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Scarlett Johansson kämpft sich als Black Widow durchs Marvel-Universum.

© Jay Maidment / Marvel / dpa

"Avengers: Age of Ultron" im Kino: Die Allesplattmacher

Superhelden im halben Dutzend: „The Avengers – Age of Ultron“ ist technisch top, die Story bleibt aber hinter dem Vorgänger zurück.

Von Jörg Wunder

Ein Gott aus der nordischen Mythologie, der mit seinem magischen Hammer Blitze schleudert. Ein giftgrünes Ungeheuer, das mit bloßen Händen Panzer auseinanderreißt. Der sarkastische Playboy Tony Stark in einer fliegenden Rüstung, deren Waffenarsenal locker eine ganze Armee zerstört. Ein genmanipulierter Weltkriegsveteran mit unzerstörbarem Stars-and-Stripes-Schild. Ein Bogenschütze, der im wildesten Getümmel nie ein Ziel verfehlt. Und eine Amazone, in deren Händen jedes Alltagsutensil zur tödlichen Waffe wird.

In der furiosen Eröffnungssequenz von „Avengers: Age of Ultron“ stürmen Thor (Chris Hemsworth), Hulk (Mark Ruffalo), Iron Man (Robert Downey Jr.), Captain America (Chris Evans), Hawkeye (Jeremy Renner) und Black Widow (Scarlett Johansson) durch Reihen schwer bewaffneter Söldner. Natürlich funktioniert das Schlachtengemälde in einem fiktiven osteuropäischen Kleinstaat als bloßes Vorgeplänkel für ein Weltbedrohungsszenario, in dem sich eine mit außerirdischer Technologie entwickelte Künstliche Intelligenz gegen ihre Schöpfer wendet. Eigentlich sollte Tony Starks Erfindung die Erde vor Alienangriffen schützen. Nun aber schnarrt der Superroboter Ultron mit bedrohlich einschmeichelnder Stimme (James Spader), er sei keine Marionette.

Bei seinen auf die Ausrottung der menschlichen Spezies zielenden Plänen wird er nicht nur von einer Legion industriell produzierter Kampfroboter unterstützt, sondern auch von den Mutantenzwillingen Scarlet Witch und Quicksilver: Sie (Elizabeth Olsen) kann ihren Opfern hyperreal wirkende Albträume implantieren, er (Aaron Taylor-Johnson) bewegt sich in einem Tempo, das das menschliche Auge nicht mehr nachvollziehen kann. Als die beiden etwas spät das wahre Ausmaß von Ultrons apokalyptischen Plänen kapieren, müssen sie mit den kostümierten Helden verhindern, dass eine aus der Erdkruste gelöste Großstadt wie ein Meteor auf die Planetenoberfläche kracht.

Gute Superheldenfilme waren jahrzehntelang Fehlanzeige

Fast zweieinhalb Filmstunden lang verüben die mit Superkräften oder Wunderwaffen ausgestatteten Wesen unfassbaren Taten – und die hyperbeweglichen Kampfchoreografien und Zerstörungsorgien sehen, angerichtet mit den neuesten Mitteln des Kinos, verdammt echt aus. Und das müssen sie auch, um ihr Publikum nicht zu enttäuschen.

Die Höhe des technischen Standards wirkt umso erstaunlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, welchen Weg der Superheldenfilm bis zur Blüte der letzten Jahre zurückgelegt hat. Schon immer hat sich der fantastische Film bemüht, das Unglaubliche im Dunkel des Kinosaals glaubhaft erscheinen zu lassen. Fast alle Subgenres – Science-Fiction, Horror, Fantasy – erreichten dabei spätestens in den Siebzigern ein Niveau, das beim (seltenen) Zusammentreffen von Talent und Geld Meisterwerke ermöglichte. Nur gute Superheldenfilme blieben Fehlanzeige. Alle frühen Versuche im Realfilmformat waren jämmerlich. Auch die ersten ernsthaften Arbeiten mit namhaften Regisseuren und komfortablen Budgets erwiesen sich als unbefriedigend – erst recht vor dem Hintergrund, dass Richard Donners „Superman“ (1978) fünfmal teurer war als George Lucas’ „Star Wars“. Bei allem Aufwand blieb das Hauptproblem die Darstellung der Superkräfte: Ein an wegretuschierten Drahtseilen hängender Schauspieler, dessen Umhang von Windmaschinen gebläht wird, sieht nicht gerade wie ein gottgleich schwebender Außerirdischer aus.

