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Kriegerin auf dem Fleischmarkt: Angie (Kim Riedle).

© Berlinale

Berlinale Perspektive: Tussi mit Löwenherz

Ein Treffen mit Regisseurin Mia Spengler und Schauspielerin Kim Riedle, die in „Back for Good“ weibliches Selbstbewusstsein erforschen. Der Film läuft in der Perspektive Deutsches Kino.

Diese Regisseurin hat Mumm. Sie macht eine Weiblichkeitskarikatur zur (Anti-)Heldin, die man sonst gern mit der Bezeichnung „billige Blondine“ belegt. Angie, das frisch aus der Drogenklinik entlassene TV-Sternchen, entspricht ganz dem Klischee „Boxenluder“: hochgetunter Körper, kurze Röcke, wallende Extensions, Revolverschnauze und ein sicher nur murmelgroßes Gehirn.

Das ist ein im deutschen Kino bislang unerzählter Charakter – und in der Kombination mit Angies aus Not geborener Heimkehr zur genervten Mutter Monika (Juliane Köhler) und zur pubertierenden Schwester Kiki (Leonie Wesselow), die wegen ihrer Epilepsie immer mit einem Helm herumrennen muss, eine komplett überraschende Exposition.

Man mag sich gar nicht ausmalen, was da bei einem Langfilmdebüt – und das ist Mia Spenglers Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg – alles in die Hose gehen könnte. Doch das Wunder geschieht: „Back for Good“, der Eröffnungsfilm der Perspektive Deutsches Kino, ist ein gut geschriebenes, bewegendes, stellenweise sogar witziges Drama.

Trash-Girl mit Kraft und Tiefe

Kim Riedle, die die Angie spielt, verleiht dem Trash-Girl eine Kraft und Tiefe, die einen schnell davon überzeugt, dass diese „Tussi“ nicht nur ein Löwenherz, sondern auch Hirn besitzt. Verblendet von der Sehnsucht nach dem Sekundenruhm, nach einem warmen Plätzchen im Scheinwerferlicht, braucht sie halt nur ein bisschen, bis sie das selbst entdeckt.

Dass Kim Riedle sich als Angie äußerlich und innerlich stark verwandeln musste, wird bei einem Treffen mit Hauptdarstellerin und Regisseurin sofort klar. Da präsentiert sich die 35 Jahre alte Schauspielerin aus Berlin als kaum geschminkte Brünette. Sie habe durchaus eine innere Hemmschwelle überwinden müssen, um die extrovertierte Superblondine zu spielen, sagt sie.

„Die Push- up-Brüste, das Make-up, die knappen Klamotten, die trägt sie wie eine Rüstung.“ Die aus Hamburg angereiste 30- jährige Mia Spengler nickt. Am Ende eines Drehtags habe Kim richtige Striemen und Quetschungen am Leib gehabt. „Wahnsinn, dass es Frauen gibt, die sich das freiwillig jeden Tag antun.“

Inspiriert von Celebrities des Typus Daniela Katzenberger und Katie Price

Bei einigen davon waren sie und ihre Drehbuchautorin Stefanie Schmitz sogar zu Besuch. Die beiden haben für das gemeinsam geschriebene Buch lange Gespräche mit C- und D-Promis geführt und sich von Celebrities wie Daniela Katzenberger und Katie Price inspirieren lassen. Besonders Ex-Pornostar und Ballermann-Königin Mia Julia hat Spengler beeindruckt. „Die kam mit einer Halskrause zum Treffen, weil bei einem Konzert tags zuvor ein Betrunkener auf sie draufgefallen war.“ Das hielt die Sängerin aber nicht davon ab, einen gut sortierten und selbstbewussten Eindruck zu machen. Spengler war komplett überrascht, dass diese – einem lebenden Klischee ähnelnde – Frau weiß, was sie tut.

Das Thema weibliches Selbstbewusstsein, oder besser das Fehlen desselben, sei ihre Ausgangsfrage bei dem drei Jahre währenden Filmprojekt gewesen, erzählt Mia Spengler. „Alle Frauen kämpfen mit einer Art Selbsthass und damit, sich und ihren Körper nicht zu lieben.“ Das werde – wie im Film das angespannte Verhältnis zwischen der Mutter und den Töchtern zeigt, die alle auf ihre Weise um Liebe und Anerkennung ringen und sich dabei bekämpfen – von einer Frauengeneration an die nächste weitergegeben.

Angie ist eine Kriegerin auf dem Fleischmarkt

Trotzdem wollte sie keinen „Frauenfilm“ machen, sagt die Regisseurin, deren erste romantische Fernsehkomödie im März auf Sat1 ausgestrahlt wird. „Ich bin eine Frau, ich erzähle Geschichten von Frauen. So einfach ist das.“ Zumal ihr in ihrer Kindheit immer weibliche Filmheldinnen gefehlt hätten.

Eine Opfergeschichte jedoch habe sie auf keinen Fall erzählen wollen. Das ging Kim Riedle ganz genauso: „Die Angie ist eine Kriegerin.“ Und unterwirft sich trotzdem den Regel des Fleischmarkts, die das erbarmungslose Reality-TV propagiert – die Silikonbrüste immer steil im Wind. Sogar wenn sie in einer Disco als DJ engagiert ist, reißt sie sich vor den johlenden Kerlen freiwillig die Bluse auf, wie eine eindrückliche Szene zeigt. Muss sie gar nicht. Der Veranstalter zerrt sie postwendend von der Bühne. Will sie aber!

Sie hätten ganz bewusst beschlossen, dass Angie Spaß haben soll, erzählt Riedle. Ein Mann aus dem Filmteam hätte es dagegen besser gefunden, wenn der Discobetreiber Angie gezwungen hätte, oben ohne aufzulegen, ergänzt Spengler. „Da haben wir beide losgeschrien. Warum soll es eine Frau abwerten, freiwillig ihre Brüste zu zeigen?“ Weil das dem Blick entspricht, mit dem man Filmfiguren wie diese üblicherweise betrachtet, bietet sich da als Antwort an. Nur dass nach einem so facettenreichen Film wie „Back for Good“ diese eindimensionale Denkweise gar nicht mehr geht.

11.2., 12 Uhr (Colosseum) und 20 Uhr (Cinemaxx 1), 12.2., 21.30 Uhr (Toni)

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