergangenheit.

Heute ist mit mir kaum noch Staat zu machen. Ich mache sozusagen Dienst nach Vorschrift. Natürlich ist die Landschaft um mich herum genauso schön, wie sie immer war. Die alten preußischen Schlösser stehen auch noch in Sichtweite. Und wer einkehren möchte, findet auch das eine oder andere Restaurant in der Nähe. Mit Steak auf Toast für die Eltern, Fischstäbchen mit Pommes für ihre Kinder. Die Kegelbahn hat noch Termine frei. So was in der Art.

Vielleicht fahren Sie jetzt nach Hause. Vielen Dank, dass Sie einer alten Brücke Ihr Ohr geliehen haben. Wenn Sie mal wieder in der Nähe sind, bin ich vielleicht schon wieder umgebaut. Oder etwas ganz anderes ist passiert. Wir werden sehen.

Knud Kohr

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