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Sehen und fühlen ist eins. Für die Berliner „Hommage“ reiste der Potsdamer „Ungläubige Thomas“ an. Foto: © bpk/SPSGBB, Foto: G. Murza

© bpk | Stiftung Preussische Schlö

Ausstellung: Caravaggio: Ein Berliner Liebesgruß

Wunder und Wunden: Die Gemäldegalerie hat zu Caravaggio ein ganz besonderes Verhältnis. Der Berliner "Liebesgruß" weckt zärtliche Gefühle.

An Caravaggio kann man sich nicht satt sehen: lebenspralle Bilder, schmeichelndes Licht, die aus der Leinwand geradezu heraustretenden Figuren. Das Jubiläumsjahr zum 400. Todestag des italienischen Malers hat eine weitere Welle der Begeisterung ausgelöst, neue Publikationen und eine Ausstellung in Rom, die eine Rekordzahl an Werken aus der Hand des Meisters vereinte, 24 insgesamt. Bei einem solchen Gipfeltreffen musste auch der Berliner „Amor“ mit von der Partie sein, den die Gemäldegalerie sonst nicht auf Reisen entlässt.

Der Berliner „Liebesgruß“, wie Galeriedirektor Bernd Lindemann seine Leihgabe charmant nennt, weckte dafür auch bei den Capitolinischen Sammlungen zärtliche Gefühle. Aus Rom wurde nun als Dankeschön „Johannes der Täufer“ vorübergehend nach Berlin entsandt, wo nun die beiden nackten Knaben nebeneinander hängen und die Berliner „Hommage an Caravaggio“ zu einem Fest machen. Für beide Bilder stand derselbe braun gelockte Bursche mit dem spitzbübischen Gesicht und dem Alabasterkörper Modell. Während bei dem Berliner „Amor“ die Federn des Flügels seine nackte Haut sinnlich betasten, hat der römische Johannes seinen Allerwertesten auf Fell platziert und lässt den Betrachter die Berührung förmlich spüren.

Dieser Maler musste Emotionen wecken, nicht nur durch seinen provozierenden Lebenswandel. Die Berliner Ausstellung zeigt die künstlerischen Reaktionen, die eine solch überragende Figur auslöste. Selbst wer seine Bilder nicht direkt studieren konnte, setzte sich mit seinen Bilderfindungen, Figurenkombinationen, kühnen Lichtsetzungen auseinander – bis hin zu Rembrandt, der den Italiener nur durch die Werke der Utrechter Caravaggisten kannte. Die Gemäldegalerie führt den Kreis seiner Verehrer, Freunde und Feinde zusammen, kraft ihres eigenen Sammlungsbestandes. Durch einfaches Umhängen in den Sälen, die nordalpine Kunst zu Gast bei den Italienern, eröffnet sich eine neue Schule des Sehens.

Und doch hat sich die Gemäldegalerie zwei zusätzliche Leihgaben ins Haus geholt, die das Unternehmen zu einem spektakulären Ereignis machen. Neben dem „Amor“ gibt es nur einen weiteren Caravaggio in deutschen Sammlungen: den „Ungläubigen Thomas“ aus der Bildergalerie von Schloss Sanssouci. Beide waren für den Marchese Vincenzo Giustiniani entstanden und 1815 von Friedrich Wilhelm III. für seine Sammlung erworben worden. Auch der „Ungläubige Thomas“ darf eigentlich nicht reisen; bis zur Wiedereröffnung der Potsdamer Galerie wurde er ausnahmsweise umquartiert. Nun hängt er neben einem Werkstattbild des Franzosen Georges de la Tour, der sich von den Lichteffekten des temperamentvollen italienischen Kollegen animieren ließ. Bei Caravaggio steckt der ungläubige Apostel seinen Finger brutal in die Wunde des Wiederauferstandenen, über die Schulter misstrauisch verfolgt von zwei weiteren Jüngern. Sehen und Spüren greifen hier ineinander; das ganze Bild ist eine Apotheose des Augensinns. Auch bei de la Tour reagieren im spärlich ausgeleuchteten Raum mehrere Figuren auf einen Gemarterten. Sie können jedoch nur noch dessen Tod konstatieren, die Fackel tragende Dienerin fühlt apathisch den Puls der schlaff hängenden Hand des Heiligen Sebastian. In diesem Raum herrscht resignierte Stille statt knisterndes Staunen wie bei Caravaggio.

