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Letzte Gesten. „Abschiedwinkende Soldatenfrauen“, Bronzeskulptur von Käthe Kollwitz im Berliner Kollwitz-Museum (1937).

© Doris Spiekermann-Klaas

150. Geburtstag von Käthe Kollwitz: Leben heißt kämpfen

Kunst mit Ausrufezeichen: Berlin feiert den 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz mit Ausstellungen, Stadtführungen und Büchern.

Mit ihrem ganzen Körper, mit starken Armen, kräftigen Händen, robusten Beinen schützt die Mutter ihre beiden Kinder. „Ich bin es selbst mit meinen leibgeborenen Kindern“, schreibt Käthe Kollwitz später über die Figurengruppe. Der Zementguss war 1936 fertig, 1949 schlug ihn der Bildhauer Fritz Diederich in Kalkstein. Heute ist die Skulptur hinter dem Museum Pankow ohne kundige Führung kaum zu finden. Dabei vermittelt sie berührend die existenziellen Fragen, die Käthe Kollwitz umtrieben – den Beginn des Lebens und sein Ende, die zwischenmenschlichen Bande von Liebe und Schmerz.

Zum 150. Geburtstag der Künstlerin am 8. Juli befreien zwei Ausstellungen ihr Werk von den ideologischen Schlacken, die es zu erdrücken drohten. Sie zeigen Kollwitz in ihrem sozialen Zusammenhang, im Kreis ihrer Freunde und im Kiez, der heute nach ihr benannt ist. Am Prenzlauer Berg hat Kathleen Krenzlin, die Leiterin der Galerie Parterre, ein vielstimmiges Projekt initiiert, das mit unterschiedlichen Medien das unmittelbare Wohnumfeld der Kollwitz erkundet. Zu „Käthe Kollwitz und Berlin“ gehören eine Ausstellung, ein umfangreiches Buch, sowie die präzise recherchierten Spaziergänge des Stadtführers Michael Bienert.

Die Lokalexpedition startet am Kollwitz -Denkmal von Gustav Seitz. Der Bildhauer hatte sich 1949 für den Vorschlag des Gartenarchitekten Reinhold Lingner stark gemacht, in die vorgesehene Nische die „Mutter mit zwei Kindern“ zu setzen. Den Stadtoberen aber war die intime Gruppe nicht imposant genug. Für sein Denkmal zitiert Seitz die Formensprache der Geehrten so respektvoll, dass die große, sitzende Figur mit Mappe und Stift oft für eine Arbeit von Käthe Kollwitz gehalten wird.

Kollwitz' Sohn Peter meldet sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst

Schon unmittelbar nach dem Krieg wurden der Wörther Platz und zwei Jahre später die Weißenburger Straße nach der berühmten Anwohnerin umbenannt. Das Wohnhaus in der Weißenburger Straße 25 war 1943 von einer Bombe getroffen worden. Heute erinnert nur ein Schild am Neubau daran, dass die Familie Kollwitz hier über fünfzig Jahre auf mehreren Etagen lebte. Hier hatte Karl Kollwitz seine Arztpraxis und seine Frau ihr erstes und ihr letztes Atelier. Hier wuchsen ihre Kinder auf, hier wurde das Zimmer des gefallenen Sohnes Peter gehütet wie ein Schrein, ehe die pflegebedürftige Mutter, dann der Bruder einzogen. Hier klopfte die Stadt an die Tür.

Käthe Kollwitz zeichnet die wartenden Patienten, die vor der Praxis ihres Mannes Schlange stehen. Sie begleitet den Arzt bei seinen Hausbesuchen, teilt seinen unerschrockenen Blick auf Krankheit und Tod. Die beiden hatten sich in der freikirchlichen Gemeinde von Königsberg kennen gelernt. Karl Kollwitz stammt aus einer Familie mit neun Kindern, von denen nur zwei überleben. Mit fünfzehn verliert er seine Mutter. Er wird Arzt, weil er damals selbst verzweifelt Hilfe suchte.

In der Weißenburger Straße 25 ereignet sich auch der traumatische Moment, der das Werk von Käthe Kollwitz später prägt. Im August 1914 bittet der Sohn Peter seinen Vater um die Erlaubnis, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Der ist strikt dagegen. Peter sucht die Unterstützung seiner Mutter. Am 11. August 1914 schreibt sie in ihr Tagebuch: „Ich bitte Karl für Peter. Diese einzige Stunde. Dieses Opfer, zu dem er mich hinriss und zu dem wir Karl hinrissen.“

Fünf Jahre arbeitet Kollwitz am "Weberaufstand"

Am 22. Oktober fällt Peter im Ersten Weltkrieg. Einen Monat später notiert die Künstlerin einen Satz ihres Mannes: „Du hast nur die Kraft zum Opfern und Loslassen, nicht die geringste zum Halten.“ Von da an exerziert es in ihrer Kunst, das Halten, das Behüten, das Bewahren. Jahre arbeitet sie an einem Denkmal für Peter – am Ende entstehen die „Trauernden Eltern“, die auf Vermittlung von Albert Einstein im belgischen Vladslo aufgestellt werden. Kein Paar, sondern Mann und Frau knien in ihrem Schmerz allein. Der Mann mit erhobenem Kopf, die Frau in sich zusammen gesunken.

