zum Hauptinhalt
Einst Bollwerk des Klerus. Die Dominsel in Brandenburg an der Havel mit dem Dom St. Peter und Paul. Die Anhänger Roms schritten anfangs energisch gegen die „lutherischen Umtriebe“ in der Alt- und Neustadt ein, aber sie hatten keine Chance. Die idyllische Dominsel ist von der Havel und Kanälen umschlungen.

© euroluftbild, BSF Swissphoto

Serie "Durch Luthers Brandenburg, Folge 4: Brandenburg an der Havel: Nichts war mehr heilig

Die Alt- und Neustadt von Brandenburg an der Havel waren Enklaven aufmüpfiger Bürger. Sogar eine Kirche räumten sie komplett aus. Es sind beeindruckende Gesichter der Reformation.

Kurfürst Joachim I. räumte in seinem Ländchen gnadenlos auf. 1506 ließ der damals erst 22 Jahre alte Herrscher siebzig Raubritter hängen, darunter vierzig Adlige. Und als sich die Ideen der Reformation in der Mark Brandenburg rasch verbreiteten, stellte er sich ihnen erbittert entgegen. Erfolgreich war er aber nur im Kampf gegen die Spießgesellen. Den lutherischen Geist konnte er nicht bannen. Was macht ein Machtmensch in einer solchen Situation? Er taktiert und schaut auch mal weg, um nicht gänzlich die Sympathie de Volkes zu verlieren.

Bürgermeister Schuler ignorierte das kurfürstliche Verbot

So geschehen anno 1523 in der Altstadt von Brandenburg an der Havel. Kategorisch hatte Joachim I. allen Bürgern verboten, ihre Söhne an der aufrührerischen Universität zu Wittenberg bei Luther und dessen Mitstreiter Melanchthon studieren zu lassen. Aber der damalige Altstädtische Bürgermeister Balthasar Schuler scherte sich nicht darum. Er brachte seinen Sohn Georg Sabinus höchstpersönlich nach Wittenberg, wo der 16-Jährige sogar im Hause Melanchthons wohnte. Es wurde stillschweigend geduldet.

Joachim II. war ein Schlitzohr und pragmatisch

Zwölf Jahre später, als Joachim II., Sohn des papsttreuen Kurfürsten, 1535 an die Macht kam, geriet die katholische Front schon arg ins Wanken. Joachim II. war ein Schlitzohr, er reagierte pragmatisch. Zum Beispiel anno 1535 in der Neustadt von Brandenburg a.d. Havel. Die Gemeinde der Sankt Katharinenkirche wollte einen protestantischen Prediger einstellen und das evangelische Abendmahl statt der katholischen Eucharistie feiern. Endlich sollten Laien nicht nur das Brot, die Hostie, sondern auch den Weinkelch empfangen, der bislang nur Priestern vorbehalten war.

Havelpromenade an der St. Johanniskirche. Das Gotteshaus gehörte in den Reformationstagen zum benachbarten Franziskanerkloster, dessen Gebäude 1865 abgerissenen. Die Mönche wetterten damals vehement gegen den neuen Glauben. Heute wird St. Johannes profan genutzt - als spektakuläre Ausstellungshalle.
Havelpromenade an der St. Johanniskirche. Das Gotteshaus gehörte in den Reformationstagen zum benachbarten Franziskanerkloster, dessen Gebäude 1865 abgerissenen. Die Mönche wetterten damals vehement gegen den neuen Glauben. Heute wird St. Johannes profan genutzt - als spektakuläre Ausstellungshalle.

© Ulf Böttcher

Das hatten die zuständigen Ratsherren schon 1524 erstmals beantragt, aber es war verweigert worden mit dem Hinweis, die lutherischen Lehren förderten „Unkeuschheit und Uneinigkeit“. Nun trugen sie ihr Anliegen wieder vor – und der neue Kurfürst war kompromissbereit. Er verlangte aber eine Gegenleistung. Die Gemeinde sollte ihren Silberschatz komplett nach Berlin schaffen.

Das war den Neustädtern zu dreist. Zäh verhandelten sie, bis sich Joachim II. mit einem großen Silberkreuz und anderen Reliquiaren zufrieden gab. Der fromme Aufruhr war bereits zu groß. Die Gemeinde hatte zuvor schon mit den Füßen abgestimmt. Immer mehr Gläubige waren den Messen ferngeblieben, kaum jemand spendete noch. 1536 hatten die Neustädter ihr Ziel erreicht: St. Katharinens erster lutherischer Pfarrer Thomas Baitz reichte den Wein der gesamten Abendmahlrunde.

Drei Jahre später wich auch der Kurfürst vom alten Glauben ab: 1539 führte er in der Mark die Reformation ein.