Fast en passant bringt Kurator Roberto Contini einen möglichen vierten Caravaggio ins Spiel, das Bildnis eines bärtigen Mannes von 1609. Das aus einer Privatsammlung stammende Gemälde auf Pappelholz wäre eine Ausnahme im Oeuvre Caravaggios, der bis auf ein weiteres Gemälde nur auf Leinwand malte. Doch zeigt der Bärtige verblüffende Ähnlichkeit mit jenem ebenfalls von Caravaggio porträtierten Marcantonio Martelli, für den er auch den „Schlafenden Cupido“ malte. Die Berliner „Hommage“ liefert also auch Gelegenheit zur Neuentdeckung.

Wie sehr sich die Berliner Kuratoren nach neuen alten Caravaggios verzehren, zeigt die Präsentation der drei seit dem Krieg vermissten Gemälde. In Originalformat hängen sie als Schwarzweiß-Reproduktion in einem separaten Saal: Selbst in den Grautönen ist „Der heilige Matthäus mit dem Engel“ überwältigend. Hinzu kommen das „Brustbild einer jungen Frau“ und „Christus am Ölberg“, die mit über 400 weiteren ausgelagerten Gemälden im Flakbunker in Friedrichshain im Mai 1945 verbrannten. Durch die weggeworfene Zigarette eines russischen Soldaten soll das Depot in Flammen aufgegangen sein.

Galeriedirektor Bernd Lindemann glaubt nicht daran und hält sich als letzte Hoffnung an die Aussage eines Kunsthändlers, der das Gemälde in einer Außenstelle der Eremitage gesehen haben will. Die Möglichkeit, dass all die Caravaggios, Raffaels und Rubens’ als Kriegsbeute nach Russland gelangten, besteht durchaus. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind ganze Museumsbestände in der ehemaligen Sowjetunion wieder aufgetaucht. Einen Schnitt ins Herz dürfte den Kuratoren der Gemäldegalerie da erst recht die kleine Ausstellung ab 14. Januar in der benachbarten Matthäikirche machen: Der finnische Maler Antero Kahila hat auf der Grundlage farbiger Kataloge und vergleichender Analysen mit noch existierenden Werken Caravaggios den vermissten „Heiligen Matthäus mit dem Engel“ nachgemalt. Er bleibt ein frommer Wunsch.

Auf der Suche nach Werken des Meisters bietet sich auch das Kupferstichkabinett an. Bislang hat man angenommen, dass Caravaggio nicht zeichnete. Die neueste Forschung hegt Zweifel an den Aussagen der Zeitgenossen und hofft, in grafischen Sammlungen auf Blätter zu stoßen, die unter falschem Namen firmieren. Als begleitende Ausstellung präsentiert deshalb das Kupferstichkabinett in der Gemäldegalerie Zeichnungen von Weggefährten und Nachfolgern des Italieners.

Unter den 16 Blättern befindet sich auch ein Werk Giovanni Bagliones, der alles andere als ein Freund Caravaggios war und einen Verleumdungsprozess gegen den Konkurrenten initiierte. Die Feindschaft trieb ihn zu Höchstform: Gleich neben Caravaggios „Amor als Sieger“ hängt sein Gemälde „Der himmlische Amor besiegt den irdischen Amor“. Die Ähnlichkeit des am Boden liegenden Knaben mit Caravaggios Modell ist offensichtlich. Für die Kunstgeschichte sollte dennoch Caravaggio Sieger bleiben.

Gemäldegalerie, Kulturforum, bis 6. März.; Di–So 10–18, Do bis 22 Uhr.

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