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Bauhaus-Künstlerin Gertrud Arndt: Gattin beim Rollenspiel

Aus "Langeweile" fotografierte sich Gertrud Arndt, verheiratet mit dem Bauhaus-Architekten Alfred Arndt, Anfang der 1930er selbst - und schuf dabei eine Portraitreihe von zeitloser Klasse. Das Berliner Bauhaus-Archiv stellt nun ihre Arbeit vor - und zeigt dabei eine erschütternde Diskrepanz zwischen emanzipatorischem Anspruch und tatsächlichen Geschlechterrollen.

Mal schlägt sie verschämt die Augen nieder, mal blinzelt sie kokett. Mal ist das Mündchen manieriert gespitzt, mal wie ein gieriger Schlund breit mit Lippenstift ausgemalt. Gertrud Arndt (1903 bis 2000) schlüpft hintereinander in die Rollen von Backfisch, Vamp, Grand Dame, mit der gleichen Hingabe spielt sie das Rautendelein wie die Ophelia. Der Betrachter kann sich nie sicher sein, wen das wandelbare Modell mit den Kulleraugen gerade gibt. Die Staffage, die Mimik, irgendetwas stimmt nie genau mit der Typologie einer bestimmten Figur überein. Erschwerend kommt hinzu: Die Selbstbildnisse tragen keine Titel, sie laufen durchnummeriert unter der Serienbezeichnung „Maskenporträts“.

Zwischen 1929 und 1931 entstand das rund vierzig Bilder umfassende Konvolut, eine der rätselhaftesten, aber auch charmantesten Reihen der Fotogeschichte. In dieser Zeit lebte Gertrud Arndt als Gattin des Architekten und Bauhaus-Lehrers Alfred Arndt in einem der Meisterhäuser in Dessau und musste sich „die Zeit totschlagen“, wie sie hinterher freimütig erklärte. Heute gilt sie als Pionierin des fotografischen Autoporträts, als Vorläuferin der großen Verkleidungskünstlerinnen Cindy Sherman und Sophie Calle, die sich ebenfalls stets selbst aufnehmen.

Als Arndts „Maskenporträts“, die ein halbes Jahrhundert in einer Schublade geschlummert hatten, 1979 im Essener Folkwang-Museum erstmals der Öffentlichkeit gezeigt wurden, staunten Publikum und Künstlerin gleichermaßen: die Besucher über dieses singuläre Werk, dessen Urheberin dagegen über die allgemeine Begeisterung, denn sie hatte sich als beschäftigungslose Ehefrau eines Bauhaus-Meisters schließlich nur aus „Langeweile“ selbst fotografiert. Ihr eigentliches Schaffen am Bauhaus in den Jahren zuvor, während ihrer Ausbildung zur Weberin zwischen 1923 und 1927, stand plötzlich im Schatten, obwohl ihr von Walter Gropius sofort im Direktorenzimmer ausgelegter Teppich-Erstling aus blauen, gelben, grauen Quadraten als ein Klassiker des Bauhauses gilt.

Der Künstlerin blieb die wechselhafte Rezeption ihres Werks ein Rätsel. Umgekehrt sucht die Forschung bis heute nach Erklärungen für die Brüche in ihrem Schaffen. Nach Empfang des Gesellenbriefs 1927 bestieg die Weberin nie wieder einen Webstuhl. Ein Grund könnte die Zierlichkeit der 1,51 Meter großen Künstlerin sein, die mit den Füßen kaum auf den Boden des Webstuhls kam. Nach Schließung des Dessauer Bauhauses und Rückkehr ins thüringische Probstzella, wo ihr Mann als Architekt Arbeit fand, endete abrupt nicht nur die Serie der „Maskenporträts“, sondern die künstlerische Karriere der damals 28-Jährigen.

Gleichberechtigung? Nur auf dem Papier.

Die Fragen sind geblieben. Sie betreffen nicht nur Gertrud Arndt, sondern alle Bauhäuslerinnen. Wie stand es um die Gleichberechtigung an der fortschrittlichsten Kunstschule der Weimarer Republik, in deren Gründungsmanifest es hieß: „Aufgenommen wird jede unbescholtene Person, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht“? Die überlieferten Fotos der damaligen Zeit zeigen gemeinsam lachende, feiernde Schüler und Schülerinnen, die Frauen genauso selbstbewusst, meist mit Bubikopf. Ein Werdegang wie der von Gertrud Arndt aber lässt ahnen, wie schwer sie es trotzdem hatten.

„Eigentlich wollte ich ja Architektin werden“, ist die Ausstellung über die Weberin und Fotografin im Bauhaus-Archiv überschrieben. An die Verwirklichung dieses Berufswunsches war für eine Frau kaum zu denken. Am Bauhaus gab es 1923, als Gertrud Arndt kam, noch keine entsprechende Abteilung. Nach Besuch des Vorkurses bei Klee und Kandinsky wurde sie wie fast alle Frauen in die Webereiklasse gesteckt; ob gegen ihren Willen, ist nicht überliefert. Neben der hinreißenden Serie der „Maskenporträts“, die in diesem Umfang wohl noch nie zu sehen war, zeigt die Ausstellung eine Vielzahl von Farbstudien, Skizzen, Webproben und als zentrales Exponat einen der vier großen Teppiche, die Arndt in Dessau schuf. Die Hamburger Reederei Thost hatte ihn 1927 in Auftrag gegeben, damals ein wichtiger Einnahmeposten für das Bauhaus.

Ergreifend aber ist der in einer Vitrine ausgelegte kunstvolle Ehevertrag, den die Künstlerin im gleichen Jahr aufsetzte, zwei Wochen nach ihrer Hochzeit mit dem Architekten Alfred Arndt. Beide unterschrieben neben dem Versprechen, sportlich zu bleiben und viel auf Reisen zu gehen, auch die Forderung „völlige Gleichheit der Frau neben dem Manne“. Viel blieb davon nicht. Gertrud Arndt verzichtete auf ihre eigene künstlerische Selbstverwirklichung und half nach der Geburt der Kinder dem Gatten nur noch im Architekturbüro. 1948 reiste die Familie nach Darmstadt aus.

Aus heutiger Sicht folgt man einem solchen Lebensweg beklommen. Die Ausstellungsreihe „Bauhaus, weiblich“, die Arndt als drittes Beispiel präsentiert, findet deshalb auch nicht nur Zustimmung. Erst zuletzt kritisierten junge Feministinnen Ausstellungen wie „Künstlerinnen der Avantgarde“ oder „Frauen am Bauhaus“ als rückständig. Zugleich hat die Genderforschung gerade hier Nachholbedarf. Gertrud Arndt hätte vermutlich nur die Augen verdreht.

Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 22.4.; tägl. 10–17 Uhr. Katalog 14,90 €.

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