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Doppelspitze vor loderndem Kamin. Florian Illies und Micaela Kapitzky in der Villa Grisebach.

© DAVIDS/Sven Darmer

Berliner Auktionshaus Grisebach: "Der Kunsthandel darf nicht verteufelt werden"

Florian Illies und Micaela Kapitzky sind die neuen Leiter des Auktionshauses Grisebach. Ein Gespräch über neuen Kunstgeschmack und die politische Verantwortung des Kunsthandels.

Herr Illies, ein Auktionshaus wie Grisebach nimmt Kunst in Empfang und gibt sie in Versteigerungen weiter. Möchten Sie da nicht manches behalten?

ILLIES: Es juckt einem ständig in den Fingern. Im besten Fall beschäftigen wir uns ein halbes Jahr mit der Kunst und haben die liebsten Werke in der Nähe unseres Schreibtisches hängen, so dass eine enge Beziehung entsteht. Wir wären schlechte Chefs eines Auktionshauses, wenn wir die Leidenschaft unserer Kunden nicht nachvollziehen könnten.

Dürfen Sie überhaupt mitbieten?

ILLIES: Ja, das dürfte ich, solange ich nicht der Auktionator bin.

Wie geht es weiter bei Grisebach, nachdem sich der Gründer Bernd Schultz weitgehend zurückgezogen hat?

KAPITZKY: Anders, aber kontinuierlich anders, weil wir schon seit sechs Jahren mit Florian Illies zusammenarbeiten. Das Thema Veränderung betrifft alle Auktionshäuser: Das Angebot verändert sich, neue Schwerpunkte werden gesetzt.

ILLIES: Wir haben schon einiges gemeinsam auf den Weg gebracht: die zusätzlichen Räume in der Fasanenstraße 27 mit dem neuen Auktionssaal, eine überarbeitete Website, ein anderes Erscheinungsbild.

Hatten Sie bei Ihrem Start 2012 nicht schon die große Idee, die Sie verwirklichen wollten?

ILLIES: Ich bin hierhergekommen, weil mich das Haus fasziniert, ohne den Gedanken, alles ändern zu müssen. Aber ich hatte eine Idee: dass eine neue Sammlergeneration Lust auf eine andere Kunst des 19. Jahrhunderts haben müsste. Davon habe ich die Partner im Haus überzeugt, und jetzt funktioniert dieser neue Schwerpunkt auch wirtschaftlich gut. Fünf Millionen Euro des jährlichen Umsatzes stammen aus dieser Abteilung. Wir sind damit Marktführer in Deutschland. Ansonsten ist das Auktionsgeschäft ein sehr archaisches Geschäft. Natürlich ändert sich der Kunstgeschmack. Aber das Modell an sich ist sehr tragfähig.

Wie erschließen Sie sich neue Kunden?

ILLIES: In den nächsten fünf Jahren wollen wir die Säule der klassischen Moderne durch eine ebenso starke Säule zeitgenössischer Kunst ergänzen. Dafür müssen wir schauen, wie sich die neue Zielgruppe von unseren bisherigen Kunden unterscheidet und ansprechen lässt. Dafür gibt es viele Module: die sozialen Netzwerke, eine andere Kataloggestaltung und neue Veranstaltungen rund um die Auktionen.

Auktionen sind immer auch ein gesellschaftliches Ereignis. Gewinnt dieser Aspekt größere Bedeutung?

ILLIES: Wir bauen das aus. Die neuen Räume sollen sich zu einem Treffpunkt entwickeln. Das Ausstellungsprogramm ist ein Baustein, etwa die Günter Fruhtrunk-Schau ab 2. März. Wir versuchen diese Ausstellungen so zu realisieren, dass sie auch in einem Kunstverein oder kleinen Museum stattfinden könnten – mit Leihgaben wie verkäuflichen Bildern. Wir zeigen den Sammlern, dass wir uns um Künstler wie Günter Fruhtrunk, K.H. Hödicke, Raimund Girke oder Peter Roehr kümmern und bekommen dann von ihnen schöne Arbeiten für Auktionen eingereicht.

In die Stadt ziehen viele Neuberliner. Kommen die auch zu Ihnen?

KAPITZKY: Absolut. Früher wollten die Kinder jener Sammler, die bei uns klassische Moderne erwerben, immer nach London oder New York ziehen. Jetzt kommen sie nach Berlin, sammeln aber anders als ihre Eltern. Für sie ergänzen wir unser Programm, etwa um Fotografie und um aktuelle Positionen.

Die Verfügbarkeit von Werken der klassischen Moderne nimmt ohnehin ab. Dazu kommt die internationale Konkurrenz. Wie eröffnen Sie sich neue Felder?

ILLIES: Der große Vorteil deutscher Kunst nach 1945 ist, dass sie viele bedeutende Namen hervorgebracht hat, und man immer neue Künstler wiederentdecken und ins Programm nehmen kann, die noch keinen Markt haben. Wir stehen zwar in Konkurrenz mit Sotheby’s und Christie’s, aber punkten als kleineres Haus damit, dass wir uns intensiver um das einzelne Werk kümmern können. Wir können einem Bild, das 500 000 Euro wert ist, eine größere Bedeutung geben als das in New York möglich wäre.

Wie erleben Sie die Veränderung des Kunstgeschmacks?

