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Gefangen. Salomon Northup (Chiwetel Ejiogfor, lks.) ist gekidnapt worden. Anderntags steht vor dem Sklavenhalter (Paul Giamatti).

© Tobis

"12 Years a Slave": Hölle unter freiem Himmel

Gewinnt Steve McQueen demnächst als erster schwarzer Regisseur den Oscar? Mit seinem Südstaaten-Drama „12 Years a Slave“ holte er soeben den Golden Globe. Auch andere Filme über die Befreiung der Schwarzen zeigen, dass ein Bewusstsein der Schuld entsteht.

Die entscheidende Hürde ist genommen. Soeben krönte die Hollywood-Auslandspresse Steve McQueens Epos „12 Years A Slave“ mit dem Golden Globe in der Kategorie Drama. Damit blieben nicht nur die Konkurrenten „Captain Phillips“, „Gravity“, „Philomena“ und „Rush“ kühl auf der Strecke, sondern nun ist auch der Weg zu den Oscars, die Anfang März vergeben werden, für den schwarzen Regisseur frei. Genauer: jener zum Top-Oscar für den besten Film. Da mag man noch so sehr über das schillernde 80-köpfige Society-Journalistengremium spotten, das die Globes vergibt – meist liegt es so punktgenau richtig, dass die rund 6000 Mitglieder fassende Oscar-Academy ihm, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, bloß noch zu folgen scheint.

Blickt man auf die Geschichte der Academy selber, wäre schon der erste Regie-Oscar für einen Schwarzen eine Sensation. Die drei Wegmarken für afroamerikanische Erfolge in dieser von weißen Hollywood-Filmleuten dominierten Institution liegen Jahrzehnte auseinander, und die Themen der dazugehörigen Filme lesen sich wie eine Chronik des Eskapismus. Oder, wenn man weiterdenkt, einer besonders subtilen Form der Diskriminierung. 1940 bekam Hattie McDaniel den Oscar als Nebendarstellerin in „Vom Winde verweht“ – in dem Südstaaten-Ehedrama spielte sie eine ihrer Herrschaft gegenüber loyale Haussklavin. 1964 war Sidney Poitier als Hauptdarsteller in der Komödie „Lilien auf dem Felde“ an der Reihe – ein charmanter Schwarzer, der grantigen, aus der DDR geflüchteten Nonnen eine Kapelle baut. Und weitere knapp 40 Jahre vergingen, ehe Halle Berry 2002 als erste schwarze Hauptdarstellerin den Oscar holte: „Monster’s Ball“ erzählt die Liebesgeschichte zwischen einem ehemaligen Todeszellenwärter und der Witwe eines Exekutierten, brannte sich jedoch vornehmlich wegen einer heißen Sexszene zwischen Berry und Billy Bob Thornton ins Kino-Gedächtnis ein.

Und nun hat plötzlich ein von einem schwarzen Regisseur gedrehtes Sklavendrama, das an Unerbittlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, massive Oscar-Chancen. Wie kommt es, dass einem dieser revolutionäre Vorgang nahezu normal erscheint? Zunächst setzt hier der 44-jährige Brite, der sich mit seinem wuchtigen IRA-Drama „Hunger“ (2009) und „Shame“ (2011), dem nicht minder radikalen Porträt eines Sexsüchtigen, sofort als bedeutender Regisseur etablierte, im großen historischen Maßstab erneut auf einen Gefangenenstoff. Gleichzeitig bietet Obamamerica, das trotz aller politischer Ernüchterung derzeit in sein sechstes Jahr geht, hierfür die gesellschaftliche Basis. Und vor allem: So unterschiedlich Quentin Tarantinos wilder Südstaaten-Western „Django Unchained“, Steven Spielbergs Antirassismus-Geschichtsstunde „Lincoln“ und Lee Daniels’ „The Butler“, das Biopic über einen Diener im Weißen Haus, auch sein mögen – vor allem diese drei Filme haben Steve McQueens sich nun abzeichnenden Erfolg vorbereitet. Die Befreiung der Schwarzen und – nimmt man „Mandela“ dazu, der Ende des Monats ins Kino kommt – ihr langwieriger Aufstieg bis an die Staatsspitzen ist die große Kino-Erzählung dieser Jahre.

„12 Years a Slave“, der auf den 1853 erschienenen Aufzeichnungen des Violonisten Solomon Northup basiert, geht geradewegs auf sein Thema los. Zu einer Zeit, da der Sklavenhandel per Bundesgesetz längst verboten war, die Sklavenhaltung in den Südstaaten aber weiterhin florierte – vier Millionen schwarze Sklaven schufteten ohne Bezahlung für den Profit der Weißen –, besorgten sich die Plantagenbesitzer den notwendigen Nachschub weithin per Kidnapping. Der in Saratoga Springs nördlich von New York lebende freie schwarze Bürger Northup, Vater von zwei Kindern, wird in eine Falle gelockt, betäubt, gefangen genommen, verkauft und auf eine Plantage verschleppt. Auf die aussichtslose Rebellion verzichtet er; er will leben. Seine Intelligenz verbirgt er, so gut es geht; damit passt er sich der rassistischen Vorstellung vom dummen Schwarzen vorsichtig an, ohne je zum Kollaborateur des Bösen zu werden. Und gibt zugleich nie ganz die Hoffnung auf, eines Tages freizukommen.

