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Kultur: "2001 - Odyssee im Weltall": Essay: Erinnerungen an die Zukunft

Vielleicht ist es mit Filmen nicht anders als mit früheren Geliebten. Wenn man sich zehn, fünfzehn Jahre später über den Weg läuft, gibt es zwei Möglichkeiten.

Vielleicht ist es mit Filmen nicht anders als mit früheren Geliebten. Wenn man sich zehn, fünfzehn Jahre später über den Weg läuft, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man ist irgendwie peinlich berührt, weil man im anderen nur noch wiederfindet, was man glücklicherweise vergessen hatte - oder aber man hat das merkwürdige Gefühl, dass die Zeit stillgestellt ist und man vor jemandem steht, der gerade erst aus dem Zimmer gegangen ist.

Zur ersten Kategorie gehören fast alle Filme, auf die wir unsere Pubertätssehnsüchte projizierten. "Easy Rider" zum Beispiel ist ein bestürzend schlichter, klischeedonnernder Film. Gut gegen böse, Motorrad statt Pferde, Hippies gegen Normalos, plus USA-Kitschpostkarten. Fast peinlich, so was mal gut gefunden zu haben.

Besonders anfällig für solche Zeitstürze und rapiden Alterungen sind naturgemäß Science-Fiction-Filme. Denn gängigerweise entwerfen sie die Zukunft als das ganze Andere der eigenen Gegenwart - oder als deren Verlängerung - und verfehlen stets das Dritte, das Zukunft dann ist. Schon deshalb ist es erstaunlich, dass "2001 - Odyssee im Weltraum" (1965-68), vor mehr als dreißig Jahren von Stanley Kubrick gedreht, zur zweiten Kategorie zählt. Es ist ein Film, der seine eigene Zukunft überlebt hat. Ein Film, der übermorgen noch einmal beginnt, am 1.1.2001. Ein Film, in dem wir uns noch immer wiederfinden können. Aber warum?

"In zehn- oder fünfzehntausend Jahren werden die Maschinen-Intelligenzen die erste Rolle auf dem Planeten spielen, denn alle Erfahrungen, die biologische Geschöpfe machen können, werden auch von den Maschinen gemacht werden können. Wir werden eine Welt haben, in der sich die Maschinen besser zurechtfinden werden als die Menschen, weil sie nicht auf ihre persönliche Erfahrung begrenzt sind, sondern über alle Erfahrung verfügen, die man aufzeichnen kann." Stanley Kubrick 1972.

Am Beginn sieht man eine Horde Affen. Animalisches Leben: Der Stärkere siegt. Da erscheint, wie vom Himmel gefallen, ein schwarzer Monolith. Eine Affe entdeckt, dass man Knochen als Waffe und Werkzeug benutzen kann und erschlägt einen Konkurrenten. So geschah, im kalten Blick Kubricks, die Vertreibung aus dem Paradies. Der Knochen fliegt vor blauem Himmel, dreht sich und ein Schnitt befördert uns ins Weltall. Dr. Floyd fliegt in einem Raumschiff zum Mond. Dort ist ein schwarzer Monolith gefunden worden und stellt die Wissenschaft vor Rätsel. Der dritte Teil erzählt von einem Raumschiff auf dem Weg zum Jupiter. Dorthin hat der Monolith Signale gesandt. Nun geschieht mit der Maschine, was zuvor dem Affen passierte: HAL, der Computer, kommt zu eigenem Bewusstsein und, wie 40 000 Jahre zuvor, tötet er. Nur der Astronaut Bowman überlebt und schaltet HAL ab. Das Finale ist ein bizarrer Bilderrausch, eine rasende Farborgie. Schließlich landet Bowman in einem neonweißen Raum mit Rokokomöbeln. Dort begegnet er sich selbst als Sterbendem. Das Raum-Zeit-Kontinuum ist aufgelöst. Oder sind wir längst in Bowmans Hirn und sehen seine letzten Traumbilder? Dann erscheint noch einmal der Monolith, der vielleicht Gott, ein Alien, eine Metapher oder eine Maschine ist. Im letzten Bild sehen wir einen Embryo (Bowman?) in einer Fruchtblase, der durch das All schwebt.

So kann man es erzählen. Kann man? Eigentlich nicht. "2001" ist ein Bilderfilm, vielleicht mehr als jeder zuvor. Die Figuren bewegen sich durch leere Räume, schön, ätherisch und einsam. Raumschiffe schweben lautlos durch das All. So sehen Sehnsuchtsbilder aus. Auch der Tod ist ein ästhetisches Schauspiel: das Bild des Astronauten, das sich in Spiralbewegungen langsam entfernt und immer kleiner wird, verschluckt vom Dunkel des Alls. Geredet wird wenig, nur das Nötigste, um Handlung und Szene zu erläutern. Der Rest ist Bild, Musik und Stille. Und Raumerfahrung. Nie zuvor konnte man (im Kino) so intensiv sehen und fühlen, was Raum ist.