ILLIES: Der Zeitgeschmack verändert sich ständig, von manchen Stilen nimmt er komplett Abstand. Beim 19. Jahrhundert sind das zum Beispiel die Nazarener. Diese religiöse Malerei ist handwerklich virtuos und hat große deutsche Künstler hervorgebracht. Ihr Verkauf ist dennoch eine Herausforderung. Nun gibt es Sammler in Kalifornien, die kein Problem mit den religiösen Inhalten haben. Sie betrachten die Bilderzählung mit fliegenden Heiligen und Engeln, als wären es Filmstills. Wenn wir Nazarener anbieten, verkaufen wir sie nach Beverly Hills. Aber aus der jüngeren Geschichte weiß man ja, dass alle Dinge, die in Kalifornien funktionieren, zeitversetzt in Deutschland ankommen. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich gerade etwas verschiebt. Diese völlig unterbewertete Kunst wird in ein paar Jahren ganz sicher anders gesehen.

Gilt das auch für Gegenwartskunst?

ILLIES: Ja, für Günter Fruhtrunk. Als ich vor zehn Jahren über ihn schrieb, rief das Widerwillen hervor. Seine Farbkombinationen, die schrillen, schiefen Töne und diese Brutalität hat alle verstört. Mich auch, aber ich hatte den Eindruck, wenn einen etwas so angreift, besitzt es Qualität. Als wir jetzt die Werke für die Ausstellung ausgepackt haben, fand sie jeder schön, der vorbeikam. Da ist etwas passiert, die Überforderung angesichts der Kunst der 70er Jahre ist einem Interesse gewichen. Solche Verschiebungen sind faszinierend. Wir versuchen dem vorzugreifen, indem wir etwa eine Arbeit von Fruhtrunk auf das Cover unseres Auktionskatalogs nehmen. Dann erzielt dieses Blatt plötzlich nicht mehr 500, sondern 2000 Euro. Solche Wellen kommen immer wieder, und man muss im richtigen Moment das Surfbrett drauflegen. Oder versuchen, mit viel Wind eine Welle zu erzeugen.

KAPITZKY: Manchmal sieht man, dass diese Wellen eben auch kommen und gehen. Die Grafik der klassischen Moderne ist ein Beispiel dafür. Traditionell war ihr Sammler ein „Connaisseur“, der sich die Blätter oft im Stillen angeschaut, Mappenwerke erworben und seine Grafikschränke gepflegt hat. Ihn gibt es nicht mehr. Dann erfährt diese Kunst eine preisliche Korrektur.

Das klingt nach Verschwinden eines ganzen Marktsegments.

ILLIES: Das glaube ich nicht. Zugleich bleibt der künstlerische Wert einer Radierung oder eines Holzschnitts von Kirchner hoch. Momentan ist die frühere Einschätzung nicht haltbar, aber das sieht vermutlich in 30 Jahren wieder anders aus.

Wenn sie umgekehrt merken, dass sich Werke von Fruhtrunk oder Pfahler besser verkaufen: Haben Sie dann Sammler, die Sie schnell anzapfen können?

ILLIES: Das macht unsere Arbeit so aufregend und kompliziert. Jeder Fall liegt anders. Da gibt es den Pfahler-Sammler, der lieber noch einmal fünf Jahre mit dem Verkauf wartet, wenn die Preise anziehen. Oder den Fruhtrunk-Sammler, der so lange gewartet hat, bis der Künstler endlich wieder so teuer wie 1972 ist, als er sein Bild gekauft hat. Wer einen so langen Atem hat, kann warten. Und dann gibt es Erben, die das Bild von einer Tante bekommen haben, damit nicht groß geworden sind und es uns gerne und ohne Trennungsschmerz abgeben.

Wie erleben Sie das neue Kulturgutschutzgesetz? Gibt es weniger Einlieferungen aus dem Ausland oder Sammler, die ihre Werke hier nicht mehr verkaufen wollen?

KAPITZKY: Das Gesetz hat große Verunsicherung ausgelöst. Sammler lassen sich eben nicht gerne reglementieren und durchleuchten. So ist unendlich viel Kunst abgewandert. Wir versuchen unsere Kunden damit zu beruhigen, dass es diese Gesetze zum Teil auch vorher schon gab. Hinzu kommt, dass die Bürokratie für Ausfuhrgenehmigungen stark gewachsen ist.

Für Verunsicherung sorgt auch die Raubkunst. Bei Ihrer Herbstauktion mussten Sie zwei Bilder von Lesser Ury im letzten Moment zurückziehen. Wie kann so etwas passieren?

KAPITZKY: Bei uns gehört die Provenienzforschung zum Alltag der Katalogabteilung, die jedes Puzzleteil zusammentragen muss. Ein vollständiges Bild gelingt nicht immer. Was nicht daran liegt, dass wir schlecht arbeiten. Sondern an den Dramen, die sich bis 1945 abgespielt haben. Es lässt sich nicht alles klären. Im Fall des zurückgezogenen Bildes von Lesser Ury haben wir monatelang recherchiert und mit Absicht die Namen aller Vorbesitzer im Katalog genannt – auch in der Hoffnung, dass mit Erscheinen des Katalogs noch etwas herauskommt. Die Möglichkeit zur Klärung besteht bis zur Auktion.

ILLIES: Wir wünschen uns sogar, dass die öffentliche Schwarmintelligenz Ergebnisse zutage fördert. Man kann immer nur herausfinden, was sich durch Dokumente verifizieren lässt. Werden Bilder zurückgezogen, ist das keine Niederlage, sondern ein Vorgang, der dazugehört.

KAPITZKY: Ich würde mich freuen, wenn der Kunsthandel nicht immer so verteufelt würde, sondern auch die Chance gesehen wird, die der Handel bei der Klärung bietet. Wir sind die Schnittstelle. Würden wir mit den Lücken in der Forschung nicht so offen umgehen wie im Fall von Lesser Ury, würde es zu solchen Klärungen gar nicht kommen.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Christiane Meixner.

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