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Geschichte wird gemacht. Ai Weiwei präsentiert in der „Tang Contemporary Art“-Galerie eine Ahnenhalle des 17. Jahrhunderts.

© picture alliance / dpa

Ai-Weiwei-Ausstellungen in China: Die widerspenstige Zähmung

Nach langer Pause präsentiert Ai Weiwei wieder seine Kunst in China - an vier Orten in Peking zugleich. Nur scheinbar hat sich der regimekritische Künstler mit dem Staat arrangiert.

Er ist zurück. Innerhalb von nur zwei Wochen haben gleich mehrere Ausstellungen von Ai Weiwei in Peking eröffnet. Die Ausstellung mit dem schlichten Titel „Ai Weiwei“ ist als Doppel bei Tang Contemporary und in der Galleria Continua im Kunstbezirk 798 zu sehen. Im Mittelpunkt dieser ersten Solo-Schau des Künstlers in China steht das Holzskelett einer monumentalen Ahnenhalle aus der Jiangxi Provinz. Sie stammt von der Wang-Familie aus der späten Ming-Dynastie (frühes 17. Jahrhundert), mit der ein Vorfahre, Wang Hua, ein Prinz von Yue aus der Tang-Dynastie (6. Jahrhundert) geehrt werden sollte.

Im Halbdunkel der Tang-Galerie erheben sich die mächtigen Holzpilaster wie griechische Säulen im Pergamonmuseum. Leicht aus der Raumachse gedreht, durchstoßen die Querbalken die Büroräume der Galerie und die Brandwand zur benachbarten Galleria Continua. Dadurch entsteht ein Raum im Raum, genauer: in zwei Räumen. Über Jahrhunderte genutzt, war die Ahnenhalle für die Wangs ein Ort der historischen Rückversicherung, aber auch zur Organisation des Clans. Familienfeiern, Hochzeiten und Begräbnisse wurden dort begangen, ebenso wichtige Geschäftstermine und eine Art parallele Gerichtsbarkeit, in der unabhängig von der Jurisdiktion des Kaiserreichs Clan-Mitglieder verurteilt werden konnten.

Ai Weiwei pflegt nun einen sanfteren Umgang mit Geschichte

Der Raum-im-Raum erscheint als Metapher. Es ist Ai Weiweis neue Form der Auseinandersetzung mit dem Staat. Die Installation ist als ein Selbstporträt zu verstehen, wie es auch der Ausstellungstitel nahelegt, der schlicht aus seinem Namen besteht. Der Künstler sucht nicht mehr die direkte Konfrontation, sondern parallele Realitäten und Handlungsräume zu öffnen. Geändert hat sich auch Ai Weiweis Form des Rückbezugs auf chinesische Geschichte, die bei ihm bisher demonstrativ zu Bruch ging wie mit den fallen gelassenen Vasen.

Dieser aggressive Umgang ist einer sanften Aneignung von Geschichte gewichen. „Mein Vater war Chinese, ich bin Chinese, mein Sohn ist Chinese,“ konstatiert er im Gespräch, als könne er die eigene Geschichte dadurch der staatlichen Vereinnahmung entziehen. Was die Landreform, die Kulturrevolution und die Kampagne der Zerstörung der „Vier Alten“ (Denkweisen, Kulturen, Gewohnheiten und Sitten) Land und Leuten angetan haben, lässt sich nur erahnen. Eine riesige Fototapete zeigt die Halle kurz vor ihrer Demontage. Es scheint, als wollte sie der Künstler durch seine Aneignung vor dem falschen Zugriff schützen.

In der Galleria Continua ist außerdem ein an den Senkeln zusammengebundenes Paar Turnschuhe über eine Holzstruktur geworfen. Im New Yorker East Village, wo Ai Weiwei in den Achtzigern lebte, dienen solche Zeichen als Demarkation der Territorien verschiedener Streetgangs. Es ist ein weiteres Indiz für eine Abgrenzung des Künstlers. Dennoch sieht er seine New Yorker Zeit heute unter Vorbehalten: „Ich glaube nicht an den American Way of Life.“ Nur um wenig später die Sentenz „All men are created equal“ aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung als wichtigsten Satz der Welt zu deklarieren, gegen den nicht einmal der härteste Kommunist etwas einzuwenden hätte.