Bei den Bürgern zogen die lutherischen Ideen immer weitere Kreise

In den beiden Jahrzehnten zuvor hatte sich in der heute drittgrößten Stadt Brandenburgs ein religiöses Spannungsfeld aufgeladen: Auf der Dominsel mauerte der Klerus, es war ein Bollwerk der Katholiken. In den widerständigen Enklaven Neustadt und Altstadt aber zogen die lutherischen Ideen immer weitere Kreise.

Beide Kommunen waren damals noch selbstständig, erst 1715 wurden sie vereinigt. Wer heute zu einer Entdeckungstour durch die wasserumschlungene Doppelstadt aufbricht, kann noch viele Spuren aus der ereignisreichen Reformationszeit finden: beim Besuch der Gotteshäuser, beim Bummel entlang der Kanäle, über den Altstädtischen Markt und die Jahrtausendbrücke an der Havel oder zu den vier erhaltenen Tortürmen.

Der Alltag war von Misstrauen und Unsicherheit geprägt

Selbst nach dem Übertritt Joachims II zum lutherischen Glauben waren die folgenden Jahre noch von Misstrauen und Unsicherheit geprägt. Die Heere der Osmanen drängten nach Mitteleuropa, folglich waren die Einheit der Kirche und damit der Reichsfrieden eigentlich ein Gebot der Stunde. „Musste man da nicht mit einer gewissen Wankelmütigkeit des Kurfürsten rechnen?“ fragt Denkmalspflegerin Anja Heinecke.

Die 48-jährige Kunsthistorikerin hat sich intensiv mit der Glaubensgeschichte der Stadt beschäftigt. Sie hat die Ausstellung „Reformation konkret“ in St. Gotthardt kuratiert sowie die Texte für Infostelen verfasst, die man an interessanten Reformationsorten in der Stadt findet. Warum drängten sich die Bürger der Altstadt und Neustadt überhaupt aufs unsichere evangelische Terrain? „Sie wollten endlich ihren eigenen persönlichen Draht zu Gott haben, ohne Bevormundung durch Priester“, sagt Heinecke. Das ermöglichte nun Luther. Dabei gingen sie allerdings verschiedene Wege.

In St. Gotthardt fielen die protestantischen Bilderstürmer ein

In St.Katharinen war der Wandel verhältnismäßig harmonisch. Neben den neuen protestantischen Epitaphen und Kunstwerken sind in der spätgotischen Hallenkirche auch noch die wertvollen mittelalterlichen Malereien erhalten oder der Flügelaltar von 1474. In der altstädtischen St. Gotthardtkirche, gleichfalls ein Bauwerk der Spätgotik, fielen hingegen die reformatorischen Bilderstürmer ein.

Ort der Bilderstürmer. In der St-Gotthardtkirche der Altstadt Brandenburg war der Glaubenswandel einst radikal. Von der Kirche sind es nur wenige Schritte zur Havel, ein Freizeitparadies.
Ort der Bilderstürmer. In der St-Gotthardtkirche der Altstadt Brandenburg war der Glaubenswandel einst radikal. Von der Kirche sind es nur wenige Schritte zur Havel, ein Freizeitparadies.

© Ulf Böttcher

Die Kirche wurde leergeräumt, alle 18 vorreformatorischen Altäre wurden herausgeschleppt, die reichen Wand- und Deckenmalereien weiß übertüncht. Fenster wurden erneuert, monumentale Kreuzigungsfiguren kamen in die Rumpelkammer, das Westportal ließen die Lutheraner zumauern. Sie wollten sich abgrenzen von der im Mittelalter üblichen Ost-West-Ausrichtung der Gotteshäuser. Stattdessen erhielt die Kirche neue Portale im Süden und Norden. Sie führten direkt in den Predigtraum Dort wurde das Gestühl um die Kanzel aufgestellt, im neuen Sinne vollkommen auf die Glaubensworte ausgerichtet. Hinzu kamen der erste Reformationsaltar in der Mark und rund zwanzig, meist hölzerne Epitaphe, auf denen sich die Familien der lutherisch gesinnten Ratsherren und Pfarrer schon zu Lebzeiten unter protestantischen Symbolen abbilden ließen. „Diese Porträts wirken wie klare Statements zum neuen Glauben, gepostet wie Selfies“, sagt Denkmalpflegerin Heinecke. „Wer genau hinsieht, erkennt markante Persönlichkeiten der Altstadt.“

Fromm vor den Befestigungsmauern der Altstadt: Porträt von 1586 einer protestantischen Ratherrenfrau und deren Tochter auf einer hölzernen Gedenktafel (Epitaph) in der St. Gotthardtkirche. Links ist ein Weinberg zu sehen. Im 16. Jahrhundert gab es rund um Brandenburg an der Havel viel Weinanbau.
Fromm vor den Befestigungsmauern der Altstadt: Porträt von 1586 einer protestantischen Ratherrenfrau und deren Tochter auf einer hölzernen Gedenktafel (Epitaph) in der St. Gotthardtkirche. Links ist ein Weinberg zu sehen. Im 16. Jahrhundert gab es rund um Brandenburg an der Havel viel Weinanbau.

