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Überlebensgroß. Wilhelm von Humboldt, wie ihn der Bildhauer Martin Paul Otto 1883 sah.

© picture-alliance/ dpa

250-jähriges Humboldt-Jubiläum: Wilhelm von Humboldt: ein Berliner Klassiker

Minister, Reformer, Weltgeist: Vor 250 Jahren wurde Wilhelm von Humboldt geboren. Seine Ideen vom freien und gebildeten Individuum haben in Berlin Schule gemacht.

Wilhelm von Humboldt einen bekennenden Berliner zu nennen, wäre gewiss unstatthaft. Der preußische Gelehrte, Staatsmann, Schriftsteller und Sprachforscher ist Kosmopolit. Über lange Phasen seines Lebens hat er in den europäischen Zentren Paris, Rom, Wien und London gelebt, er beherrschte die wichtigsten Sprachen der alten und der neuen Welt. Aber der Weitgereiste ist von keiner anderen Stadt so geformt worden wie von Berlin.

Die Epoche der deutschen Klassik um 1800 wurde lange ausschließlich in Weimar verortet. Die Bedeutung Wilhelm von Humboldts (geboren am 22. Juni 1767 in Potsdam, gestorben am 8. April 1835 in Tegel) für Berlin als Ort des Geistes wurde weitgehend ausgeblendet und verdrängt. Humboldt wurde nach Weimar verschoben und zum Hilfspersonal der Weimarer Klassik erklärt. Neuere Forschungen rücken dieses Bild zurecht. Mit seinem Engagement für eine Neuordnung des preußischen Bildungswesens hat er sich dauerhaft in die Kulturgeschichte Berlins eingeschrieben und der Stadt einen bis heute richtungsweisenden Bildungsauftrag erteilt.

Humboldt wurde von Gelehrten der Berliner Aufklärung in dem privaten Rahmen des Tegeler Schlosses unterrichtet. Dank seiner finanziellen Unabhängigkeit war es ihm möglich, ein autonomes Gelehrtendasein zu führen. 1808 wurde ihm im Ministerium des Inneren die Leitung des preußischen Unterrichtswesens übertragen. In dieser Funktion erbrachte er herausragende Leistungen, die in ihrer Summe dazu führen, dass Humboldt bis heute als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten gilt, die je ein Ministeramt in Deutschland ausübten.

Humboldt reformierte das verknöcherte Schulwesen

Nach Beendigung der napoleonischen Kriege ist dringender Reformbedarf auf vielen Ebenen offensichtlich. Der preußische Militärstaat erweist sich nach der Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 nicht nur als militärisch besiegt, sondern auch als historisch gescheitert. Die Berliner Bevölkerung ist durch Krieg, Hunger und Armut paralysiert. Dieser Lähmung aller Ressourcen setzt Humboldt sein umfangreiches Bildungsprogramm entgegen. Er, der selbst nie eine öffentliche Schule besucht hat, sorgt für eine Reform des Schulwesens.

Humboldt stößt auf ein größtenteils verknöchertes, heterogenes Schulwesen. Bildungspolitik und Bildungsverwaltung stecken noch in den Anfängen. Noch gibt es keine Trennung zwischen Staat und Kirche. Sein Ziel ist der umfassend gebildete und in seinen kreativen Kräften entfaltete Mensch. Humboldt will ein einheitliches dreistufiges Schulsystem schaffen, bei dem er die Elementarschule, die gelehrte Schule und die Hochschule als einen zusammenhängenden Bildungskörper begreift. In Ermanglung einer gültigen Schultheorie entwickelt er ein Konzept für die Neubestimmung des Gymnasiums, das eine umfassende Bildung für alle gewährleisten soll. Inhaltlich koordiniert, sollen die Unterrichtsfächer den Zielen der höheren Schule entsprechen, die Schwerpunkte der Fächer den Interessen der Gesellschaft.

Ästhetische Erziehung war für ihn grundlegend

Ziel ist es, durch entsprechende Lehrerpersönlichkeiten und neue Lehrinhalte das Modell der standesorientierten Gelehrtenschule zu überwinden. Schulische Bildung soll umfassende, allgemeine Menschenbildung sein. Der Lehrer soll ein „Anwalt der Bildung des jungen Menschen“ sein. Grundvoraussetzung dafür ist systematisches und kontinuierliches Lernen unter kompetenter Anleitung.

