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Ein VW-Käfer, 1971 gemalt von Don Eddy.

© Museum modernr Kunst Stiftung Ludwig Wien

Ausstellung "Wolfsburg unlimited": Maikäfer flieg

„Wolfsburg unlimited“: Das Kunstmuseum versucht, das große VW-Dorf und seine Autogeschichte zu verstehen.

Ein mörderischer Tanz. Sieben Männer drehen sich umeinander, wie die Speichen eines Rades richten sie ihre Knarren aufeinander. Finster starren sie sich an. Nur langsam löst sich die Formation wieder, die Ganoven weichen grimmig auseinander, drehen dabei noch eine Pirouette, ihre Pistolen und Pumpguns weiterhin vorgestreckt. Wind bläht dabei die Mäntel auf. Am Ende dieses grotesken Gangsterballetts sind die Koffer mit dem Geld getauscht, ist der kunstvoll choreografierte Rückzug vollzogen. Mit quietschenden Reifen drehen die Verbrecherschlitten ihre letzte Runden, bevor sie den Ort des Geschehens, ein Containerterminal, wieder verlassen.

Nur der Zuschauer steht noch da, verblüfft, fasziniert, zwischen gigantischen Containern, die sich rundum bis zu 14 Meter hoch auftürmen. Diese Kulisse ist real, Film und Vorführort greifen ineinander. Julian Rosefeldts neueste Inszenierung präsentiert sich nicht länger als reine Projektion, sie bekommt ihr eigenes Setting, ein Autokino, das zwischen den riesigen Metallboxen eingerichtet ist. Mit echten Autos, echtem Popcorn, echten Betonplatten, zwischen denen kümmerliche Gräser sprießen. In dem hochartifiziellen Schurkenstück des Berliner Videokünstlers mit dem bezeichnenden Titel „The Swap“ geht es um Autos, Geld und taktische Manöver, gespielt mit der Inbrunst des amerikanischen Kinos.

Musterstadt, NS-Stadt, Wirtschaftswunderstadt

„Midwest“, so der Titel des Ensembles, beschreibt mit allegorischen Mitteln ziemlich genau, was gerade in Wolfsburg geschieht in dem großen Abgasskandal. Die überwältigende Installation bildet den Mittelpunkt der Großausstellung „Wolfsburg unlimited“, mit der Rolf Beil im Kunstmuseum der Stadt seinen offiziellen Einstand gibt.

Wohin bin ich hier überhaupt geraten, hat sich der neue Direktor offensichtlich gefragt und gibt sich und den Besuchern seines Hauses auf 4500 Quadratmetern die verschiedensten Antworten. Wolfsburg, diese Musterstadt der Nazis, Autostadt, Wirtschaftswunderstadt, Krisenstadt ist zwar immer ein Sonderfall gewesen und doch exemplarisch, so die These von Beil. Auch wenn hier die Schornsteine von VW statt einer Kathedrale wie andernorts als Wahrzeichen aufragen, in Wolfsburg zeigt sich Deutschland zur Kenntlichkeit entstellt.

Der Kulturhistoriker, zuletzt Direktor der Mathildenhöhe in Darmstadt und auch dort Kurator großer Themenausstellungen etwa zu Expressionismus und Georg Büchner, geht es zunächst streng chronologisch an, mit den frühesten Funden von 10 000 v. Chr., Knochen und Horn eines Auerochsen, schließlich einem Einbaum, mit dem 1000 v. Chr. die Jäger und Sammler durch das Ursprungstal der Aller glitten. Zum vierrädrigen Fortbewegungsmittel ist es von hier aus nicht mehr weit. Im diesem grünen Nichts soll 1938 die „Stadt des KdF-Wagens“ gegründet werden, die schönste Stadt Deutschlands, so die Vision des Führers, nur müssen zuvor die von der Schulenburgs ihr Land hergeben im Tausch gegen ein Schloss, das ihnen der Architekt Paul Bonatz entwirft.

