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Ewige Lausbuben. Die Beach Boys in der aktuellen Besetzung 2012 mit Bruce Johnston, Brian Wilson, Mike Love, Al Jardine und David Marks (von links).

© Rex Features/www.fotex.de

50 Jahre Beach Boys: Und es war Sommer

Die Beach Boys werden 50 – und feiern in Berlin. Ein Gespräch über Klassik, Inspiration und das Positive in der Musik, vor dem Konzert in der Berliner O2 World.

Nicht einmal die Rolling Stones sind so alt: Die Beach Boys, 1961 in Kalifornien gegründet, feiern ihren 50. Geburtstag mit einer Tournee, die sie am Freitag in die Berliner O2 World führt. Brian Wilson (70) ist der kreative Kopf der Beach Boys und einer der begnadetsten Songschreiber der Welt. Seine Songs, vor allem die Alben „Pet Sounds“ und „Smile“, haben die Popmusik geprägt. Nach Drogenexperimenten, Schizophrenie- und Depressionsdiagnosen, Therapieversuchen und einem angeblichen Schlaganfall wird Wilson seit einigen Jahren medikamentös behandelt. Beim Telefoninterview sprach er schleppend. Sein Cousin Mike Love (71) ist der Leadsänger der Band.

Mr. Wilson, Sie haben eine Menge Zeit in Ihrem Leben mit dem Singen über die Jahreszeiten verbracht. Sind Sie wirklich so abhängig vom Wetter?

BRIAN WILSON: Ja, wenn es wolkig ist oder regnet, fühle ich mich schlecht.

Was machen Sie denn dann, wenn Sie einen Song schreiben müssen?

Meistens schreibe ich am späten Nachmittag, kurz bevor es dunkel wird, das ist meine Lieblingszeit, um kreativ zu sein. Da merkt man das Wetter nicht mehr so.

Sind für Sie die Songtexte genauso wichtig wie Melodien und Harmonien?

Nein, die Melodien sind das Wichtigste. Mit den Texten habe ich nicht viel zu tun.

Welche Musik hören Sie zu Hause?

Ausschließlich Songs aus den fünfziger und sechziger Jahren. Überhaupt nichts Modernes. Klassik mag ich auch sehr gern.

Was denn?

Bach.

Kennen Sie die Bands, die sich auf die Beach Boys berufen, und Ihre Musik als Einfluss nennen?

Ja.

Wen denn?

Fällt mir gerade nicht ein.

Ihre Musik ist außergewöhnlich emotional und stimmungsvoll in Harmonien und Arrangement. Sind Sie Synästhetiker?

Nein, leider nicht.

Was inspiriert Sie?

Wenn mir etwas einfällt, gehe ich sofort an mein Klavier und beginne zu schreiben.

Schreiben Sie die Melodie in Notenschrift oder spielen Sie sie einfach und nehmen das auf?

Beides.

Ändern Sie später noch viel an Ihren Melodien?

Nein, gar nichts. Das ist immer die erste Idee.

Die Beach Boys in den sechziger Jahren. Gegründet haben sie sich 1961.
Die Beach Boys in den sechziger Jahren. Gegründet haben sie sich 1961.

© C.Taylor Brothers

Mr. Love, was ist für Sie wichtiger, Text oder Musik?

MIKE LOVE: Bei unseren Songs habe ich früher meistens die Texte geschrieben, manchmal auch bei der Songstruktur mitgearbeitet, wie beim ersten Beach- Boys-Hit „Surfin’ Safari“. Auch „California Girls“ habe ich allein getextet, ebenso „Get Around“ oder „Help Me Rhonda“. Ich hab mich an die Texte gehalten, weil Brian so wahnsinnig musikalisch ist, und es ihm leichter fällt, sich Melodien auszudenken. Manchmal macht er natürlich Vorschläge, worum es in unseren Songs gehen könnte. Ich interessiere mich außerdem sehr für Literatur und Gedichte, hab also auch dort Inspirationen gesucht.

Wie ist es bei Musik, die Sie nicht selbst geschrieben haben?

Wir haben ja in den sechziger Jahren angefangen, wo es wunderbare Songs gab, ich war immer Rolling-Stones-Fan, die sind viel rockiger als wir. Wir hatten aber die interessanteren Gesangsharmonien, das machte uns so einzigartig. Aber ich liebe Motown, Marvin Gaye war ein guter Freund von mir, auch die Temptations fand ich hervorragend. Das sind alles hervorragende Instrumentalisten und gute Texter. Die Songs aus dieser Zeit, auch The Mamas and the Papas, hatten zusätzlich zur Musik wichtige Botschaften, das hat mich sehr beeindruckt.

In den Songs, die Sie gerade genannt haben, ging es oft um Politik und gesellschaftliche Zustände. Haben Sie je darüber nachgedacht, auch bei den Beach Boys aktuelle Themen zu verhandeln?

