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Picassos „Büste eines schreibenden Mannes", Öl auf Leinwand, 1971.

© RMN-Grand Palais (Musée National Picasso - Paris)/Gérard Blot

Ausstellung im Musée du Quai Branly: Picasso und Afrika

Außereuropäische Masken, Statuen und Fetische faszinierten Picasso und beeinflussten sein künstlerisches Schaffen maßgeblich. Eine Pariser Ausstellung begibt sich auf Spurensuche in seinem Werk.

1907 ging der junge Pablo Picasso (1881–1973) erstmals ins Pariser Musée du Trocadéro, wo die zur Weltausstellung von 1878 herangeschafften Objekte aus Afrika und Ozeanien mehr lagerten denn ausgestellt waren. Der Besuch bedeutete eine Wende in seinem Leben. Noch Jahrzehnte später entsann er sich des Schreckens, der ihm in den verstaubten Sälen des Museums widerfahren war.

„Als ich mich das erste Mal ins Trocadero-Museum begab, packte mich ein Geruch von Moder und Verwahrlosung an der Gurgel. Ich war so fertig, dass ich sofort gehen wollte. Aber ich zwang mich zu bleiben und diese Masken zu untersuchen, alle diese Objekte, die Menschen in heiliger, magischer Absicht angefertigt hatten, damit sie ihnen als Vermittler zwischen ihnen selbst und den unbekannten, feindlichen Kräften dienen, die sie umgaben, in dem Bestreben, ihre Furcht zu überwinden, indem sie ihnen Farbe und Form gaben …“ Das ist, Jahre später formuliert, eher das Ergebnis längeren Nachdenkens als des spontanen Eindrucks, aber es ist erhellend. Denn Picasso betont gerade nicht die Ästhetik der außereuropäischen Objekte, sondern ihre magische Dimension.

Maske der Dan (Elfenbeinküste), Anfang des 20. Jahrhunderts.
Maske der Dan (Elfenbeinküste), Anfang des 20. Jahrhunderts.

© RMN-Grand Palais (Musée National Picasso - Paris)/Sandrine Expilly

Später allerdings reagierte Picasso unwirsch auf Fragen nach der Bedeutung außereuropäischer Kulturen für sein eigenes Werk. Er wollte als alleiniger Schöpfer gelten. Dabei wurde es seit der Zeit um 1910 geradezu Pflicht eines jeden Künstlers, in einem Völkerkundemuseum zumindest einmal vorbeigeschaut zu haben. Die Veröffentlichung von Carl Einsteins Buch „Negerplastik“ in Leipzig 1915 hatte Furore auch innerhalb der Pariser Avantgarde gemacht. Es war die erste kunsthistorische Beschäftigung mit den Sammlungen der Völkerkunde.

Über die ästhetische Nähe zwischen dem, was man ab 1910 im damaligen Jargon „Negerkunst“ nannte, und der Kunst der Moderne ist viel geschrieben worden. Ihren Höhepunkt erreichte diese Betrachtungsweise mit der Ausstellung „Primitivismus“, die William Rubin, der legendäre Kurator des Museum of Modern Art, dort 1984 veranstaltete. Picasso macht es einem einfach, eine unmittelbare Beziehung, ja Verwandtschaft zu sehen; als ob es das zitierte Selbstzeugnis nicht gäbe. Jetzt ist es bezeichnenderweise nicht das Picasso-Museum in Paris, sondern das dortige Musée du Quai Branly, das Ethnologische Museum, das diese Beziehung unter dem Titel „Picasso primitif“ unter die Lupe nimmt.

Sie geht aus von der Beobachtung, dass Picasso die von ihm im Laufe der Jahrzehnte in großer Zahl erworbenen Masken, Statuen und Fetische immer um sich herum hatte. Seine diversen Ateliers sind fotografisch bestens dokumentiert – und überall lugt ein afrikanisches oder ozeanisches Objekt hervor, liegt scheinbar achtlos in der Ecke oder neben Farbtöpfen auf einem Tisch, ist aber im Raum präsent. Als etwas, „das unseren Ängsten wie unseren Begierden eine Form aufdrückt“, wie Picasso ausgeführt hat: „An dem Tag, als ich das begriffen hatte, wusste ich, dass ich meinen Weg gefunden hatte.“

Picasso im Atelier, um 1910. Diese Fotografie erschien zum Artikel „The Wild Men of Paris“ von Gelett Burgess in der Zeitschrift „Architectural Record“ vom Mai 1910, der ersten Dokumentation der afrikanischen Objekte im Atelier des Künstlers.
Picasso im Atelier, um 1910. Diese Fotografie erschien zum Artikel „The Wild Men of Paris“ von Gelett Burgess in der Zeitschrift „Architectural Record“ vom Mai 1910, der ersten Dokumentation der afrikanischen Objekte im Atelier des Künstlers.

© RMN-Grand Palais (Musée National Picasso - Paris)/Madeleine Coursaget

Diesen „Weg“ zeichnet die Ausstellung als chronologische Folge von Begegnungen mit verschiedenen Objekten nach, die in Picassos Werk ihre Spuren hinterließen. Am Anfang steht jene als „Tiki“ bezeichnete „große hölzerne oder steinerne Ahnen- oder Götterfigur polynesischer Kulturen“, wie uns Wikipedia belehrt, während es in Paris umstandslos als bekannt vorausgesetzt wird. Dahinter eine Reproduktion des unausleihbaren Schlüsselwerks Picassos, der „Demoiselles d’Avignon“ aus jenem Jahr 1907. Zwei der fünf jungen Damen – ob nun Prostituierte oder nicht – hat Picasso erkennbar als „primitif“, wie der Ausstellungstitel besagt, also „ursprünglich“ umgestaltet.