Für die inhaltliche Ausrichtung hat Humboldt nur wenige Vorgaben geliefert. Die ästhetische Erziehung ist für den an Schiller geschulten Gelehrten von grundlegender Bedeutung. Ausdrücklich setzt sich Humboldt, der selbst kein Instrument gespielt hat, für die Musikerziehung im gymnasialen Lehrplan ein. Hier wird der Einfluss des Komponisten Carl Friedrich Zelter deutlich, den er sehr schätzt. Humboldt bezeichnet die Musik als einen unendlich mächtigen „Hebel der Empfindung“, der gerade für die Bildung des Volkes eine große Bedeutung zukomme.

Seine Bildungstheorie ist bis heute richtungsweisend

Eine herausragende Bildungsfunktion erkennt er nicht nur den Erfahrungswissenschaften und dem Geschichtsunterricht zu, sondern auch der Mathematik. Sie sei wichtig für die Bildung des Verstandes. Zudem interessieren ihn neben den alten auch die neuen Sprachen: Sie öffnen den Zugang zur Welt.

Was für Humboldt selbst der Motor war, ist auch das Paradigma seines Schulkonzeptes: Er stellt höchste Anforderungen an die Selbstorganisation des Einzelnen. Er ist allerdings realistisch genug, die sozialen, politischen und materiellen Herausforderungen zu erkennen, die sein Modell darstellt. Seine Bildungstheorie und sein Entwurf des humanistischen Gymnasiums sind dennoch bis heute richtungsweisend. Hochaktuell ist das von Humboldt formulierte Ziel, das Lernen zu lernen: „Der Schüler ist reif, wenn er so viel bei andern gelernt hat, dass er nun für sich selbst zu lernen im Stande ist.“

Bis auf wenige Ausnahmen sind die meisten deutschen Universitäten um 1800 in einem desolaten Zustand. Einer bis in die Karikatur reichenden Professorenherrlichkeit entsprechen die fehlende Aktualität des Lehrangebots und ein Mangel an hochschuldidaktischer Aufbereitung des Stoffes. Auch Humboldt hat die Universität als ein lebensfernes Ghetto erlebt. Gefragt sind neue universitäre Bildungsziele, eine an der Gegenwart orientierte Berufsausbildung.

Ziel der Universität ist die Bildung des Staatsbürgers

Überlebensgroß. Wilhelm von Humboldt, wie ihn der Bildhauer Martin Paul Otto 1883 sah.
Überlebensgroß. Wilhelm von Humboldt, wie ihn der Bildhauer Martin Paul Otto 1883 sah.

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Neben den klassischen Disziplinen Rechtswissenschaft, Theologie und Medizin soll der Philosophie eine zentrale Bedeutung zukommen. Zeitgemäße Vorbilder sind das 1724 in Berlin gegründete Collegium Medico-Chirurgicum, das sich schon im 18. Jahrhundert zu einer fast alle naturwissenschaftlichen Disziplinen umfassenden Institution entwickelte, die 1790 gegründete Berliner Tierarzneischule, die Pepinière für Militärärzte aus dem Jahr 1795, die 1799 gegründete Bauakademie und die in mehreren deutschen Städten entstehenden Bergakademien.

In mehreren bedeutenden Denkschriften werden die Voraussetzungen für eine radikale Erneuerung der Universität geschaffen, vorrangig 1807 von den Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Johann Gottlieb Fichte. Zeitgleich entsteht 1808 ein Konzept des Theologen, Philosophen und Staatstheoretikers Friedrich Schleiermacher.

Als Wilhelm von Humboldt auf den Plan tritt, findet er diese Konzepte zur Erneuerung der Universität vor. Ihm obliegt es, für die preußische Hauptstadt ein tragfähiges Modell zu entwickeln. Dazu bedarf es der Zustimmung des Königs. Friedrich Wilhelm III. lässt für die kurze historische Phase der Reformära den Einfluss großer Gelehrter und kühnes Denken zu, dem sich die neue Universität verdankt.