Der Film begleitet, elegant zwischen den Zeitebenen wechselnd, den immer tieferen Abstieg Northups, der von seinen Herren nur noch „Platt“ genannt wird. Erst arbeitet er auf einer Plantage, deren Besitzer William Ford (Benedict Cumberbatch) noch eine gewisse Menschlichkeit hat; sein Oberaufseher (Paul Dano) aber ist ein mörderischer Schleifer. In einer quälend langen Szene wird Northup an einem Ast aufgeknüpft und kann sich nur auf Zehenspitzen noch am Boden halten. Bald aber verkauft Ford, um sich Scherereien zu ersparen, seinen Sklaven an den gefürchteten Eigentümer einer Baumwollfarm, Edwin Epps (Michael Fassbender). Der ist ein wahrer Dämon: Nachts weckt er sein erschöpftes Gesinde zum Tanz auf und lässt Northup dazu Geige spielen, nachts vergewaltigt er die Sklavin Patsey (Lupita Nyong’o) und lässt sie anderntags aus nichtigem Grund bis aufs Blut auspeitschen – ein Sadist, der sich unersättlich an seinem gesamten, stets lauthals reklamierten „Eigentum!“ vergeht.

Es gibt in dieser Hölle unter freiem Himmel allenfalls Fluchtpläne, aber keinerlei Sklavenaufstände. Der Alltag ist von schweigendem Erdulden und stetem Wegsehen der Opfer bestimmt. Der Film, dessen Zentrum Northup als eine Art stilles Auge bildet, birst vor hochdramatischen Szenen; die Inszenierung selber zieht jedoch, abgesehen von Hans Zimmers – hier gedämpfterem – Score daraus keinen billigen Profit. Oft beschränkt sich die Kamera auf den Blick aus der Totalen; Chiwetel Ejiofor als Northup, in jeder Szene kraftvoll präsent, fungiert als Opfer wie seine Leidensgenossen – und als verlässlicher Zeuge. Irgendwann hat Brad Pitt, der den Film maßgeblich mitfinanziert hat, seinen Auftritt als Retter und einziger wirklich guter Weißer: Das wirkt aufdringlich albern, aber dieser Misston verklingt.

Vor 150 Jahren wurde die Sklaverei in Amerika offiziell abgeschafft, bald 120 Jahre ist das Medium Kino nun schon alt. Noch nie aber hat es einen solch ernsthaften, diese Wunde zeigenden Spielfilm über die Erbsünde der amerikanischen Gesellschaft gegeben. Den Weg durchaus drastisch freigeschossen hat ihm, in seiner Abstiegschronologie sogar entfernt ähnlich, vor allem Tarantinos letztjähriger Hit „Django Unchained“. Auch hier gibt es die fiesen Aufseher und, in Gestalt von Leonardo DiCaprio, einen Michael Fassbender im Sadismus ebenbürtigen selbsternannten Allmächtigen. Aber Blaxploitation-Fan Tarantino setzte – sich auch bei Camp-Klassikern wie Richard Fleischers „Mandingo“ (1974) bedienend – ausschließlich auf die genrebedingte Rache-Fantasie. Und: Ohne den guten, wenn auch zynischen Weißen als Antreiber und Chef geht hier gar nichts, in Gestalt von Christoph Waltz alias Kopfgeldjäger Dr. King Schultz.

Das historische Großpanorama zu „12 Years a Slave“ hat zuletzt Steven Spielberg in „Lincoln“ erhellt – als hochpolitisches Tauziehen im Bürgerkrieg. Den Weg zur Abschaffung der Sklaverei zeichnet er minutiös als Institutionenkampf nach, als Ringen unter edlen und weniger edlen Weißen. Ob der gutwillige und gutherzige Regisseur sich mit diesem theaterhaften, verblüffend erfolgreichen Film endgültig vom Vorwurf des „liberalen Paternalismus“ befreit, mit dem ihn die Afroamerikaner seit seinen Antirassismus-Epen „Die Farbe Lila“ (1985) und „Amistad“ (1997) bedenken?

Indirekt wirkungsvoller dürfte da „The Butler“ sein, gedreht von dem Afroamerikaner Lee Daniels, der 2010 mit dem erdrückend bedrückenden Sozialdrama „Precious“ berühmt wurde. In ihm haben zwar ein Halbdutzend Präsidenten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Auftritt, das dramaturgische und ethische Zentrum aber bildet Forest Whitaker als Diener, der seine stille Würde auch gegenüber dem rebellischen Sohn verteidigt – ein ferner Nachfahre Solomon Northups 100 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei, als die bürgerrechtliche Gleichstellung der Schwarzen Wirklichkeit wurde.

Sind diese Filme, mit dem scharfkantigen „12 Years a Slave“ an der Spitze, als Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung zu verstehen? Zur Bewältigung, wenn derlei überhaupt möglich ist, ist es zu spät; sie hätte über die Sühne zur Versöhnung mit den Opfern führen müssen. Das Bewusstsein aber für Schuld öffnen sie allemal, und es ist ein Zeichen für die – späte – Reife der amerikanischen Gesellschaft, dem Verbrechen der Masseneinkerkerung ihrer schwarzen Minderheit zumindest im Kino ins Auge zu sehen. In der Schlussszene von „12 Years a Slave“ entschuldigt sich der gealterte Northup bei seiner Familie für sein Äußeres, eine Folge der „schwierigen Zeit in den letzten Jahren“, und seine Frau sagt leise: „There is nothing to forgive.“ Eine private Tröstung, die gesellschaftlich ganz anders verstanden werden kann. Und muss.

„12 Years a Slave“ läuft ab Donnerstag in 13 Berliner Kinos. OV im Cinestar SonyCenter, OmU im Babylon Kreuzberg, Filmkunst 66, Hackesche Höfe und International.

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