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Zwei durch dick und dünn. Vanilla (Maria Dragus, l.) und Tiger (Ella Rumpf) machen in "Tiger Girl" Berlins Straßen unsicher.

© Constantin

Berlin-Film "Tiger Girl": Richtig aufs Maul

Jakob Lass ist die neue Hoffnung des deutschen Kinos. In seinem dritten Film „Tiger Girl“ prügeln sich ein Bürgerkind und ein Punk-Mädchen durch Berlin.

Anlauf, Sprung – und klägliches Scheitern: Mit einem ordentlichen Rumms legt sich Vanilla (Maria Dragus) beim Bockspringen vor der versammelten Mannschaft auf die Nase. Den Ausbildungsplatz bei der Berliner Polizei kann sie sich damit abschminken. Und auch sonst zeichnet sich Vanillas Alltag in erster Linie durch Niederlagen und Demütigungen aus – beim Einparken schnappt ihr eine Mutter im SUV die letzte Lücke weg, nachts wird sie auf der Straße von schmierigen Typen angemacht. Situationen, in denen wie aus dem Nichts ihr Schutzengel Tiger (Ella Rumpf) erscheint – und notfalls mit einem beherzten Tritt oder Fausthieben für blutige Nasen sorgt.

Verschüchtert-unbeholfenes Bürgerkind trifft auf straßenschlaues Punk-Mädchen: Jakob Lass’ dritter Film „Tiger Girl“, der auf der Berlinale seine Premiere feierte, erzählt eine unwahrscheinliche Freundschaft. Gegensätze ziehen sich an. Die wohlbehütete Möchtegern-Polizistin fasziniert das Leben am Rande der Illegalität. Tiger holt Vanilla in ihre Welt zwischen ausrangiertem Wohnbus und Hausbesetzer-WG und macht sie erst mal alltagstauglich. Das Motto: Zurückschnauzen statt Einstecken.

Selbstermächtigung und Entgrenzung

Im Gegenzug besorgt Vanilla der neuen Freundin eine Uniform der Security-Firma, bei der sie als Auszubildende untergekommen ist. Verkleidet mit den Insignien der Autorität, eröffnen sich den beiden ganz neue Möglichkeiten des hemmungslosen Ausagierens: Erst zerschlagen sie mutwillig herumliegendes Porzellan, später überfallen sie Leute und sabotieren eine Ausstellungseröffnung.

Die Grenzen zwischen Notwehr und Selbstermächtigung, jugendlicher Taumelei und Kleinkriminalität werden dabei immer wieder ausgelassen überschritten. Doch das Spiel endet in blanker Gewalt: Langsam entgleitet Vanilla der Kontrolle von Tiger und entwickelt sich zu einer ernsthaften Bedrohung für sich und ihre Umwelt. Und so findet sich ausgerechnet Tiger, die einen Hass auf die Gesellschaft hat, in der Rolle der Mahnerin wieder.

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Mit hoher Schlagkraft verwischt Regisseur Jakob Lass die Übergänge in dieser Geschichte einer Entgrenzung. Schon im sympathischen Vorgänger „Love Steaks“ von 2013 ging es um das Verhältnis von Hilflosigkeit und Überschwang. Die erfolgreiche Improvisations-Komödie etablierte ihn als Hoffnungsträger eines jungen deutschen Kinos. Sein Faible für visuelle Exzesse und eruptive Gewalt deutete sich schon damals an.

Martial Arthouse

In „Tiger Girl“ kann er jetzt, ausgestattet mit einem stattlichen Budget des Constantin-Verleihs, aus dem Vollen schöpfen. Wirkte „Love Steaks“ noch kontrastarm und in der Tonlage eher spröde-lakonisch, dreht Lass diesmal alle Regler nach oben und taucht seine Bilder in übersättigte, fast artifizielle Farben. Die Berliner Band Großstadtgeflüster steuert dazu heftigen Mittelfinger-Elektropunk bei. „Martial Arthouse“ nennt Lass seinen Film, in Anlehnung an asiatisches Kampfkunstkino. Wirklich produktiv werden die Friktionen zwischen Punk-Attitüde und Produktionsmittel allerdings nicht: Der widerborstige Außenseiter-Charme des Vorgängers geht im audiovisuellen Überschuss weitgehend verloren.

Dennoch lebt „Tiger Girl“ von dieser hyperaktiven Vitalität, die man im deutschen Kino oft vermisst. Die drastische Pop-Ästhetik ist über weite Strecken mitreißend, auch wenn Lass im Überschwang gelegentlich das Maß dafür verliert, wann die popkulturellen Codes von Coolness noch angebracht sind.

Wie Tiger merkt auch Lass viel zu spät, dass die Grenze des zivilen Ungehorsams überschritten ist. „Das war voll cool“, meint Vanilla, nachdem sie einer Passantin im Vorbeigehen spontan aufs Maul gehauen hat. Zu der vermeintlichen Coolness dieser Gewalt findet „Tiger Girl“ da aber schon keine Haltung mehr.

Zweifellos liegt Lass' Stärke in der improvisierten Situationskomik, die er im präzisen Zusammenspiel mit seinen Laiendarstellern immer wieder provoziert. Besonders die Ausbildungsszenen in der Security-Firma sind wunderbar realitätsgesättigte Miniaturen voller authentischem Azubi-Humor. Insgesamt kann Lass mit „Tiger Girl“ die hohen Erwartungen aber nicht erfüllen. Es sind vor allem die Beiläufigkeit der Inszenierung und ein Blick für ungewöhnliche Details, die seine Filme auszeichnen.

In 9 Berliner Kinos

Thomas Groh

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