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Ausschnitt aus Mona Hatoums Performance "Roadworks" von 1985.

© Mona Hatoum

Ausstellungen zum Thema Flucht: Die Blickrichtung wechseln

Geflüchtete machen Kunst – und erschaffen damit alternative Bilder zur aktuellen Situation. Ein Rundgang durch Berlin in drei Stationen.

Abends erschienen sie, projiziert auf das Schaufenster des Ausstellungsraums Kurt-Kurt in der Lübecker Straße in Moabit. Gesichter, geisterhaft ausgeleuchtet, halbnackte Körper, die unsicher im Wasser eines Swimmingpools trieben. Menschen aus aller Welt. Hier, in der Parallelstraße zum Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), erzählten sie Geschichten von Aufbruch, Ankommen und Wandern, jeder die eines anderen.

Ein Pole berichtete von der Entscheidung eines Kanadiers, seiner Liebe ins Ausland zu folgen, eine Griechin von einer Eritreerin, die wegen religiöser Verfolgung Asyl beantragte, eine Slowakin von der Emigration derselben Griechin, die nach einem Absturz woanders neu anfangen wollte.

Zwei Wochen lang bespielte die Künstlerin Borjana Ventzislavova den Raum in Moabit mit ihrer 2007 entstandenen Videoinstallation „We Shall Overswim“. Leise und doch wirkungsvoll. Flaneure und Spaziergänger blieben vor den Projektionen stehen. Manchmal nur für den Moment der Irritation. Manchmal verharrten sie, hörten zu, diskutierten.

Im Grunde ist es genau das, was die beiden Kuratoren des Kurt-Kurt, Simone Zaugg und ihr Partner Pfelder, mit ihrem vor Kurzem gestarteten Kunstprojekt „Sans papiers – Das Leben ist eine Reise“ anregen wollen: Über die Sprache der Kunst in ein Gespräch über Flucht und Migration zu gelangen.

Beide haben die Zustände am Lageso letztes Jahr als Schock erlebt. Auch die Art, wie der Diskurs über die Neuankömmlinge geführt wurde, wie sie abqualifiziert und unter dem Begriff „Flüchtling“ in eine amorphe, bedrohliche Masse gezwängt wurden – ihr Gesicht verloren. „Die meisten Leute, die wir kennen, sind irgendwoher emigriert,“ sagt Zaugg und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Selbst wenn es nur aus Köln oder Hamburg war.“ Aber „Flüchtling“-Sein, das sei ein Stigma. Das verlasse einen nicht. Für sie und Pfelder war klar, das sie diesem Diskurs mit den Mitteln der Kunst begegnen wollten.

Die Erfahrungen geflüchteter Künstler sollen sich mit denen von Etablierten verschränken

Das Potenzial dieser Auseinandersetzung spürt man auch in ihrer kommenden Gruppenausstellung. Die Palästinenserin Mona Hatoum, die gerade auch in der Tate Modern in London ausstellt, hat ihre frühere Arbeit „Roadworks“ beigesteuert. Man sieht sie als junge Frau barfuß durch London laufen, an die Füße Springerstiefel gebunden. Die Performance entstand Mitte der achtziger Jahre als Reaktion auf die Rassenunruhen in der Hauptstadt. Und doch passt die groteske Komik, mit der Hatoum symbolisch den Weg des Migranten abbildet und die Irritation der Passanten provoziert, genauso auf das heutige Post-Brexit-Europa mit seinen populistischen Anfeindungen und brennenden Flüchtlingsunterkünften. In der Aufnahme, die der Künstler Hans Hs Winkler neben sein Überwachungsbild des Lageso montiert hat, erlebt man das komplette Gegenteil. Er sitzt als junger Mann 1979 auf dem Basar in Aleppo, mit Vollbart und in syrischer Tracht. Damals Mode unter reisefreudigen Akademikern. Heute, die erste, unfreiwillige Assoziation: Terrorist. Eine Verschiebung der Wahrnehmung über Jahrzehnte, zu beobachten mit einem Wimpernschlag.

Auch Künstler, die vor Kurzem geflüchtet sind, wollen die Kuratoren des Kurt-Kurt in ihr auf zwei Jahre ausgelegtes Projekt einbinden. Ihre Erfahrungen sollen sich mit denen der etablierten Künstler verschränken und einen neuen Zugang schaffen: gegen die Tsunami- und Lawinenmetaphern, mit denen die aktuelle „Flüchtlingskrise“ hysterisiert wird. „Wir brauchen neue Bilder, um über Migration zu sprechen“, meint Pfelder. Oder wie es der indische Kulturwissenschaftler Homi Bhabha einmal forderte: Gegen-Erzählungen. Narrative, die der großen Geschichte vom Nationalstaat die Fragilität seiner Konstruktion entgegensetzen. Die existenziellen Fragen Raum geben, wie es Ventzislavovas Videoinstallation „We Shall Overswim“ tat: Was überhaupt ist Heimat? Lässt sie sich in einer globalisierten Welt wirklich geografisch oder durch Staatszugehörigkeit eingrenzen? Und was ist ein „Flüchtling“?