Das Geheimnis des Films ist nach wie vor seine Ambivalenz, seine vielfältige Lesbarkeit, die Doppelcodierung der Bilder. "2001" kann man philosophisch, technologisch, religiös, artifiziell, anthropologisch, psychoanalytisch oder marxistisch deuten. Man kann die kugeligen, eiförmigen Raumschiffe sexualmetaphorisch entschlüsseln und das Ganze als eine künstliche, männliche Selbstzeugung verstehen, die in Bowmans Wiedergeburt mündet. Oder als materialistischen Geschichtsentwurf, in dem sich die Menschen selbst erschaffen, indem sie das Werkzeug entdecken und die Auseinandersetzung mit der Maschine ihr Geschick bestimmt. Oder als religösen Trip: als Suche nach Ursprung und Ende des Humanen. Oder als Allegorie der Wiederkehr des Immergleichen, visuell ausgedrückt in den zahllosen Kreisbewegungen der Raumschiffe und Figuren. Oder als Film über Wahrnehmung. Die Bedeutungen sind so mannigfach und uneindeutig wie, sagen wir, in Goethes "Faust". Und natürlich konnte man auch einfach bekifft ins Kino gehen und sich einen eher wundersamen als angenehmen Abend machen.

Die Mehrfachcodierung in "2001" reicht bis ins Detail. Den Name des Computers HAL kann man als "hell" oder "hail" verstehen und also als Aussage über Technik und Religion begreifen. Oder als Spiel: um als je einen Buchstaben nach vorn und hinten verschobene Paraphrase von IBM, damals das Synonym für Computer.

Seinen robusten Avantgardismus verdankt "2001" vor allem Kubricks Bildmächtigkeit. Wir verstehen diese Bilder noch immer, auch weil die Kluft zwischen Worten und Bildern heute größer ist als vor dreißig Jahren. Schrift und Wort verlieren zusehends an Bedeutung, die digitalen Pixel werden als Datenträger immer wichtiger. Gleichzeitig lässt sich mit Bildern immer weniger veranschaulichen. Für die mathematische Annäherung an "Unendlichkeit", für die Technik der Künstlichen Intelligenz (KI) und dafür was in den Genlaboratorien geschieht, gibt es keine Bilder. Gleichzeitig produziert unsere Kultur eine Inflation von Bildern. Wir sehen immer mehr Bilder, die immer weniger wert sind.

"2001" war dagegen der Versuch, in Bildern zu denken, die verbale Sprache hinter sich zu lassen und einen visuellen Reichtum zu entfalten, der mehr ist als Überwäligungszauber: nicht-verbale Sprache, gebaut aus Gefühls- und Metaphernräumen .

Leere Menschen, tragische Maschinen

Es ist nicht leicht, "2001" zu mögen (zu lieben schon eher). Wie fast alle Kubrick-Filme hält er uns auf Distanz. Die Figuren wirken leer, und das ist besonders schmerzlich, weil der Film dies nicht kritisiert. Was man, im Namen einer überlegenen Moral, kritisiert, kann man ja ändern. In "2001" gibt es dieses moralische Jenseits nicht. (Die Idee, dass der Verzicht auf Kritik die wahre Subversion ist, praktizierte Kubrick, als Baudrillard noch marxistische Analysen schrieb.) Wahrscheinlich ist es Kubricks kalter, illusionsloser Blick, der uns heute so vertraut vorkommt. Dass der Fortschritt nicht aufzuhalten ist (mit Moral sowieso nicht), dass er sich von der Idee der Befreiung längst abgelöst hat - das kommt uns bekannt vor.

Kein Wunder, dass die Menschen in "2001" wie Zombies erscheinen. Die Hauptfigur, der Astronaut Bowman, der mit der Discovery zum Jupiter fliegt, zeigt keine Regung, als sein Kollege stirbt. Diese Figuren sind keine Individuen, sondern Funktionen. Eigentlich verfügen nur zwei Wesen in "2001" über so etwas wie Gefühle: Dr. Floyds Tochter (gespielt von Kubricks Tochter Vivian), mit der der Wissenschaftler einmal knapp per Bildtelefon spricht und HAL. So blicken wir unentwegt in das rote, kalte Auge von HAL - in eine Kamera, einen Apparat zur technischen Herstellung von Bildern. (das Kameraauge als Hauptdarsteller, noch ein selbstreferentieller Kubrick-Scherz.) Die misanthrophische Pointe der Geschichte lautet: HAL wird genau in dem Augenblick zum Killer, in dem er "human" wird. Er macht einen Fehler. Als Bowman ihn abschaltet, verliert HAL langsam das Bewusstsein. Er singt Kinderlieder, im Moment des Todes scheint sein Leben an ihm vorüberzuziehen. So ist HAL das einzige Wesen, das Mitleid verdient. Das ist Kubricks dialektische Schlusspointe: Die Menschen sind kalt wie Klone - und die Maschine ist die einzige Figur, die noch zur Tragödie des Todes taugt.