Die Glasfassaden des Bösen

Baupläne, Fotos von der Einweihung, Konstruktionszeichnungen erzählen die Geschichte einer Retortenstadt, die einzig auf die Produktion eines Autos ausgerichtet ist: komplett verflochten mit dem NS-Regime und rundum von Konzentrationslagern flankiert, um die Arbeitskraft der dort Gefangenen auszubeuten. Die Ausstellung schlägt grobe Achsen, rast durch die Zeit. Ihr essayistischer Charakter erlaubt Sprünge, Spielereien mit Assoziationsmaterial. Langweilig wird es nie, zur Vertiefung braucht es allerdings den kiloschweren Katalog. Manche historische Karte, manch Gemälde erschließt sich sonst nicht. Ausschnitte aus dem Werner-Schroeter-Film „Palermo oder Wolfsburg“ erinnern an den Zuzug der Fremdarbeiter aus Italien, Tom Tykwers Banken-Krimi „The International“ macht Wolfsburgs gläserne Fassaden zur Heimstatt des Bösen. Hier befindet sich die Schau bereits dicht am aktuellen Geschehen. Nicht mehr als Anthropozän ist unser Zeitalter zu bezeichnen, sondern als Kapitalozän, in dem unsichtbare Geldflüsse alles beherrschen. Noch allerdings wird in der Autostadt produziert.

Wolfsburg liefert für alles das schönste Anschauungsmaterial. Hier lassen sich politische, ökonomische, urbane Strukturen wie unter einem Brennglas studieren, hier gibt es auch die dazugehörigen Protagonisten als Hauptdarsteller des Narrativs. Nach Hitler war es der erste Generaldirektor der Nachkriegszeit, Heinrich Nordhoff, auch König Nordhoff genannt, dessen Volk aus seiner 127 000-köpfigen Belegschaft und deren Familien bestand. Das ganze Unternehmergehabe der Fünfziger mit Großwildjagd, Ausstellungen der rehabilitierten Moderne und zuletzt einer staatstragenden Beerdigung wird hier ausgebreitet. Der Abstand zur traurigen Gestalt, die der damalige Vorstandschef Winterkorn liefert, als er vor laufenden Kameras die vertuschten Emissionswerte zu erklären versucht, könnte nicht größer sein. Leonardo DiCaprio soll sich daran die Filmrechte gesichert haben.

Melancholie als Lokaldenkmal

Den historischen Parcours unterbrechen Werbestrecken aus den Sechzigern für den Käfer, dazwischen die grandiosen Werk-Fotografien Peter Keetmanns, die bizarren Unfallbilder Arnold Odermatts oder Peter Bialobrzekis erst jüngst entstandenes „Wolfsburg Diary“, mit dem er seiner schon vor vielen Jahren verlassenen Heimatstadt ein Denkmal setzt: Melancholie pur. Den Künstlern der Gegenwart obliegt es, diese insgesamt eher triste Bestandsaufnahme aufzulockern, was John Bock wie immer mit fantastischem Irrsinn gelingt. Der Berliner Performer erinnert in seiner Installation an Scharoun, der Stück für Stück die Verkleinerung seines Theaterbaus hinnehmen musste. Der gebeutelte Architekt tritt im Puppenspiel gegen den fiesen Mies an, der sich mit seinen rechten Winkeln sehr viel besser durchzusetzen verstand.

Ein anderer Wolfsburger Verlierer ist der Ingenieur Josef Ganz, der den Käfer erfand und 1933 wegen seiner jüdischen Wurzeln emigrieren musste. Rémy Markowitsch würdigt ihn mit einer Installation. Die Melodie des Schlafliedes „Maikäfer flieg“ bleibt dem Besucher lange noch im Ohr. Der Mythos Wolfsburg ist zwar demontiert, dafür hat die Geschichte neue Helden gewonnen.

Kunstmuseum Wolfsburg, bis 11. September, Katalog (HatjeCantz) 35 €.

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