© Hans-Uwe Salge

Es sind die Gesichter der Reformation. Porträts von Menschen, die nach neuen Wegen suchten – im Glauben, im Miteinander und der Organisation ihrer Stadt. Nirgendwo ist man ihnen heute – dank ihrer Bildnisse, Briefe und Schriften – näher, als in der Stadtkirche. Bis tief ins Privatleben hinein wirkten ihre Netzwerke. Die Familie des Ratsherren Balthasar Schuler beispielsweise war eng mit dem Reformator Melanchthon befreundet. Schulers Sohn Georg Sabinus hatte nach seinem Studium in Wittenberg Melanchthons Tochter Anna geheiratet. Später besuchte Melanchthon oft mit seinen geliebten Enkeltöchtern ihre Großmutter in der Altstadt.

Die "Lutherfresser" auf der Dominsel wehrten sich noch lange

1904-1906 wurde die St. Gotthardtkirche saniert, dabei wurde auch das Westportal wieder geöffnet und das romanische Rundbogenfenster am Turm freigelegt. Nach einem Orgelbrand 1972 machte man zudem die gotischen Malereien teils wieder sichtbar. Gleichwohl gilt St. Gotthardt heute als Musterbeispiel für ein authentisches, in den Glaubenswirren geprägtes evangelisches Gotteshaus.

Auf der Dominsel lässt sich das Gegenteil studieren. Dort herrschten die „Lutherfresser“, so der Volksmund, noch lange. Erst, als der Kurfürst drohte, er werde ihnen den Geldhahn zudrehen, wurde 1544 im Dom das protestantische Bekenntnis eingeführt. Zuvor ließ der Klerus aber noch rasch das Gestühl im Hohen Chor für den Stundengesang der Mönche erneuern. Es war ein letztes Aufbegehren gegen die lutherischen Umtriebe.

Tipps zu Brandenburg an der Havel

AUSSTELLUNGEN

„Altlust – 1000 Jahre Nachnutzung im Dom zu Brandenburg“: Was passiert, wenn ein Grabstein zur Türschwelle oder ein geistlicher Chormantel als Tischdecke dient? Wie gingen die Menschen nach der Reformation mit der bisherigen Kunst und den lithurgischen Gegenständen des alten Glaubens um? Das zeigt diese Ausstellung des Museums im Dom St. Peter und Paul, bis 31. Okt., Mo–Sa 10–17 Uhr; So 12–17 Uhr. Zur Ausstellung ist ein reich illustriertes Begleitbuch von Museumsleiter Rüdiger v. Schnurbein erschienen. Titel: Altlust, Verlag berlin-brandenburg (vbb).

Reformation konkret – Kirche und Stadt, alles eins: Die lutherische Bewegung und ihre Folgen für den städtischen Alltag, die Stadtpolitik und Ausgestaltung der Kirche. Eine Schau mit spannenden Stopps auch für Kinder: St. Gotthardtkirche, bis 31. Okt., tgl. 11-17 Uhr,

Freiheit der Reformation – St. Katharinen, Ort des ersten evangelischen Abendmahls in der Neustadt: St. Katharinenkirche bis 31. Okt., tgl. 10-16 Uhr.

Luther und Judentum – das Verhältnis von Protestantismus und Judentum, am Beispiel von Brandenburg (Havel) differenziert und spannend jeweils aus jüdischer und evangelischer Sicht durch die Jahrhunderte betrachtetet: St. Katharinenkirche, 23. Sep.-31. Okt., 10-16 Uhr.

EINKEHREN

Industrieromantik. Die Montagehalle der früheren Thälmann-Werft ist heute ein außergewöhnliches Restaurant am Havelufer, genannt "Werft". Es liegt direkt an der Jahrtausendbrücke.
Industrieromantik. Die Montagehalle der früheren Thälmann-Werft ist heute ein außergewöhnliches Restaurant am Havelufer, genannt "Werft". Es liegt direkt an der Jahrtausendbrücke.

© Ulf Böttcher

KONZERTE

Sommermusiken im Dom, zum Beispiel am Mi, 31. Mai, 19.30 Uhr. Titel: Alles nur geklaut? Von Bach bis Beatles. Eine musikalischer Beitrag zur Altlust-Ausstellung im Dommuseum. Weitere Konzerte stehen online unter: www.dom-brandenburg.de/musik.

Die nächste Folge unserer Serie "Durch Luthers Brandenburg" entführt Sie nach Mühlberg an der Elbe. Sie erscheint am Sonnabend, 20. Mai.

Bereits erschienen sind Beiträge zu folgenden Städten: Jüterbog im Fläming (6. Mai), Frankfurt/Oder (10. Mai), Herzberg an der Schwarzen Elster (13. Mai).

Alle Serienteile finden Sie im Internet unter: www.tagesspiegel.de/brandenburg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false