Seit "2001" haben wir viele futuristische Filme gesehen: schnellere, technisch raffiniertere. Seit "Matrix" gehören computergenerierte Bilder zur Grundausstattung, seit "Terminator" kommt auch das Popkino nicht ohne Technikkritik aus. Spätestens "Alien" dementierte Kubricks aspetisches, kühl modernistischse, high-tech-Bild. Die Raumschiffe wurden zu dreckigen, rostigen Ruinen, die sich wieder in Natur zurück zu verwandeln schienen. Wer Andrej Ujicas Dokumentarfilm über die Raumstation "Mir" sah, wusste, dass da oben vor allem mal dringend aufgeräumt werden muss.

Manchen Details in "2001" sieht man die 34 Jahre an, die vergangen sind: Der TV-Kanal heißt "BBC 12" (was uns angesichts des Privatfernsehens rührt), die Sessel in der Raumfähre zum Mond sind in einem knallroten Pop-Art-Stil gehalten, den es heute nur noch im Museum gibt.

Und trotzdem ist "2001" ein Unikat. Denn er erzählt, anders als das Genre sonst oft, nicht bloß von gegenwärtigen Ängsten, die als Zukunft verkleidet werden. Schon möglich also, dass uns 2035 "Matrix" als historische Obskurität aus einer Ära erscheinen wird, in der die Menschen Bilder für ihre Frucht vor dem Virtuellen suchten - ungefähr so, wie wir heute in Jack Arnolds "Tarantula" nur noch eine primitive Rationalisierung der Atomangst sehen. "2001" ist eine Ausnahme. Er erzählt von der Zukunft.

Könnten die Menschen auch noch durch die Luft fahren, dann wäre ja ihre Schlechtigkeit rein gar nicht mehr zu zügeln. (Leibnitz, 1700)

Ein Grund für die Aktualität von "2001" mag sein, dass wir Kubricks Haltung zur Technik verstehen. Vielleicht gibt es so etwas wie Zyklen, immer wiederkehrende und sich ablösende Muster, in denen wir neue Technologien betrachten. Und vielleicht sind wir gerade an einem ähnlichen Punkt angelangt wie in den späten 60ern.

Zu diesen Zyklen gehört, dass am Anfang zwei Deutungen miteinander konkurrieren, die scheinbar schroff entgegengesetzt sind, aber mehr gemeinsam haben, als es scheint: die apokalyptische und die verklärte. Die apokalyptisch-kulturkritische Lesart sieht im Neuen nur Zerstörung und Untergang: in der Eisenbahn (dem Flugzeug, der Weltraumfahrt, der KI) die Sprengung jeden menschlichen Maßes, im Roman den Verlust der abendländischen Kultur, im Comic das Verschwinden des Literarischen, im Video das Ende des Kinos etc. Die Affirmation erblickt in der Eisenbahn (dem Flugzeug etc.) den glücklichen Sieg über die Natur, im Video die Möglichkeit, demokratisch zu produzieren, im Internet die Befreiung des Produzenten und Konsumenten von fixen Orten etc. Diese Vorstellungen ähneln Science-Fiction-Filmen: Sie malen Zukunft als Wunder oder Grauen, und verfehlen sie. Wenn die Technik, inklusive der Katastrophen, die sie mit sich bringt, Alltag geworden ist, verblassen diese Wunsch- und Schreckensbilder.

"2001" bleibt jenseits von Apokalyptik und Affirmation, genauer: jenseits des Eindeutigen. Natürlich kann man beides darin entdecken: Es hängt, wie beim Vexierbild, vom Standpunkt des Betrachters ab. Vor allem zeigt "2001" eine (Alltags-) Welt, in der die Technik neue Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen hat. Doch die Technik bringt die Menschen einander nicht näher. Ein Astronaut hört sich auf dem Weg zum Jupiter regungslos Geburtstagsgrüße seiner Eltern an. Man kann zwar jederzeit von jedem Ort (nicht nur) der Erde miteinander reden und sich sogar sehen - aber es gibt nichts zu sagen. Floyds kleine Tochter erzählt am Bildtelefon, dass sie sich noch mehr Telefone wünscht - das Medium ist buchstäblich die Message.

