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Das Leben draußen geht weiter. Im Ex-Kaufhaus nistet sich Kunst ein.

© Kleist-Heinrich

Berlin Biennale: Flecken im Fenster

Rückkehr nach Kreuzberg: Die Berlin Biennale hat im Kaufhaus am Oranienplatz ihren Ort gefunden

Vergangenen Herbst saßen die Berlin Biennale-Kuratorin Kathrin Rhomberg und der Künstler Marcus Geiger vor dem Café Alibi in der Oranienstraße und blickten auf die andere Straßenseite: auf die prachtvolle Sandsteinfassade des leerstehenden Geschäftshauses an der Ecke zum Oranienplatz, darauf Graffiti und Werbeplakate. Nach monatelanger Suche war ein Ausstellungsgebäude für die Berlin Biennale gefunden. Kurz vor der Eröffnung bietet sich fast der gleiche Blick. Nur die Reklame für ein Tanzfestival und Aufrufe der Initiative „Mediaspree versenken“ werden von grauen Frauennacken und -schultern unterbrochen: Fotografien des Berliner Fotografen Michael Schmidt, den Rhomberg ausgewählt hat, um den öffentlichen Raum zu bespielen.

Am Donnerstag eröffnet nun die sechste Berlin Biennale. Das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit soll Thema sein. Hier am Oranienplatz, wo bislang nichts darauf schließen lässt, dass zwischen Antifa-Läden, Szenecafés und Kulturvereinen in den nächsten Tagen das internationale Fachpublikum durch die Geschosse streifen wird, ist bereits jetzt zu beobachten, wie die Wirklichkeit Bestandteil der Ausstellung wird – und die Kunst Teil der Wirklichkeit. Im Rahmen des Eckfensters im dritten Stock steckt zerrissene violette Folie zwischen Sperrholzleisten. Marcus Geiger besetzt hier vorübergehend den Ort.

Seit der ersten Berlin Biennale, die 1998 von den Kunstwerken in der Auguststraße gegründet wurde, sorgt das Kunstereignis alle zwei Jahre durch sein Zusammenspiel mit der städtischen Realität für Aufsehen. Diesmal befinden sich, abgesehen von den Kunstwerken und einer Adolph-Menzel-Schau in der Alten Nationalgalerie, alle Ausstellungsräume in Kreuzberg. Nachdem die Ostbezirke erschlossen sind, ist der Kiez wieder zum lebendigen Künstlerzentrum geworden, wie einst in den Achtzigern. Die Biennale hat hier überraschende Orte aufgetan.

Da ist der alte Pferdestall hinter der Kaserne des ersten britischen Gardedragoner-Regiments von 1853 am Mehringdamm, wo heute das Finanzamt sitzt. Er diente zuletzt als Reifenlager und liegt am Ende einer Gasse deutschtürkischer Autowerkstätten mit der Atmosphäre einer Westernstadt. Da ist die frühere Kneipe in der Dresdener Straße, in der dem amerikanischen Trash-Filmkünstler George Kuchar eine Retrospektive ausgerichtet wird. Da ist die Wohnung des Konzeptkünstlers Danh Vo in der Kohlfurter Straße 1. Und da ist jenes 1913 vom Architekturbüro Cramer & Wolffenstein erbaute Geschäftshaus am Oranienplatz, in das hundert Jahre Berliner Geschichte eingeschrieben sind.

Richard Wolffenstein und Wilhelm Cramer galten als wichtigste Vertreter des Synagogenbaus in der Gründerzeit; nach der Reichspogromnacht blieben nur ihre Villen und Geschäftshäuser. Erste Mieter im Oranienplatz 17 waren die AEG und das Café Oranienpalast. In den Zwanzigern zogen die Berliner Privat Telefon Gesellschaft und der Zentralverband der Angestellten ein. 1925 eröffnete ein Hotelbetrieb seine Büros sowie die Allgemeine Textil-Fabrikations und Handels AG Clemens & August Brenninkmeyer, die später C & A heißen sollte. 1976 übernahm das Kreuzberger Familienunternehmen Möbel Pögel das Haus. In den Achtzigern kamen die Hausbesetzer und der Oranienplatz sollte Autobahnkreuz werden.

Marcus Geiger wohnte 1978 selbst einige Monate in Kreuzberg. „Ich fand Kreuzberg gar nicht so politisch“, sagt er heute. „Die Hausbesetzungen wirkten nett, geradezu geduldet.“ Heute sei die Atmosphäre weniger alternativ, dafür politischer als damals, härter. Keine Experimentierwiese für Bürgerkinder, eher Kampf ums Überleben. Bis vor wenigen Jahren befand sich im Erdgeschoss noch ein Supermarkt, der zum 1. Mai regelmäßig ausgehoben wurde. Das restliche Gebäude steht seit zehn Jahren leer. Die Hotelpläne eines schwedischen Spekulanten verliefen sich. Der Münchner Rechtsanwalt, der das Haus erwarb, hat es nicht eilig. Der Biennale überließ er es kostenlos.

Wenn der Wiener Künstler Hans Schabus den dritten Stock mit gebrauchten Teppichen aus Berliner Privatwohnungen auslegt, zieht wieder ein Hauch von Möbelhaus ein, das in den Neunzigern vor allem durch den Club Trash bekannt war. Arbeiten wie diese machen die Ausstellung zum durchlässigen Ort, auch für politische und soziale Fragen. Besonderen Anteil daran hat Geiger, der zusammen mit Rhomberg die Ausstellungsarchitektur entwickelt hat. Die beiden sind Gefährten, seit sie 1998 das Gebäude der Wiener Secession rot anstreichen ließen und das bürgerliche Österreich entsetzten. Mit gezielten Brüchen und einfachen Materialien betreibt der gebürtige Schweizer Geiger eine Kunst der Sabotage, bei der er die Funktionsbedingungen des Kunstsystems offenlegt.

„In den letzten 15 Jahren hat sich ein professioneller Standard entwickelt, was die Ausstellungsarchitektur angeht“, erklärt Geiger, „bestimmt vom Markt und der Medienwirkung. Wir haben weit davor aufgehört.“ Gezielt bleiben einzelne Stellwände unverputzt, Fenster ungereinigt. Kunst und Umgebung sollen sich gegenseitig reflektieren. Die Reste, die beim Aufbau anfielen, verarbeitete Geiger im Dachgeschoss zu einer Installation. „Diese doofen Wände“, grinst er. „Kunst verbraucht so unglaublich viele Ressourcen.“

Die 6. Berlin Biennale beginnt am 11. 6. in den Kunst-Werken (Auguststr. 69), am Oranienplatz 17, Dresdner Str. 19, Kohlfurter Str. 1, Mehringdamm 28 und Alte Nationalgalerie, Museumsinsel. Bis 8. 8.; Di.–Do. 10–19, Do. bis 22 Uhr.

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