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Kaufberatung: Hörgeräte

Hörhilfen haben seit jeher Image-Probleme. Doch in den letzten Jahren sind sie immer leistungsstärker, kleiner und teilweise sogar stylischer geworden.

Rund 15 Millionen Deutsche haben Hörprobleme, jedoch nur ein Zehntel davon nutzt ein Hörgerät. Viele haben wenig attraktive Bilder von fleischfarbenen, pfeifenden Plastikbolzen im Kopf und zögern eine Anschaffung hinaus. Moderne Hörsysteme allerdings entsprechen diesem Bild schon lange nicht mehr. Es sind kleine Minicomputer, die teilweise ganz im Ohr verschwinden. Über 2000 verschiedene Hörgerät-Modelle sind derzeit auf dem Markt. Grundsätzlich arbeiten aber alle nach dem gleichen Prinzip. Es braucht ein (oder mehrere) Mikrofone, um Töne, Sprache und Geräusche zu registrieren, einen Verstärker, um die eingefangenen Klänge lauter zu machen, und einen Lautsprecher, der das Gehörte an das Ohr weitergibt. Mittlerweile sind alle in Deutschland erhältlichen Hörgeräte digital und haben eine Rechenleistung, die mit der eines Mittelklasse-Desktop-Computers vergleichbar ist. »Die Geräte müssen wirklich sehr schnell sein, weil sie den Schall ja in Echtzeit weiterleiten sollen«, sagt Marcus Nissen, Hörgeräteakustikermeister und Dozent an der Akademie für Hörgeräte-Akustik in Lübeck. »Jede Verzögerung wäre für die Träger der Geräte extrem störend.« Um für unterschiedliche Hörsituationen gerüstet zu sein, verfügt jedes Gerät außerdem über mindestens drei Hörprogramme, zum Beispiel eins für Gespräche in kleinen Gruppen, eins zum Telefonieren und eins für den Theaterbesuch. Zwischen diesen Programmen kann man manuell umschalten. High-End-Geräte erkennen die Geräuschsituation sogar automatisch. Außerdem haben aktuelle Hörgeräte mindestens vier Kanäle. Sie sind jeweils für die unterschiedlichen Tonfrequenzen zuständig und können unabhängig voneinander auf den Hörverlust des Kunden eingestellt werden. Eine Besonderheit ist die Telefonspule, eine Technologie, die es seit über 60 Jahren gibt und die sich noch heute in vielen Hörgeräten findet. Sie ermöglicht, den Ton über induktive Höranlagen, sogenannte Ringschleifen, die oft in öffentlichen Veranstaltungsräumen, Theatern, Kirchen oder Kinos installiert sind, zu empfangen. Schaltet der Nutzer auf das Programm T um, übertragen sie den Ton störgeräuschfrei direkt auf das Hörgerät. Generell lassen sich Hörgeräte in zwei große Gruppen unterteilen: Hinter-dem-Ohr (HdO) - und In-dem-Ohr (IdO)-Geräte. Wie die Bezeichnungen bereits vermuten lassen, werden HdO-Geräte hinter der Ohrmuschel getragen, während die IdO-Geräte ein Stück weit in den Gehörgang eingeführt werden.

Eine Übersicht aller Berliner Kinos, Theater und Kirchen mit induktiven Höranlagen finden sie unter www.schwerhoerigen-netz.de

Hörschmuck
Zwar gibt es einen Trend zu immer kleineren, unsichtbaren Hörgeräten, doch gleichzeitig setzten auch einige Hersteller auf modisches Potenzial, zum Beispiel durch verzierte Otoplastiken oder Hörgeräte als Ohrringe. Ein Münchener Designstudio hat sogar ein Konzept für ein Gerät in Form eines Ohrläppchen-Tunnels entwickelt. Günstig ist der Hörschmuck allerdings nicht.

