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Engagement und Herzblut. Britta Jürgs, 52, will nachhaltige Bücher.

© Thilo Rückeis

20 Jahre Aviva Verlag: Das ganze Jahr Frühling

Der Berliner Verlag Aviva publiziert die Bücher vergessener jüdischer Autorinnen – seit 20 Jahren. Eine Begegnung mit der Verlegerin Britta Jürgs.

Für eine selbst ernannte Pessimistin macht Britta Jürgs einen ausgesprochen lebensfrohen Eindruck. In ihren Verlagsräumen in Berlin-Moabit stapeln sich Bücher und Papiere, die Altbauwohnung wird von sehr viel Literatur und ein bisschen Chaos beherrscht. Jürgs ist Gründerin des Aviva Verlags, der in diesem Herbst sein 20-jähriges Bestehen feiert. „Ich habe damals einfach bestimmte Bücher auf dem Buchmarkt vermisst.“ Was ihr fehlte: weibliche Perspektiven in der Literatur, insbesondere Bücher von Autorinnen aus den zwanziger Jahren, von Autorinnen mit ungewöhnlichen Lebensläufen, deren Werk bis heute nachwirkt. Etwa die Bücher von Lili Grün.

1904 in eine jüdische Kaufmannsfamilie geboren, kam Grün Ende der zwanziger Jahre nach Berlin und tummelte sich in der Kabarettszene. Sie veröffentlichte Gedichte, Geschichten und Romane, darunter „Alles ist Jazz“, in dem eine junge Schauspielerin von der sprühenden Atmosphäre der Goldenen Zwanziger erzählt. „Die Autorinnen vereint Humor und Selbstironie“, sagt Jürgs, „das hat etwas Frisches und Aktuelles. Allein, wie sie mit Geschlechterrollen umgehen.“

Vergessene, wieder- und neuentdeckte, überwiegend jüdische Autorinnen Anfang des 20. Jahrhunderts bilden einen Schwerpunkt bei Aviva. Der hebräische Frauenname, die weibliche Form des Wortes Frühling, bedeutet auch Aufbruch. Das passt zu einer Verlagsgründung, so Jürgs. Der 1965 in Frankfurt/Main geborenen Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin ist es wichtig, die Künste zusammenzudenken.

Jürgs ist auch Vorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung

Ihr liegt die Nachhaltigkeit ihrer Bücher am Herzen. „Es ist wichtig, die Bücher auch langfristig lieferbar zu haben, selbst wenn es nicht immer ökonomisch ist. Gerade in der Belletristik ist das nicht selbstverständlich. Vieles verschwindet sehr schnell wieder vom Buchmarkt und wird dann verramscht.“

Um Bücher von Autorinnen zu verkaufen, die weder durch ihre Berühmtheit noch durch ihre persönliche Präsenz ein Publikum anlocken, braucht es Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen: „Immer wieder trommeln, um Aufmerksamkeit werben – das kann ich, das ist vielleicht auch das, was kleinere Verlage auszeichnet.“

Jürgs leitet nicht nur ihren Verlag, sondern sie ist zudem Vorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung. Diese setzt sich für eine Stärkung konzernunabhängiger Verlage ein. Aus über 100 Verlagen besteht der Freundeskreis, Kriterien für die Aufnahme sind unter anderem ein regelmäßig erscheinendes Programm mit mindestens vier Titeln pro Jahr und ein Jahresumsatz unter fünf Millionen Euro. In Zeiten, in denen die Verlagslandschaft von großen Medienunternehmen wie Random House dominiert wird, leben unabhängige Verlage vom Engagement und Herzblut ihrer Macher: „Ohne Idealismus läuft nichts“. Jürgs hat bei Aviva mehrere Anthologien herausgegeben, in denen expressionistische oder dadaistische Künstlerinnen porträtiert werden oder Schriftstellerinnen von ihrer Liebe zum Automobil sprechen. Überdies ist sie Redakteurin der zweimal im Jahr erscheinenden Zeitschrift „Virginia Frauenbuchkritik“.

