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Die sieben Verschworenen. Wang Quan’an, Diego Luna, Maggie Gyllenhaal, Julia Jentsch.

© dpa

Berlinale-Jury: Die Mauerspringer

Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven und seine sechs Mitstreiter in der diesjährigen Berlinale-Jury stellen sich vor – und erweisen sich als Meisterdiplomaten.

Den schönsten Satz über das Kino sagt Olafur Eliasson, als bildender Künstler nach eigenen Worten der Außenseiter in der Wettbewerbsjury. Gute Filme, so der isländische Däne mit Atelier in Berlin, erlauben ihm, sich selber neu und anders zu sehen. „Nicht ich schaue sie an, sie schauen mich an. Ich fühle mich erkannt, ich merke, dass ich existiere.“

Die Jury stellt sich vor, an diesem späten Donnerstagvormittag im Konferenzsaal des Hyatt. Gleich die erste Frage, gestellt von einer kurdischen Kollegin aus dem Nordirak, gilt der Politik in den Filmen, was dem Juryvorsitzenden Paul Verhoeven nochmals Gelegenheit gibt, jedem vordergründig auf Botschaften zielenden Kino eine Absage zu erteilen.

Die tunesische Produzentin Dora Bouchoucha Fourati, die 2016 den als besten Debütfilm ausgezeichneten Wettbewerbsbeitrag „Hedi“ verantwortete, formuliert es noch eleganter: Die Berlinale habe sich dem Kino verschrieben, ohne die Welt aus dem Blick zu verlieren. Auch der mexikanische Schauspieler Diego Luna, zuletzt zu sehen in „Star Wars: Rogue One“, betont: „Es geht nicht um Botschaften, sondern darum, die Stimmen der anderen zu hören und diese Stimmen zu feiern.“

Die Berlinale-Jury: souverän und diplomatisch

Die sieben Bären-Juroren erweisen sich in diesen Minuten als wahre Meister-Diplomaten. Noch auf die seltsamsten Anmerkungen reagieren sie heiter, klug, besonnen – und schlagfertig. Als der Moderator die verärgerte Nachfrage eines russischen Journalisten – Ist das Absicht: kein Russe im Wettbewerb!? – gar nicht erst zulassen will, da die Jury ja nichts fürs Programm kann, ruft Verhoeven ihm schnell ein „I love Eisenstein“ zu. Auch Julia Jentsch pariert fix: „Ich liebe russische Schauspielerinnen.“

Eine Amerikanerin will etwas über die mutige Isabelle Huppert in Verhoevens neuem Film „Elle“ wissen, worauf der Regisseur kurz das Thema der Infantilisierung Hollywoods streift, dass aus Profitgründen kaum noch Kino nur für Erwachsene produziert. Die souveräne Maggie Gyllenhaal schwärmt von Huppert, kein Divenkrieg, nirgends.

Zudem stellt Gyllenhaal klar, dass keineswegs nur Sexszenen Courage erfordern. Rollen nimmt sie immer dann gerne an, wenn sie etwas ansprechen in ihr und sie dorthin führen, wo sie noch nie gewesen ist. Mut? Sehnsucht sei das. Woraufhin Verhoeven ihr Komplimente zu Füßen legt: „Sie haben sich schon oft als mutig erwiesen, wollen wir nicht mal zusammenarbeiten?“

Ob Geld oder Digitalisierung das Kino bedrohen?

Auf Kuschelkurs ist die Jury trotzdem keineswegs. Verhoeven hofft für die Filmdiskussionen auf Enthusiasmus, auch auf heftigen Streit bei gleichzeitig großem Respekt. Eliasson freut sich, dass die Berlinale sich nie vom Filmgeschäft hat einverleiben lassen und die Kraft der Kultur verteidigt. Regisseur Wang Quan’an, Goldbärengewinner von 2006, sorgt sich in dieser Hinsicht auch um Chinas Arthouse-Kino.

Das viele Geld, das in der Filmindustrie seines Landes unterwegs sei, entfalte auch zerstörerische Wirkung, meint Wang Quan’an unerschrocken – auf Chinesisch. Nur die mit Kopfhörern bewehrten Medienvertreter können ihm folgen, der Rest ist lost in translation. Auch das gehört zu einem internationalen Festival – und ja, bei Bedarf wird auf der Berlinale auch chinesisch simultangedolmetscht.

Noch eine zu Kontroversen einladende Frage: Fürchten die Schauspieler in Zeiten der Virtual Reality ihre Abschaffung durch Computer-Klone? Maggie Gyllenhaal begrüßt Innovation durchaus und verteidigt zugleich den menschlichen Faktor. Diego Luna meint nur fröhlich: „Als die Telefone sich plötzlich in Kameras verwandelten, machte ich mir kurz Sorgen. Aber alles ist gut, ich bin noch da.“ Und das Kino ebenso.

Sorge um Freiheit und Demokratie

Wer gefürchtet (oder gehofft) hatte, auch die Berlinale würde im Zeichen des alles überwölbenden aktuellen Aufreger-Themas Trump stehen, sieht sich in diesen Stunden kurz vor der Eröffnungsgala getäuscht. Kein einziges Mal fällt auf dem Podium der Name des US-Präsidenten. Und doch ist die Sorge um Freiheit und Demokratie präsent, nur eben aus anderer Perspektive. „Ich bin nach Berlin gekommen, um herauszufinden, wie man Mauern zu Fall bringt. Habe gehört, ihr habt da Übung“, meint Diego Luna. Sein neu erworbenes Wissen nehme er dann mit nach Hause zurück, nach Mexiko. „Und nach Amerika“, ergänzt Gyllenhaal.

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