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Szene aus „Musa Dagh“ von H. W. Kroesinger 2015 am Gorki-Theater.

© picture alliance / dpa

Basisförderung in der Theaterszene: Das Geld, der Erfolg und die Unabhängigkeit

Warum die Besten in Berlins freier Theaterszene ihre Basisförderung nicht verlieren dürfen.

Gerade wurden die Dokumentartheatermacher Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura auf dem Berliner Theatertreffen gefeiert. Anlässlich der Präsentation ihrer „Stolpersteine Staatstheater“ aus Karlsruhe beim jährlichen Branchen Best-of herrschte ausnahmsweise mal Konsens: Die Einladung war überfällig! Mit ihren klugen Rechercheprojekten prägen Kroesinger und Dura die Theaterszene seit Jahrzehnten nachhaltig, insbesondere die Freie Szene in Berlin.

Geht es nach dem Berliner Senat, könnte es damit jetzt vorbei sein. Die Mittel, aus denen Kroesinger und Dura ihre Projekte im Wesentlichen finanzieren – die „Basis- und Spielstättenförderung für privatrechtlich-organisierte Theater und Theater-/Tanzgruppen in Berlin“ – wurden soeben gestrichen. Annemie Vanackere, Chefin des HAU, an dem Kroesinger regelmäßig gastiert, ist fassungslos. Man riskiere damit, „einen der wichtigsten Protagonisten der Freien Szene zu verlieren“. Kroesinger, der projektweise auch an festen Häusern arbeitet, realisiert in der Regel eine Produktion pro Jahr am HAU. Dafür bringt er um die 70 000 Euro aus besagter Basisförderung mit, etwa zwei Drittel der Produktionskosten. Das restliche Drittel schießt das HAU zu, das jedoch nicht über den Etat verfügt, um mal eben die jetzt weggefallene Summe auszugleichen. So droht einmal mehr der Abzug einer Berliner Theatermarke.

Ist die mangelnde Qualität der Grund?

Natürlich sei die Basisförderung „kein Ticket auf Lebenszeit“, so Vanackere. Alle zwei Jahre entscheidet darüber eine vom Senat berufene Fachjury. Es geht nicht um Unsummen: Die Förderbeträge rangieren zwischen 50 000 und 100 000 Euro pro Jahr – immerhin ermöglicht der Topf eine Planungssicherheit über zwei Jahre. Für freie Gruppen, die sich mit Einzelanträgen von Produktion zu Produktion hangeln, bedeutet das schon Luxus – der auf Kroesingers künstlerischem Niveau alternativlos ist. Außer ihm, der die letzten zehn Jahre konstant gefördert wurde, profitieren auch Gruppen wie andcompany&Co. oder Showcase Beat Le Mot regelmäßig. Wenn diese Zuschüsse gestrichen würden, fordert Vanackere, müsse das mindestens „in einem transparenten Verfahren geschehen, bei dem eine Vision formuliert wird, wieso X Geld bekommt und Y nicht“.

Eine solche Erklärung bleibt die Jury bislang schuldig. Mitglied Sandra Umathum – Dozentin an der Schauspielschule „Ernst Busch“, vormals Mitarbeiterin von Christoph Schlingensief – bittet um Verständnis, dass „die Gründe für die Entscheidungsfindung nicht an die Öffentlichkeit kommuniziert werden“. Zwar soll ein offizieller Jury-Kommentar folgen, bloß wann, das steht noch nicht fest. Auch könnten sich die Künstler persönlich bei der Jury informieren, versichert sie.

So viel kann Umathum immerhin sagen: „Wir haben diejenigen zur Förderung vorgeschlagen, die die besten Anträge eingereicht haben. Bei den anderen hat es, im Verhältnis zur Gesamtlage, qualitativ nicht gereicht.“ Mangelhafte Qualität? Bei einem wie Kroesinger? Das überrascht. Zumal mit Milo Rau und seinem International Institute of Political Murder (IIPM) einem weiteren Antragsteller die Förderung gestrichen wurde, dem man kaum Qualitätsmangel vorwerfen kann. Mit dem luziden Gerichtstheaterformat der „Moskauer und Zürcher Prozesse“ hatte Rau 2013 ein neues, aufsehenerregendes Diskurstheaterformat geschaffen.

Werde Künstler aus der Förderung gestrichen, wenn sie im Staatstheaterbetrieb angekommen sind?

Da klingt das nächste Argument von Umathum schon bedenkenswerter: Ein Kriterium sei gewesen, „die Basisförderung nicht nur Künstlerinnen und Künstlern der Freien Szene, sondern auch dem Programm der Freien Spielstätten“ zukommen zu lassen. Damit ist ein strukturelles Problem angesprochen: Milo Rau hatte Projekte eingereicht, die unter anderem von der Berliner Schaubühne koproduziert werden sollten. Der Verdacht liegt nahe, dass man Künstler aus der Förderung streicht, wenn man glaubt, dass sie im Staatstheaterbetrieb angekommen sind. Auch Kroesinger fiel justament mit dem Betriebsritterschlag zum Berliner Theatertreffen aus dem Programm.