Zwei Straßen wurden nach Aviva-Autorinnen benannt

Sie brauche nicht viel Schlaf, nur so lassen sich ihre zahlreichen Aktivitäten unter einen Hut bringen. „Als ich gefragt wurde, ob ich den Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung übernehmen würde, dachte ich, das ist mir wichtig, deshalb mache ich das jetzt. Man kann sich nicht darüber beschweren, dass Frauen zu wenig sichtbar sind, und dann selbst nichts machen.“ Eines fällt im Gespräch mit Jürgs auf: Ihre Arbeit ist mehr von der Leidenschaft für ihre Autorinnen getragen als vom Unmut über fehlende weibliche Perspektiven. Sie lebt einen positiven Feminismus. „Es hat immer etwas Missionarisches, andere von dem zu begeistern, was einen selbst begeistert, ihnen nahezubringen, was man selbst ganz wichtig und toll findet.“

Kein ökonomischer, aber ein Erfolg bei der Wiedersichtbarmachung vergessener Autorinnen sind zwei Straßenbenennungen in Berlin. Einer Wiederauflage im Aviva Verlag ist es zu verdanken, dass es seit einigen Jahren eine Alice-Berend-Straße in Moabit gibt, nach der Berliner Autorin, auf die Jürgs durch einen Fund im Antiquariat aufmerksam wurde. Die Geschichte einer Sargfabrikantengattin, die einen Bräutigam für ihre Tochter sucht, war einer der ersten Romane, den sie bei Aviva verlegt hat. Seit Kurzem gibt es zudem in Marzahn-Hellersdorf einen Lili-Grün-Weg. „Subversiv kann man es nicht nennen“, sagt Jürgs, aber sie freut sich, dass ihre Arbeit Veränderungen anregt.

Deutschlandtour durch 20 Städte

In den letzten 20 Jahren ist die Situation für Verlage schwieriger geworden. Zuletzt machte Britta Jürgs das Urteil zur Verwertungsgesellschaft Wort zu schaffen, nach dem Verlage ihren Autorinnen und Autoren höhere Geldsummen zurückzahlen mussten. Dieses Urteil stürzte vor allem kleinere Verlage in existenzielle Krisen. „Die meisten von uns würden sich eine kleine Privatbank im Hintergrund wünschen, aus der man sich bedienen kann, wenn man mal wieder Geld braucht.“ Mit zusätzlichem Geld würde sie zum Beispiel eine zweite feste Stelle einrichten. Im Moment kümmert sich einmal pro Woche eine Mitarbeiterin um das Lektorat und um Social Media.

Erfolge sind genauso unvorhersehbar wie vor 20 Jahren. „Das macht es natürlich einerseits spannend, andererseits muss man es aushalten können.“ Eine solche Überraschung war Victoria Wolffs „Das weiße Abendkleid“, das zwischen 1938 und 1939 erstmals erschien und bei Aviva 2008 neu verlegt wurde. Nachdem Elke Heidenreich es in ihrer TV-Sendung „Lesen!“ besprach, war die erste Auflage innerhalb einer halben Stunde vergriffen. Mit der dritten Auflage liegt der Roman nun bei über 15 000 gedruckten Exemplaren. „Niemand hätte gedacht, dass ausgerechnet dieses Buch erfolgreich wird. Das ist typisch für die 20 Verlagsjahre.“

Verlage wie Aviva leben noch mehr als größere Häuser von treuen Leserinnen und Lesern und von engagierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern. Um sich für die gute Zusammenarbeit zu bedanken, macht Jürgs diesen Herbst deshalb eine Deutschlandtour in 20 Städte. Allein vier Lesungen wird es dabei in Berlin geben.

Unfreiwillige Optimistin

Britta Jürgs besetzt mit Aviva zwar eine Nische – die aber ist höchst lebendig. Die Aufmerksamkeit für unabhängige Verlage ist in den letzten Jahren gewachsen, viele neue, kleine Publikationshäuser sind gegründet worden. Preise wie der mit 5000 Euro dotierte Kurt-Wolff-Förderpreis oder der mit 20 000 Euro dotierte Verlagspreis des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützen kleine Verlage, zuletzt den Guggolz und den Lilienfeld Verlag, die sich wie Aviva um die Wiederentdeckung vergessener Bücher bemühen.

Literatur von und über außergewöhnliche Frauen hat auch Ebersbach und Simon im Programm, ebenso der Ulrike Helmer Verlag. Trotzdem, findet Britta Jürgs, mache sie die noch „wahnwitzigeren“ Bücher. Fast scheint es, als kokettiere sie mit dem möglichen Misserfolg: „Weil ich leidenschaftliche Verlegerin bin, muss ich vielleicht doch unfreiwillige Optimistin sein. Ich denke, irgendwie finden sich schon Lösungen.“ Zwanzig Jahre Aviva geben ihr Recht.

Lesung zum Jubiläum: Dorotheenstädtische Buchhandlung, Turmstr. 5, Moabit, Freitag 20. Oktober., 20 Uhr. Weitere Termine siehe www.aviva-verlag.de

Anne-Sophie Schmidt

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