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Ferruccio Busoni, porträtiert von Max Oppenheimer.

© bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders

Ausstellung zu Ferruccio Busoni: Frei ist die Tonkunst geboren

Die Kunstbibliothek erinnert mit einer Ausstellung an das Leben und Werk des Klaviervirtuosen, Komponisten und Musiktheoretikers Ferruccio Busoni.

Nicht alles gelingt ihm, dem einst gefeierten Wunderkind. Es braucht schon einen kämpferischen Geist, um den Vergleichen mit dem kleinen Mozart und dem jungen Liszt standhalten zu können. Den hat Ferruccio Busoni. Und eine Mission: die Freiheit seiner geliebten Kunst, die er vom Ballast der Tradition und des Erzählens sowie den Beschränkungen von Instrumentenbau und Klangsystemen zu lösen will. Dabei verrennt sich der in der Nähe von Florenz am 1. April 1866 geborene Pianist, Komponist und Autor auch spektakulär: Sein Klavier mit Tasten für Dritteltöne erweist sich als praktisch unspielbar, und selbst Schönberg hält nichts davon, gleich Dutzende neue Tonarten einzuführen.

Zu seinem 150. Geburtstag wird Busoni nun endlich von der Stadt geehrt, in der er am längsten gelebt hat und in der der Nachlass eines außergewöhnlich regen Geisteslebens aufbewahrt wird. Nur seine über 5000 kostbare Bände zählende Bibliothek, die er in seiner Wohnung am Schöneberger Viktoria-Luise- Platz pflegte, ist in alle Winde zerstreut. Busonis Witwe musste sie nach dem Tod des Musikers 1924 versteigern lassen. Der stets aristokratisch auftretende Mann mit dem Nazarenergesicht und den kräftigen Locken war zuletzt völlig verarmt, hatte aber von seinen Privatschülern niemals Geld genommen.

Die kompakte Busoni-Ausstellung in der Kunstbibliothek will keine komplette Biographie zeigen, vielmehr soll an elf Stationen die Grundstimmung und -spannung dieses Künstlerlebens aufscheinen, vom „Wunderkind“ zum „Lehrer“, von den „Reisen“ ins „Exil“. Busoni, Kind zweier Musiker, wächst in der deutschen wie in der italienischen Kultur auf. Er entwickelt ein Gedächtnis, das seine späteren Schüler einschüchtern wird. Ob Literatur oder Partitur – was Busoni studiert, wird seinen markanten Kopf nicht wieder verlassen. Nach einem Opernbesuch kann er ganze Szenen am Klavier nachspielen, das will man hören und sehen.

Kurt Weill nennt ihn den "geistigen Europäer der Zukunft"

Doch Busoni hasst das Reisen immer mehr, wühlt sich, obwohl ein gefeierter Solist, immer tiefer ins Komponieren und in die Musiktheorie hinein. Wenn er doch unterwegs sein muss, schreibt er seiner Frau Gerda mit Abscheu, was ihm unterwegs zustößt. In Essen moniert er die Allgegenwart von Krupp und mokiert sich über die Hofhaltung auf dem „Hügel“. Sich ducken kann Busoni, der Geistesadlige, nicht leiden – schlechtes Essen und zweifelhafte Konzertsäle in Glasgow auch nicht. In Chicago regiere nur das Geld, und keiner höre zu. Er skizziert der Stadt ein neues Wappen mit einem Haufen Schweine, die sich vor einem brennenden Schlachthof selbst auffressen.

Früh beginnt er seine Arbeit als Lehrer, der seine Schüler zu ständigem Selbststudium anhält. Sie spüren die Gegenwart eines unruhigen Geistes, der allen Dingen auf den Grund gehen will. Kurt Weill wird Busoni den „geistigen Europäer der Zukunft“ nennen. Doch in Zeiten, in denen das Nationale erstarkt, wirkt der Freiheitssucher suspekt. Der Erste Weltkrieg zwingt Busoni zeitweise ins Exil. Sein leidenschaftlicher „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ wird von Hans Pfitzner, dem Sprachrohr einer deutschnationalen Musik, mit der Polemik „Futuristengefahr“ polternd beantwortet.

Busoni stößt Türen auf in die Moderne

Musik ist für Busoni eine junge Kunst, „vielleicht im allerersten Stadium einer noch unabsehbaren Entwicklung, und wir sprechen von Klassikern und geheiligten Traditionen!“. Mit Bach beschäftigt sich Busoni sein Leben lang, als dem Anfang, der Urmusik, von der der Weg weiter ins Freie führt, hin zum „abstrakten Klang“. Seine Experimentierfreude lässt ihn nicht nur die ersten elektronischen Klangerzeuger preisen. Busoni stößt Türen auf in die Moderne, zum epischen Theater wie zur Atonalität. Er konfrontiert das Berliner Publikum in seinen „Novitäten-Konzerten mit neuen und selten aufgeführten Werken“. Dafür engagiert er die Philharmoniker und setzt Werke von Sibelius, Debussy, Saint-Saens oder Bartók erstmals aufs Programm.

Die Beispiele aus der gewaltigen Flut seiner Korrespondenz zeigen Busoni als versierten Netzwerker, als Anreger, Herausforderer. Als ihm Schönberg sein Opus 11 zur Aufführung schickt, sendet ihm der unermüdliche Bearbeiter von Bach und anderen Größen eine eigene Fassung zurück. Schönberg ist pikiert, doch alsbald entspinnt sich ein hochinteressanter Austausch über das Wesen der Musik. Für sie allein lebt Busoni, oft mit Vehemenz gegen sich selbst und alle anderen ankämpfend. Schüler Philipp Jarnach, der die Oper „Faust“ nach Busonis Tod komplettierte, entdeckte in den Zügen seines Lehrers „etwas Heroisches und auch etwas Aussichtsloses“. Der Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt bescheinigte Busoni dazu, über „kein Organ für das Spießerglück der Entsagung“ zu verfügen. So blieb er vielen, obwohl bewundert, doch wesensfremd und starb vor seiner Zeit. Für eine Wiederentdeckung ist es nie zu spät.

Kunstbibliothek, Matthäikirchplatz 6, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr, bis 8.1.2017, ein Katalog erscheint im November. Im Rahmen der Ausstellung spielen Musiker des DSO am 26.9., um 20.30 Uhr Werke von Busoni im Carl-Sachs-Saal des Musikinstrumenten-Museums.

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