Gerade sind die von Hans Kollwitz herausgegebenen Tagebücher im Marix-Verlag neu aufgelegt und bebildert worden. Es lohnt sich, die klaren, selbstkritischen Einträge zu lesen, die das künstlerische Werk lösen von den bekannten Plakaten mit den Ausrufezeichen. Die nachdenkliche Sprache von Käthe Kollwitz erinnert vielmehr daran, dass sie an ihren Hauptwerken jahrelang feilte. Fünf Jahre arbeitet sie an dem Zyklus „Ein Weberaufstand“, nachdem sie die Premiere von Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“ gesehen hatte. Die einzelnen Szenen zitieren die Bühnensituation und die Wucht des Theatererlebnisses, lösen sich aber in der Erzählung vom Stück. „Ein Weberaufstand“ bringt 1898 den Erfolg. Jetzt steht die Serie im Mittelpunkt der Ausstellung in der Galerie Parterre.

Der Tod schlängelt sich zwischen Mutter und Kind

Hier ist auch ein fast durchsichtiges Meisterwerk zu sehen, das Porträt des ermordeten Sozialisten Karl Liebknecht. Auf Bitten der Familie geht Kollwitz am Begräbnistag – zehn Tage nach Liebknechts Tod – ins Leichenschauhaus und zeichnet mit schwarzer Kreide das Vergehen, das Verblassen, die Verwandlung von Leben in Tod. Die rasch hingeworfene, schonungslose Zeichnung erfasst den Prozess des Verfalls präziser als der später berühmt gewordene Holzschnitt vom Abschied der Arbeiter an der Bahre.

„Abschied und Tod“ – auch in der zweiten Ausstellung „Käthe Kollwitz und ihre Freunde“ im Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße begegnen die Besucher dem Grundmotiv der Künstlerin. Die Ausstellung basiert auf dem Briefwechsel mit Freunden, Bekannten, Kollegen. Mit Gerhart Hauptmann, den sie seit Berliner Studienzeiten kennt, korrespondiert Kollwitz jahrzehntelang. Er schreibt 1924 die Einleitung zur Publikation ihres Zyklus „Abschied und Tod“. Der Text beginnt mit den luziden Worten: „Sünde. Irrtum. Leiden“. Fein arbeitet die Künstlerin den Trennungsschmerz als Linien der Nervenbahnen heraus. Der Tod schlängelt sich tückisch zwischen Mutter und Kind.

Kämpfen für das Kollwitz-Museum

Ihre Freundschaften hält Käthe Kollwitz auch über politische Differenzen hinweg. Neben dem später konservativen Gerhart Hauptmann zählt der Reformpädagoge Fritz Klatt, ein Freund ihres Sohnes Peter, zu den langjährigen Weggefährten. Der Weddinger Maler Otto Nagel, ein großer Verehrer ihrer Kunst, setzt sich später in der DDR für ihr Werk ein. Der Berliner Unternehmer Julius Freund kauft über dreißig Arbeiten. Sein Schicksal ist eine eigene Ausstellung wert. Vor seiner Emigration 1933 gelingt es ihm, seine erlesene Sammlung im Kunstmuseum Winterthur in Sicherheit zu bringen. Aber nach seinem Tod werden die Werke versteigert, die Sammlung zerstreut sich in alle Winde und ist nun ein Fall für die Provenienzforscher. Zur Berliner Eröffnung reiste sein Enkel Anthony Friend eigens aus Kanada an.

Es ist absurd, dass das Berliner Kollwitz-Museum ausgerechnet zum 150. Geburtstag der Namensgeberin um seinen Standort fürchten muss. Der Eigentümer will dort lieber ein privates Exilmuseum eröffnen. Aber Käthe Kollwitz war eine große Kämpferin. Und kämpfen wollen die Hüter ihres Erbes nun auch.

Ausstellungen und Bücher zum Geburtstag:

Käthe Kollwitz und Berlin. Eine Spurensuche zum 150. Geburtstag. In Zusammenarbeit mit dem Käthe Kollwitz Museum Köln und der Akademie der Künste. Galerie Parterre, Danziger Str. 101, Mi bis So 13 – 21 Uhr, Do 10 – 22 Uhr.

Stadtspaziergang mit Michael Bienert, Sa, 8. Juli, 14 bis 15.30 Uhr, Treffpunkt Kollwitz-Denkmal, Buchvorstellung: 13. Juli, 20 Uhr Maschinenhaus Kulturbrauerei.

Käthe Kollwitz und ihre Freunde, Kollwitz-Museum, Fasanenstr. 24, tägl. 11 – 18 Uhr.

Käthe Kollwitz und Berlin. Eine Spurensuche. Katalog. Deutscher Kunstverlag, 320 S., 24,90 €

Käthe Kollwitz und ihre Freunde. Katalog. Lukas-Verlag, 160 S., 20 €.

Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken. Ein Leben in Selbstzeugnissen, Marix-Verlag, 420 S., 20 €.

Aufstand! Revolte im Werk von Kollwitz, Wienand Verlag, 128 S., 29,80 €

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