Der Staat sollte sich inhaltlich nicht einmischen

Geschult an Schillers Konzept einer ästhetischen Erziehung des Menschen, eingearbeitet in das Denkgebäude von Kant, ermöglicht und fordert Humboldt zweckfreies philosophisches Denken, das die Grundlage liefert für ein neues Wissenschaftsethos.

Mit seinem Universitätskonzept über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten zu Berlin will Humboldt den König gewinnen für die Idee einer modernen Forschungsuniversität, die das neue Preußen glanzvoll repräsentiert kann. Er muss einen Zusammenhang herstellen zwischen Politikern und den Gelehrten, deren Widerstände Neuem gegenüber überwinden und einen grundlegenden Neuentwurf von der Planung zur Realisierung bringen. Vor allem muss er die Finanzierung regeln und für die gesamte Infrastruktur einer Universität sorgen – dies vor dem Hintergrund des Widerstandes der alten preußischen Universitäten in Breslau, Frankfurt und Halle.

Programmatisch steht für Humboldt vor allem die Freiheit der Wissenschaften im Zentrum. In keinem Bereich dürfe sich der Staat inhaltlich in den Wissenschaftsbetrieb einmischen. Die Universität solle sich in Selbststeuerung verwalten. Weiter will er eine Verbindung von Lehre und Forschung festgelegt wissen und eine enge Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden. Unmittelbares Interesse des Staates sei der gebildete, mündige und selbstbewusste Bürger, nicht der „devote Diener des Staates“.

Auch die Rolle des Hochschullehrers erfährt eine Neubestimmung. Humboldt stellt dem Lernenden sein Wissen zur Verfügung, Kernaufgabe ist das wissenschaftliche Gespräch. Allgemeines Ziel universitärer Bildung ist die Entwicklung des Studierenden zum tüchtigen, verantwortungsvollen Staatsbürger. Frauen allerdings hat Humboldt noch nicht im Blick.

Die Finanzierung sowohl schulischer als auch universitärer Einrichtungen sieht er als eine staatliche Pflicht Am 16. August 1809 entspricht der König nach mehreren Änderungen seinem Antrag. Als Gebäude für die Universität wird das 1776 erbaute Palais des Prinzen Heinrich von Preußen vorgesehen.

Bevor die Universität am 15. Oktober 1810 eröffnet wird, ist Humboldt mit der Berufung der Professoren beschäftigt. Gemäß seinen Maßstäben müssen sie allerhöchsten Anforderungen genügen. Seine Berufungsliste gehört zu den glanzvollsten, die jemals für eine Universität vorgelegt worden sind. Zu den neuen Lehrstuhlinhabern (bis 1923 nur Männer) zählen neben Schleiermacher und Fichte auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel als bedeutendster Vertreter des deutschen Idealismus, der Rechtsgelehrte und Historiker Friedrich Carl von Savigny, der Althistoriker Barthold Georg Niebuhr, der Arzt Christoph Wilhelm Hufeland, Carl Ritter, der die Geografie wissenschaftlich begründete, und der Theologe August Wilhelm Neander, für den ein Lehrstuhl für Kirchengeschichte eingerichtet wird.

Humboldt schied früh und verbittert aus dem Amt des Rektors

Hegel folgt erst 1818 dem Ruf auf einen Lehrstuhl an der Berliner Universität. Sein hohes Ansehen führt ihm viele Hörer auch außerhalb des universitären Rahmens zu. Unter seiner Ägide entwickelt sich die Philosophische Fakultät als das Zentrum der Universität, deren Rektor er 1829 wird.

Die Eröffnung der Reformuniversität mit Fichte als erstem Rektor findet ohne Wilhelm von Humboldt statt. Schon am 23. Juni 1810 scheidet er verbittert aus seinem Amt aus. Er erkennt, dass sich die Reformära dem Ende zuneigt, dass er in Konkurrenz zu dem konservativen Staatskanzler Hardenberg nichts ausrichten kann. Mit enormem Arbeitseinsatz und diplomatischem Geschick hat er in knapp eineinhalb Jahren die Reorganisation des preußischen Bildungswesens geleistet und sein umfangreiches Bildungskonzept auf den Weg gebracht. Seine Reflexionen eines auf freier Entfaltung beruhenden Lebensentwurfes, einer von Autonomie gekennzeichneten Gesellschaftsordnung behalten ihre große Strahlkraft.

Marie Nevermann

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