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Amy Winehouse ist tot: Pop-Sorgenkind stirbt mit 27 Jahren

Amy Winehouse ist tot. Die große Soulsängerin starb in London mit 27 Jahren – genau wie Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain.

Von Jörg Wunder

Hat man es kommen sehen? Oder hatte man sich an die Bilder und Nachrichten schon so gewöhnt, dass man hoffte, es würde irgendwie alles gut gehen? Erst vor knapp einem Monat ist es wieder passiert, bei einem Konzert in Belgrad vor 20 000 Zuschauern. Amy Winehouse wirkt von Anfang an neben der Spur, ist mutmaßlich abgefüllt mit Hochprozentigem. Sie trifft die Töne kaum, singt am Rhythmus ihrer Begleiter vorbei, an deren Namen sie sich bei der Bandvorstellung ebenso wenig erinnern kann wie an den Namen der Stadt, in der sie gerade auftritt. Gnadenlos ausgebuht, kurz vor dem Zusammenbruch, muss sie nach knapp über einer Stunde von Ordnern von der Bühne geführt werden. Alle weiteren Termine ihrer Europatournee werden abgesagt. Nicht das erste Mal in der langen, an spektakulären und traurigen Abstürzen reichen Skandalchronik der britischen Soul-Sängerin. Aber das letzte Mal: Am Samstag ist Amy Winehouse unter bislang noch ungeklärten Umständen gestorben.

In den wenigen Jahren ihrer Karriere wurde Amy Winehouse zur größten Soul-Sängerin des 21. Jahrhunderts. Aufgewachsen in Southgate, einer einfachen Wohngegend im Norden Londons, kommt die Tochter eines jüdischen Taxifahrers und begeisterten Hobbytrompeters und einer Apothekerin früh mit Musik in Kontakt. Ihr älterer Bruder lässt sie auf seiner Gitarre herumschrammeln, ihre Großmutter fördert Amys Aufnahme in eine private Theaterschule, als sie neun ist. Mehrere, offenbar nicht immer freiwillige Schulwechsel deuten auf ein explosives Temperament schon im Teenageralter hin. Später studiert sie an der renommierten BRIT School for Performing Arts & Technology in London, einer staatlichen Kaderschmiede, wo im vergangenen Jahrzehnt fast die gesamte Elite junger britischer Popsängerinnen von Adele und Kate Nash bis Leona Lewis und Katie Melua irgendwann eingeschrieben war.

Amy Winehouse hat das Glück, dass ihr stimmliches Talent zwar früh genug, aber nicht zu früh entdeckt wird. Anders als etwa bei Joss Stone, die schon mit 16 ein gefeiertes Album aufgenommen hat, dessen Ruhm sie bis heute nachläuft. Amy Winehouse ist 20, als 2003 ihr Debüt „Frank“ erscheint, im selben Jahr wie das von Joss Stone, und es steht zunächst durchaus im Schatten der jüngeren Kollegin. „Frank“, aufgenommen mit dem Produzenten Salaam Remi, zu dessen bekanntesten Kunden die Hip-Hop-Stars The Fugees und Nas gehörten, ist ein Grower: eine zunächst unspektakuläre, gediegen instrumentierte, warm klingende Platte mit starkem Retro-Appeal, nicht unähnlich den Alben ihrer britischen Konkurrentin Macy Gray, aber geschmackvoller und in sich stimmiger. Eher Jazz als Soul, dabei aber so gut gesungen, dass Amy Winehouse schon bald mit einigen der ganz Großen des Genres verglichen wird: Sarah Vaughan oder Nina Simone werden als Referenzen genannt. In England verkauft sich die Platte fast eine Million mal.

Höhepunkt der Karriere: Das Album "Back to Black". Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Und doch ist „Frank“ nur ein laues Lüftchen gegen den Wirbelsturm, den drei Jahre später ihr zweites Werk entfacht. „Back to Black“ ist der programmatische Titel des Albums, denn in der Tat: schwärzer wird es nicht. Was sowohl musikalisch wie inhaltlich gemeint ist. Die elf Songs erweisen sich als grandiose Hommage an den Soul der Sechziger, vor allem an die existenziellen Girlgroup-Dramen aus dem Hause Motown und aus dem Talentpool des genial-verrückten Produzenten Phil Spector. Fünf Stücke wurden wieder von Salaam Remi produziert, doch es ist das halbe Dutzend der mit Mark Ronson eingespielten Songs, die aus der Platte eine Sensation machen.