Hinter dem Ohr
Hinter-dem-Ohr (HdO)-Geräte sind grundsätzlich leistungsstärker als IdO-Geräte, da sie etwas größer sein können und so mehr Platz für die Technik, zum Beispiel einen leistungsstärkeren Verstärker, bieten. Ein HdO-System besteht aus zwei Teilen: dem Hörgerät selbst, das je nach Modell unterschiedliche Formen, Farben und Größen haben kann, und einem individuellen Ohrpassstück aus Kunststoff (Otoplastik). Dieses wird nach der Abformung der Ohrmuschel und des Gehörgangs gefertigt und sorgt dafür, dass das Hörgerät gut sitzt und den Schall optimal ins Ohr weiterleitet. Das Verbindungsstück zwischen dem Hörgerät und der Otoplastik nennt sich Schallschlauch. Er ist aus transparentem Silikon und hat in der Regel einen Innendurchmesser von 2,1 mm. Bei weniger starken Hörstörungen reicht aber eventuell ein so genannter Slimtube, der mit etwa 1mm Innendurchmesser wesentlich dünner und somit dezenter ist.
Nicht auffallend ist auch bei den Ohrpassstücken ein Thema. »Viele Menschen legen Wert darauf, dass die Otoplastik möglichst unauffällig ist, aber kleiner bedeutet nicht in jedem Fall besser«, sagt Nissen. Denn je nachdem wie das Ohr anatomisch geformt ist, böten größere Plastiken bei manchen ein angenehmeres Tragegefühl.
Eine Besonderheit unter den HdO-Geräten sind die Ex-Hörer-Geräte. Sie haben eine etwas andere Technologie. Bei Ex-Hörern findet sich der Lautsprecher des Geräts nicht wie üblich in dem Hörgerät selbst, welches hinter dem Ohr sitzt, sondern direkt im Gehörgang, eingebettet in eine Otoplastik. Dadurch sind sie einerseits besonders klein und andererseits ist auch die Klangqualität oft sehr gut, weil sich der Lautsprecher näher am Trommelfell befindet. Außerdem haben Ex-Hörer statt des Schallschlauches nur ein sehr dünnes, mit Silikon ummanteltes Kabel. Trotz der Vorteile sind sie aber nicht für jeden sinnvoll. Die Schwerhörigkeit darf nicht zu ausgeprägt sein und es hängt auch von der Anatomie des Gehörgangs ab, wie gut der Lautsprecher darin Platz findet. Für Menschen mit erhöhter Ohrenschmalzproduktion sind Ex-Hörer-Geräte ebenfalls nicht geeignet.

Im Ohr
Im-dem-Ohr (IdO)-Geräte sind kleiner als HdOs und deshalb für leichte bis mittlere Schwerhörigkeit geeignet. Eine entscheidende Rolle spielt, ob der Gehörgang eine geeignete Form hat und wie viel Ohrenschmalz produziert wird. Ein weiterer Grund gegen IdOs kann die Klangqualität sein. Da sie den Gehörgang meist stärker verschließen, tritt häufiger der Okklusionseffekt auf. Man kann diesen leicht nachempfinden, in dem man sich die Ohren mit den Fingern zuhält. Um ihn zu verhindern, kann eine Zusatzbohrung, die für eine natürlichere Schallverbreitung sorgt, helfen. Jedoch lässt sich nicht bei jedem das Problem so beheben. »Nicht zuletzt kann auch der Preis ein Ausschlussgrund von IdOs sein«, sagt Nissen. Denn sie seien teurer in der Herstellung und daher übersteige ihr Preis meistens den von der Krankenkasse vorgesehenen Festbetrag.
Bei den IdOs gibt es drei verschiedene Größen. In-The-Ear (ITE)-Geräte füllen die Ohrmuschel komplett aus, In-The-Canal (ITC) ist schon dezenter, da das Gerät mit dem Gehörgang abschließt. Complete-In-Canal (CIC) werden in den Gehörgang geschoben und sind von außen so gut wie unsichtbar. Sie haben oft einen kurzen Nylon-Faden, um es aus dem Ohr zu ziehen.
Eine neue Form der IdOs sind Kleinstgeräte, die direkt vor dem Trommelfell platziert sind und nur alle drei Monate von einem Hörgeräte-Akustiker ausgetauscht werden müssen. Der Komfort hat aber seinen Preis. Sie können nur im Abo bestellt werden und kosten für beide Ohren etwa 300 Euro im Monat.

Was zahlen die Krankenkassen für ein Hörgerät?
2013 wurden die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen für Hörgeräte deutlich erhöht und die beidohrige Versorgung als Standard definiert. Der aktuelle Festbetrag liegt bei 784,94 Euro für ein Hörgerät, bei starker Schwerhörigkeit zahlen die Krankenkassen sogar noch etwas mehr. Für das zweite Gerät werden etwa zwanzig Prozent abgezogen. Außerdem zahlen die Kassen eine Reparaturpauschale und beteiligen sich an den Kosten für die Otoplastiken. Grundsätzlich steht jedem Schwerhörigen nach sechs Jahren ein neues Hörgerät zu, bei starken Veränderungen der Hörfähigkeit unter Umständen auch schon früher.
Seit der Neuregelung gibt es eine relativ breite Auswahl an Geräten, bei denen der Kunde lediglich die gesetzliche Rezeptgebühr von 10 Euro zahlt und der Gerätepreis vollständig von der Versicherung beglichen wird. Bei Spitzenmodellen können hingegen mehrere tausend Euro zusätzlich zum Kassenbeitrag fällig werden. Für alle Geräte, deren Kosten die Kassen ganz oder teilweise übernehmen, gibt es Mindeststandards. So muss das Hörgerät mit Digitaltechnik ausgestattet sein und mindestens drei Programme für unterschiedliche Hörsituationen installiert haben. Vier unabhängig voneinander regelbare Frequenzbereiche (Kanäle), damit es optimal auf die Hörstörung eingestellt werden kann, sind ebenfalls Voraussetzung. Außerdem muss es Störgeräusche sowie Rückkopplungen unterdrücken können. Letzteres verhindert das lästige Pfeifen. Teurere Geräte sind nicht zwangsläufig leistungsstärker, bieten aber eine Reihe an Extra-Features, wie zum Beispiel eine Fernbedienung, Blue-tooth-Verbindungen zum Smartphone, besonders gute Breitbandqualitäten zum Musikhören oder ein besonderes Design. Aber auch Klangkomfort und automatische Anpassungen an verschiedene Hörsituationen gehören dazu.
Wer beim Testen der Hörgeräte feststellt, dass ein teureres Gerät ein besseres Sprachverständnis ermöglicht, kann versuchen, bei der Kasse einen Antrag auf Kostenübernahme zu stellen, und gegebenenfalls Widerspruch einlegen, falls er nicht bewilligt wird.