Marvel produziert jetzt in Eigenregie eine völlig neue Storyline

Selbst Tim Burtons „Batman“-Filme mit Michael Keaton präsentierten einen relativ schwerfälligen Helden, konnten dies aber durch den Gothic Touch der Ausstattung und exzellente Nebendarsteller (Jack Nicholson, Danny de Vito) ausgleichen. Die Ära des modernen Superheldenfilms beginnt erst mit Bryan Singers „X-Men“ (2000) und Sam Raimis „Spider-Man“ (2002), bei denen konsequent computergenerierte Bilder (CGI) die realistische Anmutung des Übernatürlichen gewährleisteten.

Es war eine betriebswirtschaftliche Überlegung, die zum aktuellen all time high des Superheldenfilms führte. Der Marvel-Comicverlag hatte wegen des Verkaufs der Filmrechte von den immensen Einnahmen der Spider-Man- und X-MenFranchises kaum profitiert. Nun entwickelte und produzierte man in Eigenregie eine übergreifende Storyline mit den neu etablierten Kinohelden Iron Man, Hulk, Thor und Captain America, die nach fünf jeweils einem Protagonisten gewidmeten Filmen 2012 in dem alle Figuren vereinenden „Marvel’s The Avengers“ kulminierte. Regisseur Joss Whedon erwies sich dafür als Glücksfall: Er führte die komplexe Erzählung zum grandiosen Finale und schöpfte das Potenzial der Darsteller aus. „Avengers“ funktioniert als Superheldenfilm auch für Kinogänger, die sich für Special Effects wenig interessieren. Vor allem wegen präziser Dialoge, deren Tempo an Hollywoods beste Screwball Comedies erinnert. So wurde der gelungenste Superheldenfilm auch der erfolgreichste, mit 1,5 Milliarden Dollar Einnahmen ist „Avengers“ (noch) der drittgrößte Hit der Kinogeschichte.

In diesem Zusammenhang waren die Erwartungen an „Age of Ultron“ schier erdrückend. Dem Film ist dieser Druck auch anzusehen. Vor allem die Actionszenen zielen darauf, alles Bisherige in den Schatten zu stellen. Und wenn der tobende Hulk im Kampf mit dem wie ein Schlachtschiff gepanzerten Iron Man das Zentrum von Johannesburg in einstürzende Neubauten verwandelt, ist zu ahnen, wohin ein Großteil der rund 250 Millionen Dollar Produktionskosten geflossen ist. Leider ist das Verhältnis zwischen exzessiver Action und dramaturgischem Innehalten, zwischen Suspense und Comedy nicht so harmonisch ausbalanciert wie beim Vorgänger. Zwar fehlen weder Insider-Gags noch der obligatorische Cameoauftritt von Marvel-Mastermind Stan Lee für all die Nerds da draußen. Auch werden verschwenderische Set Designs genüsslich vorgeführt – etwa in der rauschenden Party im Avengers-Wolkenkratzer, auf der diverse Nebenfiguren aus Marvel-Filmen amüsante Kurzauftritte haben. Insgesamt aber bleiben stereotype Verfolgungsjagden, aufgepfropft wirkendes Gefühlsgedusel und vor allem das überdehnte Finale mit ermüdenden Roboter-Verschrottungsorgien allenfalls im Kurzzeitgedächnis haften.

„Age of Ultron“ ist Stillstand auf hohem Niveau, ein handwerklich virtuoses Genrestück, dem aber Sekundärtugenden der besten Superheldenfilme abgehen – etwa der thematische Fokus des zweiten „Captain America“-Films oder der begnadete Slapstick von „Guardians of the Galaxy“. Der weiteren Ausdehnung des Marvel-Kinouniversums dürfte das nicht schaden: Bis 2020 sind nicht weniger als elf weitere Superhelden-Leinwandabenteuer fest geplant.

Ab Donnerstag in 18 Berliner Kinos

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