Eine solche Förderpolitik würde allerdings bedeuten, „dass man freie Künstler, die sich erfolgreich in beiden Systemen bewegen und Mischformen erproben und etablieren könnten, in die Stadt- und Staatstheater drängt“, gibt IIPM-Dramaturg Stefan Bläske zu bedenken. Natürlich könnten Rau oder Kroesinger ausschließlich dort arbeiten, Anfragen gibt es genug. Aber es könne nicht darum gehen, „dass die Freie Szene zum Durchlauferhitzer für die Stadt- und Staatstheater wird“, sagt Kroesinger, der zurzeit für ein Staatsopern-Projekt probt. „Es muss möglich sein, in beiden Systemen zu produzieren.“ Dass er für eine Arbeit am HAU deutlich weniger Gage bekommt als an einer städtischen Bühne, nimmt der Regisseur in Kauf. „Es ist eine Entscheidung für größere künstlerische Autonomie.“

Am Stadttheater wird ihm in der Regel ein Thema vorgeschlagen, zu dem er ja oder nein sagen kann. In der Freien Szene setzt Kroesinger seine Themen selbst. Wer den seismografischen Charakter seiner Arbeiten kennt, weiß, welches Potenzial verloren ginge, sollte er nicht mehr frei arbeiten können.

Das Problem ist der Förderstau

Kroesinger, der bei Heiner Müller und Robert Wilson assistiert hat und sich lange vor der aktuellen Recherchetheaterwelle auf Dokumentartheater spezialisierte – in den Neunzigern, als seine Gießener Ex-Kommilitonen gerade das Poptheater erfanden – analysiert seine Sujets in selten gewordener Komplexität. Auch hat er Themen meist schon Jahre, bevor sie im (Theater-)Mainstream ankommen, profund durchleuchtet. 2003 war er der Erste, der sich in „Suicide Bombers on Air. Primetime“ mit Selbstmordattentaten befasste. Den Genozid an den Armeniern untersuchte er schon vor zehn Jahren, in „History Tilt“ am HAU. Und als er im Dezember 2013 dort mit „Frontex Security“ die europäische Grenzschutzagentur Frontex untersuchte, wussten die meisten noch nicht einmal, was das ist.

Hinzu kommt die Autonomie über das Budget und das Team. Kein Wunder, dass die radikaleren Produktionen bei Milo Rau wie bei Hans-Werner Kroesinger bis dato frei entstanden sind. Auch bewege sich Kroesinger am HAU „in einem ganz anderen Referenzsystem“ als im Stadttheater, erläutert Annemie Vanackere. Schließlich sei das Berliner Publikum seit vielen Jahren mit seinen Recherche-Unternehmungen vertraut. Apropos Nachhaltigkeit: Absurd wirkt es auch, einer Gruppe wie Copy & Waste, die 2015 erstmals mit jährlich 50 000 Euro in den Genuss der Basisförderung kam, die Mittel in der nächsten Runde gleich wieder zu entziehen. Auch dieses Team ist aus der Basisförderung herausgefallen.

Zugegeben: Die Jurys befinden sich in einem gewissen Zwiespalt. Wollen sie Raum für Neues schaffen, bleibt ihnen nach Lage der Finanzen meist nichts anderes übrig, als andere zur Streichung zu empfehlen. Es gibt einen Förderstau.

Man wolle die Geförderten besser ausstatten, anstatt eine Vielzahl neuer Kandidaten aufzunehmen

Bei einem Gesamtvolumen von jeweils rund 2,6 Millionen Euro pro Jahr hatte die Basisjury, exklusive Spielstättenförderung, diesmal allerdings mehr Geld zur Verfügung als letztes Mal: rund 260 000 Euro mehr in 2017, über 300 000 Euro mehr in 2018. Man habe die einzelnen Geförderten jedoch besser ausstatten wollen, statt eine Vielzahl neuer Kandidaten aufzunehmen, so Umathum. 30 Gruppen sind es insgesamt, fünf fallen raus, sieben rücken nach; darunter mit der Tanzcompagnie Rubato und dem Solistenensemble Kaleidoskop verdientermaßen zwei Gruppen, die zwischenzeitlich selbst schon mal abgelehnt worden waren.

Dennoch würde einen auch bei Copy & Waste die Begründung interessieren. Sowohl das Projekt „Ruckzuck in die Zukunft“ (in Kooperation mit dem English Theatre) als auch die Arbeit „Who ya gonna call? Schlossbusters!“ am Ballhaus Ost überragen das Durchschnittsniveau der Szene. Dass Copy & Waste – regelmäßig Gast auf renommierten Festivals wie dem Steirischen Herbst – ohne Basisförderung auskommen sollen, „zerschlägt den künstlerischen Ansatz, den wir in Berlin hatten“, sagt Co-Gründer Steffen Klewar.

Noch ist es für Kulturstaatssekretär Tim Renner nicht zu spät zu reagieren.

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