Damit ist Kubrick viel, viel näher bei uns als "1984", wo die Massenkommunikation das Totalitäre stützt. Die Wahrheit, unsere Wirklichkeit 2001 ist viel banaler: Der Traum von der technischen Beglückung ist unter anderem im Handy-Geschwätz in den ICEs geendet, in der Vervielfältigung des Geredes. ("Ja, ich bin jetzt im Zug. Wir fahren jetzt los. Die Batterie ist gleich leer.")

"2001" kam 1968 in die Kinos, ein Jahr vor der Mondlandung, 23 Jahre nach Hiroshima. Das Apokalyptische, die Angst vor dem Atomkrieg hatte das Kino der 50er beherrscht. Jetzt war sie verblasst. Viele glaubten damals, dass es in zehn, zwanzig, dreißig Jahren Stationen auf Mond und Mars geben würde. Ja, eigentlich war es gewiss, dass die Zukunft der Raumfahrt gehört. Doch auch das änderte sich bald. In den frühen 70ern folgten der Club-of-Rome-Bericht, die "Ölkrise" und das Bewusstsein, dass wir die Umwelt ruinieren und dass die Ressourcen endlich sind. Harrisburg und Tschernobyl katalysierten die technik-skeptische Grundstimmung. Vom Segen des Fortschritts redeten in den 80ern nur die Betonköpfe, die gar nichts begriffen. Die Apokalyptiker schienen zu gewinnen - zu Recht.

In den 90ern verschwanden die Fronten, fast unmerklich. Es gab keinen neuen Schlachtruf, kein neues Programm, keinen Paradigmenwechsel. Günther Anders "Antiquiertheit des Menschen" wurde nicht widerlegt, sondern wanderte in den Bücherschränken nur nach ganz oben. Die Technik-Skepsis versickerte im Alltag. Wer in den 80ern Computer für Teufelszeug hielt, fand nun, dass das Internet öko-mäßig eine prima Sache sei. PCs, Handys, digitale Kameras - alles wurde immer besser, perfekter, billiger. Technik und Fortschritt wurden in den 90ern stillschweigend rehabilitiert.

Vielleicht erscheint uns "2001" heute so rätselhaft alterslos, weil unser derzeitiges Verhältnis zur Technik jenem Ende der 60er verwandt ist. Die Angst vor der atomaren Zerstörung ist verschwunden, oder besser: im kollektiven Gedächtnis eingekapselt. Es herrscht ein fast naives Alltagsvertrauen, dass Fortschritt irgendwie o.k. ist. Und gleichzeitig taucht ein neues, zwischen Traum und Angst schillerndes Phänomen auf: Ende der 60er war es die Raumfahrt und die Idee der KI, heute ist es die Gentechnik und die Praxis der KI. Dabei geht es um Grenzverschiebungen, um die Überschreitung des Humanen, die Überwindung des Menschlichen. Und es geht um die Frage, was das Menschliche ist, wenn Maschinen es imitieren können und der genetische Bauplan des Humanen entschlüsselbar ist.

Das Posthumane und seine Bilder

Von der Idee dieser Überschreitung erzählt Kubrick. Deshalb wirken die Menschen kalt wie Maschinen, und HAL, die verzweifelte Künstliche Intelligenz, die an ihre Grenze stößt, so menschlich-böse. Wie "Faust" (in dem auch das "Übermenschliche" verhandelt wird) endet "2001" in einem mythischen Spektakel, in einem Bedeutungstaumel, einem dunklen Anspielungsdschungel, in dem sich auch gewiefte Philologen verlaufen. Schließlich treibt Kubrick die Mehrdeutigkeit ins Irrationale, Unfassbare. Technik und Religion stürzen zusammen. Am Ende von "2001" kann man nur noch glauben oder zweifeln, aber nichts mehr wissen.

Walter Benjamin beschrieb in seinem berühmten Aufsatz über das "Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit", wozu das Kino in den 20ern diente. Es war ein Trainingscamp der Moderne. Dort wurde jene wache, auf Überraschung und "Choc" (Benjamin) gefasste Wahrnehmung eingeübt, die die Großstadt von ihren Bewohnern verlangte. Was suchen, was üben wir heute im Kino? Zum Beispiel in SF-Filmen? Wir wissen, dass das Zeitalter des Posthumanen und der Post-Schrift-Kultur anbrechen wird. Aber wir haben noch nicht einmal eine vage Ahnung davon, wie das aussehen wird. Das Kino übersetzt das Unvertraute in gewohnte Codes. Es ist ein Trainingslager des Posthumanen. Deshalb schauen wir so gierig auf diese Bilder.

Stefan Reinecke

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