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Einbetonierte Kunst. Ein Symbolbild? Im Pera Museum zeigt der Mexikaner Alejandro Almanza Pereda eine Gemäldeserie. Wie viele Werke lebt diese von ihrer Ambivalenz.

© Sahir Uğur Eren

15. Istanbul Biennale: Ein paar Quadratmeter Demokratie

Ein Kunstspektakel in Zeiten von Unterdrückung und Zensur - geht das? Die 15. Istanbul Biennale positioniert sich leise gegenüber Erdoğans Regime. Aber durchaus wirkungsvoll.

Recep Tayyip Erdogan hat sich bisher nicht gerade als Fan kritischer Gegenwartskunst geoutet. Künstler, Schriftsteller und Theaterleute beschimpft der türkische Staatspräsident gern als faules, alkoholisiertes Kulturgesindel. Er wirft ihnen einen unmoralischen Lebensstil vor und Verstöße gegen das Türkentum. Erdogan träumt von einer „neuen Türkei“ und einer türkischen Nationalkultur, auch wenn niemand genau weiß, was man darunter verstehen soll.

Den Anfeindungen aus Ankara stemmt sich die Kultur entgegen. Die renommierte Istanbul Biennale hat sich mit Museen, Galerien und der Contemporary Istanbul, der wichtigsten Kunstmesse des Landes, verbündet – zum größten Kunstspektakel seit den Gezi-Protesten. An sechs Orten, darunter dem Flaggschiff Istanbul Modern, wartet die Biennale mit kluger Fracht auf, es gibt teilweise sensationelle Kunst zu sehen, subtile Morsezeichen aus dem Untergrund.

Kein Künstler übt direkte Kritik an den politischen Ereignissen

Zum Beispiel im mehr als 500 Jahre alten Hammam im islamisch geprägten Stadtteil Fatih, am Goldenen Horn. Hier hat Monica Bonvicini eines der ungewöhnlichsten Werke der Biennale geschaffen: einen Nachbau der Kaaba, also des Allerheiligsten im Islam, bestehend aus schwarzen Gürteln. Gürtel, die sich zu einem Würfel formieren und viele Fragen aufwerfen: Erotik, Mode, Bestrafung, Unterdrückung? Ein Kunst-Mekka am Bosporus, in einem Land, in dem die Islamisten auf dem Vormarsch und auch schon gewaltsam über die Kunst hergefallen sind – kann das gutgehen?

Willkommenskultur. Die Installation „Sammelstelle“ von Olaf Metzel.
Willkommenskultur. Die Installation „Sammelstelle“ von Olaf Metzel.

©  Mirjam Schmitt/dpa

„Keiner der eingeladenen Künstler übt direkte Kritik an den politischen Ereignissen“, sagt der Kurator Ingar Dragset. „Es sind ruhige Stimmen. Die Künstler wollen zu neuer oppositioneller Stärke finden. Nicht plakativ, sondern mit einer poetischen Sprache. Die Ausstellung gibt ein ganz anderes Bild ab als das, welches die Regierung gern sehen würde.“

Man nutzt eine Sprache der Ambivalenz

„A good neighbour“ lautet das Motto der Biennale Istanbul, das sich das Künstler- und Kuratorenduo Elmgreen und Dragset ausgedacht hat. Schon von Anfang an gab es Kopfschütteln und Rätselraten, was die beiden Skandinavier wohl damit gemeint haben könnten. Ist die Türkei ein guter Nachbar? Sollte hier eine laue Wellness-Biennale vorbereitet werden, die keinem wehtut? Oder verbirgt sich dahinter ein politisches Signal?

Nun hat sich das verschwurbelte Motto als Glücksfall erwiesen. Man fliegt gleichsam unter dem Radar der Zensur und schafft doch Beziehungen in unterschiedlichste Sphären. Viele der 56 Künstler aus 32 Ländern sprechen eine Sprache der Ambivalenz, die politisch ist und nicht etwa marktschreierisch und aktivistisch pubertär wie auf der Documenta, wo die Kunst vielfach Behauptung blieb.

Was machen zum Beispiel diese weißen, eleganten, aus Porzellan bestehenden Überwachungskameras in den Straßen von Istanbul? Sie stammen von der Künstlerin Burcak Bingöl und sind mit Blumenmotiven verziert, wie sie im Osmanischen Reich üblich waren. Diese Porzellankameras funktionieren zwar nicht; aber sie werfen ein merkwürdiges Licht auf den öffentlichen Raum.

Die Themen Flucht, Vertreibung und Migration dominieren

3,5 Millionen Flüchtlinge werden derzeit nach dem EU-Abkommen in der Türkei festgehalten. Nicht verwunderlich, dass Flucht, Vertreibung und Migration auch die diesjährige Biennale dominieren. Zum Beispiel die Statue eines jungen Mädchens aus Elfenbein, nach dem Vorbild des weltberühmten Reportagefotos, auf dem ein vietnamesisches Mädchen 1967 schreiend aus seinem von Napalm bombardierten Dorf flieht. Der aus Algerien stammende Adel Abdessemed hat die weiße Plastik in den leeren White Cube des Istanbul Modern platziert. Das edle Material kontrastiert mit der Brutalität des Sujets. Der 1966 in Bagdad geborene Mahmoud Obaidi hat die Seiten seiner Skizzenbücher durch Blechgitter und Metall verstärkt. In seine Malereien auf Gips, einem instabilen Material, fließen auch frühe Kinderzeichnungen ein.