Woran erkennt man eine gute Beratung?
Vor dem Gang zum Akustiker sollte man zunächst einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aufsuchen, um die Art der Hörstörung zu klären. Denn Hörgeräte korrigieren in erster Linie Hörminderungen, die ihre Ursache in einem Defekt des Innenohres haben. »Schwerhörigkeit kann aber auch andere Ursachen haben, zum Beispiel ein verstopfter oder zugewachsener Hörgang oder eine Tumorbildung, die andere Therapien erfordern«, sagt Arneborg Ernst, Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde im Unfallkrankenhaus Berlin.
In den Verträgen mit den Krankenkassen ist vorgesehen, dass der Akustiker mit dem Kunden mindestens drei verschiedene Geräte in der Hörkabine testet. Viele Geschäfte bieten allerdings auch an, dass die Geräte mit nach Hause genommen werden können, um sie über einen längeren Zeitraum auszuprobieren. Klinikdirektor Ernst sagt: »Die durch den erhöhten Festbetrag finanzierten Hörgeräte der gesetzlichen Krankenkassen sind für den allergrößten Teil der Patienten eine gute Lösung, um besser zu hören.«
Bei der Wahl des Akustikers sei es deshalb wichtig, dass dieser mindestens ein zuzahlungsfreies Gerät anbietet und dass die Testgeräte unverbindlich zur Verfügung gestellt werden. Er empfiehlt, jedes Gerät in möglichst vielen unterschiedlichen Situationen zu tragen: im Wald, beim Essen mit Freunden, auf der Arbeit, beim Fernsehen etc., um einen umfassenden Eindruck von der Leistung des Geräts zu bekommen. Bevor Sie den Kauf des Hörgeräts endgültig abschließen, sollten Sie einen zweiten Termin beim HNO-Arzt machen, um die Hörverbesserung durch das Gerät nochmals zu überprüfen.
Mit einem Hörgerät wieder richtig hören zu lernen, erfordert Geduld. Oft muss es nach einigen Monaten noch mal nachjustiert werden. HNO-Arzt Ernst sagt: »Vor allem ist wichtig, das Gerät den ganzen Tag zu tragen.« Insbesondere wenn die Schwerhörigkeit schon einige Zeit unversorgt war, müsse in erster Linie das Gehirn, das die Höreindrücke verarbeitet, trainiert werden. »Es ist wie bei einem Muskel, der zu wenig belastet wurde: Der muss auch wieder langsam an das alte Leistungsniveau herangeführt werden. Im Gehirn heißt dieser Vorgang Neuroplastizität, es braucht einige Monate, bis der Hör- und Klangeindruck optimal für den Patienten ist.« Das gehe nur, wenn das Gehirn konstant mit Tönen, Klängen und Geräuschen herausgefordert werde, so dass es daran aktiv lernen könne.

Das Magazin für Medizin und Gesundheit in Berlin: "Tagesspiegel Gesund - Berlins beste Ärzte für Hören und Sehen".

Weitere Themen der Ausgabe: Wahrheit oder Mythos. Was dem Augenlicht hilft und schadet; Sehen. Wie unser Auge die Welt des Lichts einfängt; Schielen. Wie der kleine Ben in der Sehschule das richtige Sehen lernt. Augenlaser. Wie Lichtblitze eine neue Linse ins Auge schleifen; Grauer Star. Mit der neuen Linse gegen die trübe Sicht. Beratung Sehhilfen. Gehärtete oder dünne Brillengläser? Ortho-K- oder Multifokallinse? Worauf man beim Kauf achten sollte; Technikneuheiten. Netzhautchip und Intraokularlinsen - Innovationen in der Augenmedizin; Hören. Wie das Ohr Luftschwingungen in Töne verwandelt; Ohrenpflege. Die endgültige Wahrheit über Wattestäbchen; Tinnitus. Wenn das Klingeln im Ohr nicht mehr verschwinden will; Außerdem: Kliniken und Arztpraxen im Vergleich. "Tagesspiegel Gesund" - Jetzt bei uns im Shop

Anna Ilin

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