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Klarer Klang. Die vier Musiker des Arditti Quartetts.

© Astrid Karger

Arditti Quartett im Pierre Boulez Saal: Markant

Das Arditti Quartett gibt sein Debüt im Pierre Boulez Saal mit zwei neuen Quartetten und Werken aus den 20er Jahren.

So viele Werke haben sie uraufgeführt, jetzt steht mal eine Premiere fürs Arditti Quartett selbst an: das Debüt im Pierre Boulez Saal. Der dabei fast an die Grenzen seiner Kapazität gerät. Krise der Neuen Musik? An Abenden wie diesem mag man es nicht glauben. Obwohl sie die Schuhspitzen des Publikums fast an den Knöcheln spüren, lassen sich die vier Musiker kaum aus der Ruhe bringen. Und spielen ein Programm, das so fein ineinander verwoben ist wie die Stücke selbst – mit zwei neuen Quartetten aus Frankreich, gerahmt von Werken aus den mittleren 20er Jahren, von denen das spätere in direkter Reaktion auf das frühere entstanden ist: Béla Bartók komponierte sein drittes Streichquartett 1927 unter dem Eindruck der Lyrischen Suite von Alban Berg. Der lässt im Allegro misterioso den ersten Teil spiegelbildlich wiederholen.

Bei Bartók zunächst ein Tasten im Klangmeer, aus dem nur einzelne Volksmusikmotive scharfkantig hervorragen. Klarer im Klang dann Philippe Manourys 4. Streichquartett „Fragmenti“ (2015). Elf kurze Sätze mit Titeln wie „Passaggio“, „Furia“ oder „Episodio“. Nachdem Irvine Arditti die Saite gerissen ist, fürchtet man bei den aggressiven Pizzikati der „Serenata“ – unnötig – um die Integrität seines Instruments. Das Quartett legt ein engagiertes Plädoyer für das Stück ein, das Manoury für sie geschrieben hat. Trotzdem hinterlässt sein Schaufenstercharakter, der alle möglichen Formen durchdekliniert, ein Schulterzucken.

Flüsternde mikrotonale Klangflächen

Was „Quatuor II“, das zweite Streichquartett aus dem Nachlass des 2010 mit 29 Jahren verstorbenen Christophe Bertrand, definitiv nicht tut. Es entsteht aus flüsternden mikrotonalen Klangflächen, hervorgerufen durch kleinste Unterschiede in der Überlagerung der Stimmen, strukturiert von Abbruchkanten und schockhaften Schnitten. Nach nur zwölf Minuten kommt der scheinbar endlose Bewegungsablauf plötzlich zum Stillstand, ein Nicht-Mehr-Weiterkönnen, das in seiner berührenden Drastik an Franz Schubert erinnert. Schließlich die Lyrische Suite in der Fassung für Streichquartett: Einschüchternd die biografischen Assoziationen, die Berg hineinkomponiert hat, allein die beiden Motive um die Töne b-a und f-h, die für ihn und die kurz und heftig geliebte Hanna Fuchs stehen. Das Arditti Quartett zeigt, dass man sie nicht alle (er-)kennen muss, um die Suite als prachtvoll und erschütternd genießen zu können. Lange wartet Lucas Fels, bevor er mit dem gezupften Pianissimo des Cellos den letzten Satz – Largo desolato – einläutet. In dem das berühmte Zitat des Wagner’schen Tristan-Akkords umso heller und unbarmherziger hervorsticht. Jubel im Saal.

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