Seit Eröffnung der Ausstellungen von Ai Weiwei wird spekuliert, wieso der Künstler wieder in China ausstellen darf. Doch offiziell verboten war es nie. Bei der Jubiläumsausstellung zum 15-jährigen Bestehen des Contemporary Chinese Art Award im April 2014 wurde den Organisatoren einerseits bedeutet, dass die Teilnahme des früheren Preisträgers Ai Weiwei unerwünscht sei. Andererseits auf die zukünftige Budgetierung der Kunsthalle verwiesen, was noch schwerer wiegt. Ai Weiwei war nicht dabei.

Der Künstler hat einen "Regierungsschatten"

Die Beteiligten erfahren nie, wer hinter solchen Entscheidungen steckt, aus welchen Gründen sie getroffen werden. Offizielle Rückfragen sind zwecklos. Allein in informellen Gesprächen mit sogenannten Kontaktbeamten kann verhandelt werden, was geht und was nicht. Diese Spezies taucht immer dann auf, wenn jemand aus der Masse sticht und im öffentlichen Leben bedeutend zu werden beginnt. Die Beamten werden dann zum dauerhaften Begleiter – man kennt sich irgendwann, hat sogar die Handynummer seines „Regierungsschattens“. „Sie haben mir gesagt, ich sei einfach zu einflussreich, und ich solle ein bisschen aufpassen“, so Ai Weiwei. Dass er das nicht tat, hat ihm eine Hirnblutung und eine Inhaftierung eingebracht.

Ebenfalls im vergangenen Jahr fand eine Ausstellung zu Ehren von Hans van Dijk statt, ein früher Unterstützer der jungen Kunstszene im China der siebziger und achtziger Jahre. Als Gründer des China Art Archives and Warehouse hatte er sich um die internationale Vernetzung chinesischer Künstler verdient gemacht. Ai Weiwei war einer seiner engsten Freunde. Der Ausrichter der Ausstellung, das Ullens Center for Contemporary Art, verhandelte monatelang über die Beteiligung des Künstlers. Der Kompromiss wäre gewesen, dass er teilnimmt, aber nicht in der E-Mail-Einladung genannt wird. Daraufhin ließ Ai Weiwei unter Protest seine Werke während der Eröffnung publikumswirksam abbauen. Gleichzeitig forderte er seine Kollegen auf, es ihm aus Solidarität nachzutun – und so offen gegen den Staat zu protestieren. Viele Künstler haben ihm diesen Eklat noch nicht verziehen. Danach wurde es erst einmal still um ihn.

Ein offizielles Ausstellungsverbot hat es in China nie gegeben

Nun ist er aber wieder zurück – und das mit einer fulminanten Doppelausstellung bei Tang Contemporary und Galleria Continua sowie zwei weiteren Einzelpräsentationen bei Magician Space und Chambers Fine Art. Letztere zeigen schöne, ja exzellente Einzelstücke, die jedoch nichts zum tieferen Verständnis des Künstlers beitragen. Gab es diesmal eine offizielle Erlaubnis? Die Antwort lautet „Nein“, schließlich gab es auch nie ein offizielles Verbot. In China geht das anders. Die Zulassungsmodalitäten funktionieren subtiler. Man kann sich aber sicher sein, dass alle Details der Ausstellung genau geprüft worden sind.

Dass Zensoren zugegen waren, bestätigt der Künstler im Gespräch. Allerdings scheinen sie die in die Ausstellung eingebaute Regierungskritik, die Methode „Raum-in-Raum“, entweder nicht verstanden zu haben oder für zu kompliziert zu halten, als dass sie gefährlich werden könnte. Er verstehe, sagt Ai Weiwei, dass für die Behörden die Sicherheit das oberste Ziel sei. Ja, er würde das sogar respektieren. Der Künstler sagt dies gleich zweimal, als wollte er sicher gehen, dass die Botschaft auch weitergegeben wird. Ai Weiwei macht es offensichtlich wie Bert Brechts „Herr Keuner“, dessen Agent bei ihm zuhause eingezogen war. Erst als dieser starb, rief Herr Keuner: „Nein!“

Tang Contemporary Art and Galleria Continua, bis 6.9.; Magician Space, bis 9. 8.; Chambers Fine Art, bis 31.8.

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