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Ausstellung: „The Paper Revolution": Sowjet-Grafikdesign bleibt laut - und unerläutert

Als die Utopie noch lebte: Das Bröhan-Museum zeigt frühsowjetisches Grafikdesign. Sie gibt einen guten Überblick über die Fülle an Ideen.

Einst startete das Bröhan-Museum als Heimstatt für Kunst des Jugendstils und des Art déco. Später nahm es auch „Funktionalismus“ in seinen Namen auf. Nun zeigt es eine Ausstellung, die keins davon ist: „The Paper Revolution. Sowjetisches Grafikdesign der 1920er und 1930er Jahre“ lautet der Titel der Übernahme der vom Moskauer Design-Museum zusammengestellten Übersicht. Sie zeigt das der Propagierung der Sozialistischen Revolution gewidmete Design in Plakaten, Zeitschriften und Büchern.

In der Buchgestaltung waren die freiesten Experimente möglich, so bei den Einbänden von El Lissitzky oder Alexander Rodtschenko für den Revolutionspoeten Majakowski. Vielfältig tätig als Herausgeber war in den zwanziger Jahren Alexej Krutschonych, dessen eigenes Buch zur Kunstsprache „Zaum“ von Valentina Kulagina gestaltet wurde. Sie war die Frau des im Großen Terror 1938 erschossenen Gustav Klutsis, der gleichfalls Bücher von Krutschonych gestaltet hat.

Krutschonych ist hierzulande zumindest als Dichter der futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“ von 1913 bekannt. Aber all dies erfährt man in der kleinen, feinen Ausstellung nicht, deren Objekte ohne nähere Erläuterung denn doch ein bisschen arg in der Luft hängen. Welcher Besucher versteht schon die Parole „2 + 2 = 5“ auf dem Plakat von Jakov Guminer, der mit der forcierten Industrialisierung unter Stalin und dem ersten Fünfjahrplan nicht vertraut ist? Die Forderung nach noch schnellerer Planerfüllung war für die Sowjetmenschen bitterer Ernst; anders als das scheinbar so drohende Wort „Streik“ auf einem einige Jahre älteren Plakat: Das kündigt lediglich einen Film an, den freilich hochbedeutenden Streifen dieses Titels von Sergej Eisenstein.

Die Ausstellung gibt einen ersten Eindruck

Zahlreich vertreten sind die Zeitschriften, darunter aus den noch halbwegs freien 20er Jahren ein Exemplar von „Lef“. In einer Vitrine finden sich drei Ausgaben der späteren, für die Elite und fürs Ausland gedruckten Zeitschrift „USSR im Bau“ – wie der Titel der deutschsprachigen Ausgabe lautete –; auch sie bedürften der Erläuterung. Ein wenig kann der Besucher dem Postkarten-Set entnehmen, das anstelle eines Kataloges erhältlich ist: Da mag er anhand der Lebensdaten erraten, dass die drei als Herausgeber genannten Personen allesamt im Großen Terror umkamen – ungeachtet ihrer Stalin-treuen Haltung.

Insgesamt gibt die Ausstellung einen ersten optischen Eindruck von der Fülle der grafischen Ideen (und dem Mangel an Papier und Druckmaschinen), die die Vorkriegs-Sowjetunion kennzeichnen. Wie deren Schattenseiten aussahen, jenseits der ständigen Produktions-Parolen, lässt ein Plakat erahnen, das Fotos abgerissener Straßenkinder zeigt: Es gab infolge von Revolution und Bürgerkrieg Mitte der 20er an die sechs Millionen verwaister Kinder und Jugendliche, die auf den Straßen der rapide wachsenden Großstädte ihr Leben fristeten. Für sie wurden die ersten Erziehungslager errichtet – ein Konzept, das sich bald auch auf Erwachsene erstreckte. Wohin das führte, ist bekannt.

Bröhan-Museum, Schloßstraße 1a, bis 21. Januar, Di–So 10–18 Uhr. Kein Katalog.

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