Olaf Metzel, seit Jahrzehnten erklärter Fan der Türkei, hat eines seiner früheren Werke recycelt: „Sammelstelle“, ein Raum aus Wellblech und Aluminium hinter einer Drehtür, war eigentlich für die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien 1992 gedacht. Jetzt wurde der Ort für die aktuellen Neuankömmlinge umgerüstet.

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Der türkische Künstler Volkan Aslan hat ein friedliches Video gedreht. Zwei Frauen topfen Blumen um, trinken Kaffee oder liegen im Bett. Erst am Ende erkennt man, dass sie auf einem Hausboot den Bosporus entlangtuckern und wohl auf der Suche nach einer neuen Heimat sind.

Geradezu idyllisch auch der Trailer, mit dem die Biennale für sich wirbt: Vogelgeschrei über dem Bosporus, das Tuten der weißen Fährschiffe, eine Kamera gleitet in den Himmel und blickt von oben auf den Galata-Turm. Tourismus pur, so scheint es, fernab der Politik und des nickeligen Kunstbetriebs.

Kann man jetzt, im September 2017, vorbehaltlos zur Istanbul Biennale fahren, der größten Kunstveranstaltung, die je in der Türkei zu sehen war? Wie muss man sich positionieren, in einer Zeit von Verhaftungen, Repression und einer Regierung, die sich offenbar das ganze Land untertan machen will?

Die Kuratoren waren unsicher, ob die Biennale überhaupt stattfindet

Vielen erscheint fraglich, ob eine Türkei-Reise überhaupt zu rechtfertigen ist. Die Türkei gehe durch eine schwierige Zeit, sagt Ingar Dragset. „Dabei waren wir nicht mal sicher, ob die Biennale überhaupt stattfinden kann. Aber dann hatten wir ein Abendessen mit dem Nobelpreisträger Orhan Pamuk, und der sagte: Leute, rennt nicht weg, wir brauchen eure Hilfe. Kunst kann Teil eines Heilungsprozesses sein, und sie nimmt den Leuten die Angst.“

Noch nie hat die Kunstszene in der Türkei so sehr nach internationaler Solidarität gerufen. Soll man zu Hause bleiben, ihr den Rücken kehren? Es gibt im Land eine kleine, hervorragend ausgestattete Bildungselite, doch 49 Prozent der Türken sind noch nie im Kino gewesen, fand das Umfrageinstitut Ipsos heraus. 39 Prozent hätten noch nie ein Buch gelesen, zwei Drittel seien noch nie in einem Konzert gewesen. Das zu ändern ist das erklärte Ziel der privaten Istanbuler Kulturstiftung IKVS, die die Kunstbiennale ebenso wie diverse Jazz-, Theater und Filmfestivals ausrichtet. Die Kosten trägt eine der großen Industriellenfamilien des Landes. Und weil das so ist, kann sie sich staatlichen Zugriffen durchaus entziehen. Auch wenn über die Rolle des Hauptsponsors Koc, der Milliarden in der Rüstungsindustrie verdient, immer wieder diskutiert wird.

Die Kunstwelt versucht verzweifelt zu überleben

Kaum zu glauben übrigens, aber es gab einmal eine Zeit, da hat sogar Recep Tayyip Erdogan der Kunst geholfen. Als es um die Jahrtausendwende darum ging, auf dem schwierigen Istanbuler Immobilienmarkt ein Filetstück am Meer für den Bau des Istanbul Modern zu sichern, hat der damals frische Premier Erdogan Unterstützung gezeigt. Heute droht die Istanbul Modern im Meer zu versinken, das Gelände ist von lärmenden Baumaschinen eingekreist. Hier soll ein Yachthafen entstehen. Die Kunstwelt sucht verzweifelt nach Ausweichquartieren.

Bedri Baykam rauft sich über all dem die Haare. Der Künstler hat viel mitgemacht. Vor sieben Jahren schlitzte ihm ein Islamist mit dem Messer auf offener Straße den Unterleib auf, Baykam überlebte nur knapp. Er ist nach wie vor Präsident des türkischen Künstlerverbandes.

Türkische Künstler zensieren sich aus Angst selbst

„Wir haben hier jede Menge Selbstzensur“, klagt er . „Unsere Karikaturisten dürfen nicht mehr zeichnen, wie sie wollen, unsere Theaterleute gehen Risiken ein. Unsere Maler und Regisseure halten sich an selbst auferlegte Grenzen. Das ist furchtbar.“ Die Türkei habe in der Vergangenheit knallharte rechtsgerichtete Politiker überstanden wie Demirel oder Erbakan, über die habe man noch Scherze machen und satirische Bühnenstücke schreiben können. „Heute finden wir uns einer Partei gegenüber, die einen Vorwand sucht, um jeden ins Gefängnis zu werfen.“

Aber aufgeben? Bedri Baykam wirft ein Buch auf den Tisch. Es heißt übersetzt „Nein zur Ein-Mann-Diktatur“ und ist gerade erschienen, im Buchhandel frei erhältlich. Etliche Bücher hat er in den letzten Jahren veröffentlicht, jedes ein Manifest für die Demokratie.

Baykam hat ein frühes Werk herausgekramt, die „Democracy Box“, eine Bretterbude in der Größe einer Telefonzelle, in der jeder tun und lassen kann, was er will. Ein Quadratmeter Freiheit. 1987 wurde die Democracy Box erstmals in Istanbul gezeigt, im Atatürk Kulturzentrum am Taksim Platz, das Erdogan jetzt abreißen will. Nun wird die Box zum Verkauf angeboten, für 500 000 Dollar. Ein Stück türkischer Demokratiegeschichte, das auf dem Kunstmarkt gelandet ist.

Werner Bloch

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