Im öffentlichen Diskurs fehlen Fähigkeit und Individualität, die ein Mensch mitbringt

Der schwammige Rechtsbegriff hat sich längst mit Vorurteilen vermengt. Die Feindseligkeit, mit der Teile der „einheimischen“ Bevölkerung reagieren, ist historisch nicht neu: Die Belgier, die während des Ersten Weltkrieges nach Holland flüchteten, wurden als Invasion wahrgenommen, die Ostvertriebenen in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als „Flüchtlingsschweine“ beschimpft. Gleichzeitig zeichneten NGOs immer wieder ein Bild der Schwäche und Hilfsbedürftigkeit von Menschen, die geflüchtet sind. Aus dem Rechtsbegriff ist so ein verzerrtes Label geworden, wie der britische Historiker Peter Gatrell unlängst in seiner Globalgeschichte „The Making of the Modern Refugee“ darstellte. Das Positive fehlt im öffentlichen Diskurs, die Fähigkeiten und die Individualität, die die Menschen mitbringen. Den Abstand zu diesem Label zu gewinnen, es neu zu besetzen, ist etwas, das Kunst in besonderer Weise provozieren kann. Spielerisch und reflektiert wie im Kurt-Kurt, forschend und dokumentierend, wie es die Akademie der Künste mit ihrer Ausstellung über „Kinder im Exil“ anregt oder radikal wie in Dahlem.

Wer dort das Gelände des Museums für Europäische Kulturen betritt, wird Zeuge einer Verwandlung. Neben dem Banner des Museums ist die Flagge der Initiative von „Kunstasyl“ gehisst. Im Sonderausstellungsraum arbeiten Künstler gemeinsam mit Menschen, die geflüchtet sind, in einem werkstattartigen Prozess. Die Luft ist stickig, es riecht nach Metall und Farbe. „Aber das ist auch keine Ausstellung zum Durchatmen“, sagt Barbara Caveng, die Gründerin der Initiative. Viel wird hier angedeutet: In den Bettgestellen aus den Unterkünften, die man zu Skulpturen geformt hat. In den Wandmalereien, mit denen der Afghane Muhammad Jassim oder der Eritreer Bereket Kibrom ihre Fluchtwege abbildeten. Am Abgrund tut sich das Meer auf, um Menschen zu verschlucken. Eine Route verbindet die eigene mit einer vergangenen Flucht aus der Sowjetunion. Gegenwart trifft auf Geschichte.

Das ist auch das Begleitkonzept, das die Museumsmitarbeiter parallel zur auf ein Jahr ausgelegten Ausstellung „daHeim: Einsichten in flüchtige Leben“ erarbeiten. Historische Biografien wie die der Schriftstellerin Anna Seghers, die aus Frankreich flüchten musste, sollen in einem Katalog aufgearbeitet werden. Auszüge aus ihrem Exil-Roman „Transit“ durchlaufen bereits jetzt in geschwungenen Linien den Raum, treffen auf aktuelle Schilderungen der Flucht. Diese Verbindung von damals und heute bietet eine weitere Chance zur künstlerischen Auseinandersetzung, wie ein Blick auf den Text „We Refugees“ zeigt. Es ist eine der ersten modernen, philosophischen Abhandlungen über Flucht, die die Jüdin Hannah Arendt nach ihrer Emigration aus Nazi- Deutschland verfasste. Der erste Satz ist noch immer aktuell: „Wir wollen nicht Flüchtlinge genannt werden“, schrieb Arendt damals, „sondern Neuankömmlinge.“ Oder wie es „Kunstasyl“ im Museum an den Boden geklebt haben: „Nenn mich beim Namen.“

„daHEIM: Einsichten in flüchtige Leben“, Museum für Europäische Kulturen, Arnimallee 25, 22. Juli bis 2. Juli 2017. „Das Leben ist eine Reise“, Kurt-Kurt, Lübecker Straße 13, ab 9. Juli, Do–Sa, 16–19 Uhr. „Kinder im Exil“, Hanseatenweg 10, bis 20. Juli, Mo–So, 10–22 Uhr

Giacomo Maihofer

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