Danach steht sein kohleofenbeheiztes Atelier mit einem Mal voller Objekte; ob aus dem Kongo oder Neu-Kaledonien, spielt keine Rolle. Seine Freunde und Bekannten wissen um seine Sammelleidenschaft und bieten immer neue Stücke an. Es ist in der Ausstellung faszinierend zu sehen, wie diese Objekte mit Gemälden korrespondieren, wie der Maler, der Bildhauer, der Bastler und Verwandler Picasso seine eigenen Obsessionen im Wortsinne „objektiviert“ und sich ihrer entledigt. Oder sie zumindest bändigt.

In der Konfrontation mit den Kultobjekten verblasst die stilgeschichtliche Einteilung, die an Picassos riesenhaftem Œuvre stets vorgenommen wurde. Es war schon immer verwirrend, den Künstler mal „kubistisch“, mal „klassisch“, vor allem aber ganz eigen malen und schaffen zu sehen.

Picassos Bilder künden vom Kampf und Ringen mit Dämonen

Im Musée du Quai Branly, das im Obergeschoss Aberhunderte von Objekten der verschiedensten Kulturen vorstellt, das zum Bersten angefüllt ist mit Magie und magischem Denken, schwindet die Ehrfurcht gebietende Größe der Werke Picassos auf ein humanes Maß. Man lernt zu sehen, dass die Bilder verkanteter, verdrehter und verzerrter Figuren nicht so sehr vom Streben nach künstlerischer Vollendung künden – wie bei seinem großen Antipoden, dem Lebensbejaher Matisse –, sondern von Kampf mit den Dämonen. Bisweilen auch vom heiteren Ringen.

Eine solche Konfrontation, die die außereuropäischen Objekte nicht zu bloßen Stichwortgebern verkleinert, sondern ihre Bedeutung hervortreten lässt, die sich eben nicht in ästhetischer Vollkommenheit erschöpft, wäre ein Modell für das Berliner Humboldt-Forum. Die Kunst der Moderne ist nicht auf derselben begrifflichen Ebene angesiedelt wie die magischen Objekte der Fremde. In Paris ist dieser abgrundtiefe Unterschied zu begreifen – aber eben auch die Verwandtschaft in der Bändigung einer unerklärlichen, bedrohlichen Außenwelt. Auf ihre je eigene Weise helfen die Objekte den Menschen, sich ihres Platzes in der Welt zu vergewissern.

Im Pariser Kolonialmuseum ist er Ehrengast

Bis hierhin war es ein langer Weg, gerade auch in Paris. Frankreich als Kolonialmacht feiert seine imperiale Größe und zivilisatorische Mission 1931 mit der Eröffnung eines eigenen „Kolonialmuseums“. All das hat Picasso gesehen und gekannt. Bei den Eröffnungsfeiern im nunmehr „Ethnografisches Museum“ benannten Trocadéro, wie im hervorragenden Katalog nachzulesen ist, zählt er zum Kreis der Ehrengäste.

Im zweiten Teil der jetzigen Ausstellung versucht Kommissar Yves Le Fur eine Gegenüberstellung von Objekten und Picasso-Werken anhand der weit gespannten Begriffe „Archaismen“, „Metamorphosen“ und „Das Es“. Was zählt, ist die „Präsenz“ der Werke, Picasso setzt auf die Unmittelbarkeit des Werks. Von den Stillleben – eher Fingerübungen – abgesehen, kreist Picasso um den menschlichen Körper. Auch seine wenigen, aber für das Œuvre zentralen Historienbilder wie „Guernica“ von 1937 oder „Massaker in Korea“ von 1951 sind Bilder der gequälten, geschundenen, aufbegehrenden Körper.

Picasso ist der Magier nach dem Ende magischen Denkens

Nun lassen sich auch die Assemblagen, die Material-Zusammenstellungen Picassos aus späteren Jahren anders sehen: nicht als humorvolle Spielereien mit den ästhetischen Möglichkeiten disparater Gegenstände, sondern als magische Beschwörung, etwa der „Mutter mit Kinderwagen“ von 1950. Über das „Es“ bei Picasso braucht man schon gar kein Wort zu verlieren. In seinem Bild gewordenen Begehren ist es offensichtlich – und es verstörte etwa jene Kunstkenner, die seine späten Arbeiten im Papstpalast zu Avignon sahen, als diese 1973 aus dem Nachlass des Verstorbenen dort ausgestellt waren. Sie offenbarten eine Lebensgier, die sich an keinerlei künstlerische Konvention mehr hielt.

Freilich, die „ursprünglichen Künste“ besaßen Konventionen, die eingehalten wurden. Oder sind das nur die Erklärungsversuche der Ethnologen? Die Kraft der Objekte, die in der Pariser Ausstellung gegen Ende hin etwas zu theatralisch inszeniert werden, liegt gerade in ihrer Unfasslichkeit. Sie lassen sich mit der abendländischen ratio nicht dingfest machen. „Ein Bild kommt zu mir von weither, wer weiß von wie weit“, hat Picasso 1935 zu seinem getreuen Eckermann Christian Zervos gesagt. „Auf welche Weise kann jemand meine Träume, meine Wünsche, meine Gedanken durchdringen (…), so dass sich daraus ergibt, was ich mir vorgenommen habe zu machen, vielleicht gegen meinen Willen?“

Das ist sicher auch Picassos Selbststilisierung. Es ist aber zugleich, wie die Ausstellung eindrucksvoll zeigt, weit mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Picasso ist der Magier nach dem vermeintlichen Ende des magischen Denkens.

Paris, Musée du Quai Branly (nahe Eiffelturm), bis 23. Juli. Katalog bei Flammarion, 49,90 €. Englische Ausgabe in Vorbereitung. Mehr unter www.quaibranly.fr

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