Denn hier kommt alles zusammen: die fantastische Stimme der zur vollgültigen Soul-Diva gereiften Amy Winehouse, die wie keine ihrer Zeitgenossinnen elementare Gefühle – Schmerz, Leidenschaft, Wollust, Reue, Wut – in ihren Vortrag legen kann, und die Passion eines wahren Musikverrückten. Für den in New York lebende Briten Mark Ronson ist die Wiederbelebung der Soulmusik der Sechziger keine an den Erfordernissen des Musikmarkts orientierte Modeerscheinung, sondern eine Lebensaufgabe.

Mit fanatischer Detailverliebtheit und einer großartigen Musikercrew, den Dap Kings, schneidert er Winehouse ein Soundgewand, das zugleich nostalgisch und hochaktuell klingt. Das Ergebnis ist sensationell: eine dramatischere Soulballade als das mit endzeitlicher Wucht gesungene Titelstück wird es so schnell nicht wieder geben. Dancefloor-Stomper wie „You Know I’m No Good“ oder „Rehab“ mit den prophetischen Textzeilen „They tried to make me go to Rehab / I said no no no“ sind schon jetzt Evergreens.

„Back to Black“ wird ein beispielloser Erfolg: das weltweit bestverkaufte Album 2007 und sogar 2008 noch die am zweitmeisten verkaufte Platte des Jahres – von der Spitze verdrängt nur durch das Debütalbum von Lady Gaga. Im Gegensatz zu der exaltierten Pop-Königin aus New York hatte Amy Winehouse allerdings keinen Masterplan, um die Folgeerscheinungen ihres plötzlichen Superstar-Daseins abzufedern. Die Jahre seit dem Erscheinen von „Back to Black“, also seit 2006, scheinen eine einzige Abfolge von persönlichen Abstürzen und beruflichen Rückschlägen gewesen zu sein, wobei man nicht selten als Außenstehender den Eindruck hatte, die voyeuristische Berichterstattung der Medien würde zumindest die Wahrscheinlichkeit der sich anbahnenden Katastrophe erhöhen.

Zwar erwirkt Amy Winehouse Gerichtsbeschlüsse, die es Paparazzi verbieten, sich ihrer Wohnung zu nähern, doch letztlich sind es ihre bestürzenden öffentlichen Auftritte selbst, die sie immer wieder ins grelle Scheinwerferlicht von Boulevardpresse und Prime-Time-Newssender zerren. Alles wird auf den Gossip-Seiten ausgebreitet: Alkohol- und Tablettensucht, Bulimie, Magersucht, Festnahmen wegen Drogenbesitzes, ihre kurze, turbulente Ehe mit dem Videoproduzenten Blake Fielder-Civil. Dazwischen gibt es immer mal wieder ein gelungenes Konzert oder einen lichten Moment der Selbsterkenntnis, was die Hoffnung nährt, eine der größten Stimmen der letzten Jahrzehnte könnte vielleicht noch die Kurve kriegen. Denn Amy Winehouse war ja nicht das einzige prominente Pop-Sorgenkind. Auch ihr Landsmann Pete Doherty etwa schlittert seit Jahren haarscharf am Abgrund vorbei, schafft es aber irgendwie, am Leben zu bleiben. Er sah zuletzt sogar etwas gesünder aus.

Amy Winehouse hat dieses Glück nicht gehabt. Sie ist 27 Jahre alt geworden, womit die Pop-Mythologie sie in den makabren „Club 27“ aufnehmen und unsterblich machen wird, also in den Kreis derjenigen berühmten Künstler, die mit 27 gestorben sind. Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain.

Nun also Amy Winehouse. Im September wäre sie 28 Jahre jung geworden.

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