Meiner Ansicht nach gibt es schon genug schlimme Sachen in der Welt, darüber muss man nicht auch noch Songs schreiben. Wir wollten lieber das Positive unterstreichen, das Schöne im Leben suchen und in unserer Musik verarbeiten. In unseren Songs geht es um Wärme, um Harmonie und um Positivismus. Das Leben fordert einen doch schon genug, ich finde, dass ein Plattenspieler oder ein iPod einem da eher Erleichterung verschaffen sollte. So viele Probleme bombardieren uns täglich, ich habe mir Musik immer als eine sonnige Oase vorgestellt, in der man sich erholen kann.

So klingt sie ja auch. Haben Sie denn die musikalischen Gegenbewegungen seit den Siebzigern, angefangen mit Punk bis zu New Wave und Grunge verfolgt?

Nein, viel mehr, als dass sie stattfanden, weiß ich nicht. All diese Richtungen, auch Disco, die kamen und gingen. Ich finde, man muss seinen Geist von all diesen Dingen befreien, um die eigenen Ideen auszugraben. In andere Musikrichtungen einzutauchen kann ja einen Moment lang ganz gut sein. Aber wenn man wirklich kreativ sein will, muss man in sich selbst suchen.

Aber fremde Einflüsse können doch auch inspirieren.

Kann schon sein, darüber kann ich keine Aussage treffen.

Der Titelsong des neuen Albums „That’s Why God Made the Radio“ handelt vom Radio. Haben Sie Angst, dass ehemals wichtige Medien, Radio und Fernsehen, in der digitalen Welt langsam verschwinden?

Ich selbst bin sehr altmodisch, einfach weil ich schon alt bin, ich rufe zum Beispiel auch immer an, wenn ich mit jemandem reden möchte. Und mein iPhone benutze ich nur als normales Telefon. Aber das Interessante für mich als Musiker in diesen Zeiten ist, dass man sich alles sofort runterladen kann. Wir haben neulich im iTunes-Hauptquartier gespielt und danach ein Online-Konzert für das „Rolling Stone“-Magazin gegeben. Das ist alles nicht schlecht – man kann sehr leicht viele Menschen erreichen. Das wäre vor dreißig Jahren nicht so einfach gewesen.

Sind Sie selber im Internet unterwegs, um neue Bands kennenzulernen?

Meine Tochter Amber ist 16, wenn überhaupt, dann führt sie mich an Musik heran, und zwar an alle möglichen Genres, so bekomme ich moderne Informationen. Aber wenn wir ein neues Album machen, kommen die Inspirationen grundsätzlich aus unserer eigenen Kreativität. Wir suchen nicht bei anderen. Wir sind in dieser Hinsicht sehr autark.

Ihr neues Album klingt wieder wie eine sonnige Oase. Hat sich denn in den letzten Jahrzehnten für Sie nichts geändert?

Doch, im Produktionsprozess. Früher hätten Brian und ich in seinem Haus oder in meinem Haus zusammen geschrieben, da waren unsere Songs immer die Resultate gemeinsamer Arbeit. Aber jetzt schickt Brian mir Melodien, und ich schreibe bei mir zu Hause alleine die Texte dazu. Das ist leider nicht mehr ganz so ein spontanes, kreatives Happening wie früher. Aber das Aufnehmen an sich ist immer noch wie damals. Bei dem Radio-Song hatte ich das Gefühl, wir hätten das Jahr 1965! Brian kann immer noch genauso gut Gesangsharmonien arrangieren wie damals.

Hören Sie auch Instrumentalmusik, Klassik, Elektronik oder Jazz?

Elektronik gar nicht, Jazz schon eher, auf unseren Platten haben ja auch schon Jazzmusiker gespielt. Aber ehrlich gesagt, wenn ich Musik hören will, dann mache ich den Oldiesender im Radio an – vielleicht läuft sogar ein Beach-Boys-Song. All die Musik, die für uns damals Konkurrenz war, ich nenne das „freundliche Rivalität“, die kann ich jetzt ganz entspannt genießen. Klassik höre ich nicht so oft, ich habe von meiner Mutter eine kleine Opernplattensammlung geerbt, die mag ich ganz gern. Ich gehe ab und an mal ins Ballett. Wir haben unsere Musik aber auch schon mit Klassik-Begleitung gespielt, das hat großen Spaß gemacht.

Können Sie das Touren noch genießen?

Sogar sehr. Ich reise wahnsinnig gern.

Wollten Sie je mal etwas anderes werden als Musiker?

Ich habe mich immer für Architektur interessiert, mein Vater und Großvater waren beide im Baugewerbe. Ich wäre vielleicht in ihre Fußstapfen getreten, hätte Häuser entworfen.

Das ist auch ein kreativer Beruf.

Genau, ich glaube, etwas Kreatives hätte ich auf jeden Fall gemacht. Ich konnte zwar nie malen oder Skulpturen machen, aber ich glaube, es gibt auch sehr wenige Maler, die genug verkaufen, solange sie noch am Leben sind. Da haben wir es wirklich besser!

Die Gespräche führte Jenni Zylka

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