zum Hauptinhalt
Der Berliner Galerist Michael Schultz.

© Anastasia Muna

Interview mit Galerist Michael Schultz: „Ein guter Baselitz taucht im Halbschlaf immer wieder auf“

Der Galerist Michael Schultz gilt als Enfant Terrible seiner Branche – weil er über Spekulanten lästert und gleichzeitig offen sagt, wie sehr sich die Kunstbranche mittlerweile ums Geld dreht. Ein Gespräch über Uhren, Schuhe und Entscheidungen.

Michael Schultz, geboren 1951 in Freudenstadt, führt seit 1986 seine Galerie in der Mommsenstraße. Auf der Höhe des Asien-Kunstbooms eröffnete er 2006 eine Dependance in Seoul und ein Jahr später eine zweite in Peking. Schultz hat Künstler wie Norbert Bisky und Cornela Schleime groß gemacht, seine jüngste Entdeckung ist die südkoreanische Malerin SEO.

Herr Schultz, stimmt die Legende, dass man als Galerist die Preise von Uhren runterbeten können muss - weil man an der Uhr erkennt, welche Bilder ein Interessent sich leisten kann?

Überhaupt nicht! Vor vielen Jahren auf der Art Basel kam einer an meinen Stand, ein Bergsteiger, mit Kniebundhose und kariertem Hemd. Ich war ein bisschen irritiert, weil sogar noch Schmutzspuren an den Stiefeln zu sehen waren. Wir haben uns über einen Keith Haring unterhalten - und er hat ihn dann gekauft. Für 200.000 Mark oder so. Der Mann war Chef einer großen Privatbank.

Waren Sie überrascht?

Naja, während des Gesprächs hatte ich schon zwischendurch mal gedacht, ob ich das abkürzen sollte. Aber er wusste einiges über Haring, hat die richtigen Fragen gestellt, in welchem Kontext das Bild entstanden ist, wie ich dazu gekommen bin. Es war schon eine merkwürdige Situation - aber ganz wichtig für mich, das zu erleben, ich war ja damals noch ein junger Kerl. Ich habe damals gelernt: Jeden, der zu uns kommt, an den Messestand oder in die Galerie, muss man ernst nehmen, egal was er für eine Uhr trägt oder für Schuhe.

Wenn Sie heute auf der Art Miami sind, bieten Sie also jedem, der in Flip-Flops und Schlabber-T-Shirt zu Ihnen kommt, sofort ein Glas Champagner an?

Gerade in Amerika wird man ja immer wieder überrascht, wenn man nach Äußerlichkeiten geht. Die großen Sammler kommen wirklich in Badelatschen. Diejenigen, die sich ernsthaft mit Kunst auseinandersetzen, sind viel weniger auf Äußerlichkeiten ausgerichtet als diejenigen, die erst in die Kunstwelt eintauchen wollen.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Es gibt ja immer noch diese unsichtbare Schwelle vor dem, was wir machen. Nicht selten kommt man in eine Galerie, wo die Mitarbeiter nur kurz von ihrem Magazin hochgucken. Es gibt eine Unsicherheit, und manche Leute sagen dann: Ich ziehe mich mal anständig an, vielleicht werde ich dann auch anständig begrüßt.

Und die Lässigen haben das nicht nötig?

Die verkleiden sich nicht. Ich kenne einige der großen Sammler in den USA, die haben sich über die letzten zwei Jahrzehnte nicht verändert. Aber da ist eine neue Sammlerschicht dazugewachsen, nicht unbedingt jünger, aber eben neu dabei. Die kommen geschniegelt und gebügelt, auch in Deutschland. Komischerweise landen die dann auch bei den Galeristen, die mit der Rolex am Stand sitzen und den passenden Schuhen dazu.

Wissen Sie grob, was welche Rolex kostet?

Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte: Vor einigen Jahren war ich einmal auf einem Geburtstag in China bei einem holländischen Sammler, er wurde 60. Es hieß: Bitte keine Geschenke! Aber als ich ankam, sah ich, wie die größten Pakete überreicht wurden. Ich hatte an diesem Tag eine falsche Lange&Söhne am Handgelenk, die hatte ich für 30 Dollar in Peking in der Silk Street gekauft - da gibt es ein Haus, groß wie das KaDeWe, voller Fakes. Die ganz billigen Fälschungen kosten zwei Dollar.

Und?

Dann bin ich zu dem Gastgeber gegangen und habe gesagt: Hier, mein Geschenk für dich. Nach 20 Minuten kam er zurück und sagte: Bist du verrückt, das kann ich nicht annehmen! Er hatte richtig Tränen in den Augen. Jemand an seinem Tisch hatte ihm gesagt, die Uhr sei 20.000 Euro wert. Da wollte ich ihm nicht die Wahrheit sagen. Wir haben uns geeinigt, dass er sie behält, bis er 70 ist, dann bekomme ich sie wieder zurück.

Wann wird das sein?

In drei Jahren. Aber die Geschichte geht noch weiter. Irgendwann funktionierte an der Uhr das Kalenderwerk nicht mehr richtig. Der Sammler ging also zu einem großen Juwelier in Salzburg, die haben sie ihm repariert. Bei der Abholung sagten sie: ein wunderschönes Stück.

Ha!

Und Sie fragen mich, ob ich den Preis einer Rolex erkennen kann!

Stimmt denn wenigstens der Eindruck, dass es zwei Arten von Sammlern gibt: Die Lässigen, die aus Leidenschaft sammeln - und die Geschniegelten, denen es nur ums Geld geht?

Ach, Leidenschaft ist vorbei. Es gibt heute nur noch ganz, ganz, ganz wenige Sammler, die ein Kunstwerk aus Leidenschaft kaufen. Man hat doch sehr gern die Performance der Preisentwicklung im Auge, auch wenn man es nicht zugibt. Heutzutage kann man ja auch viel offener sagen: Ich verdiene mit Kunst Geld - das war vor zehn, 15 Jahren total verpönt. Die erste ernsthafte Frage in einem Gespräch über einen möglichen Erwerb ist heute, wie der Galerist die Entwicklung des Künstlers sieht.

Sie haben Dependancen in Seoul und Peking. Wie ist der Markt in Asien?

Noch schneller, nur noch Business. In Korea kaufen die Menschen heute ein Bild für 1000 Euro - und wenn sie morgen 1050 dafür kriegen, verkaufen sie es wieder. Ich würde sagen, 99 Prozent aller Kunstkäufe in Korea sind wirtschaftlicher Natur.

Also ein sehr unsicherer Markt?

Unsicher, aber spannend! Wir haben sehr viel Geld verdient. Indem wir dorthin Kunst verkauft haben, aber auch, indem wir das, was wir dorthin verkauft haben, zurückgenommen haben und mit Gewinn weiter vermitteln konnten.

Sie haben selbst mal gesagt, ein Bild von Gerhard Richter sei „eine Aktie an der Wand“.

Klar ist es das, und klar habe ich das selbst befördert - das ist mein Geschäft. Vor 15 Jahren hätte ich mich drumrum gedruckst, Ihnen diese Antwort zu geben. Aber es ist einfach so.

Woran liegt das? Ist der Umgang ehrlicher geworden?

Eher weil so viel Geld da ist. Leidenschaft ist ja, wenn ich etwas haben möchte, weil es mich beschäftigt, beunruhigt, nicht schlafen lässt. Ich kann mir ein Kunstwerk eigentlich gar nicht leisten - aber ich muss es haben! Diese Zeit gab es, und das war eine wunderbare Zeit.

Wann war das?

Als ich meine Galerie 1986 gegründet habe, gab es viele Lehrer und Musiker, die bei mir mit ihrer Berlin-Zulage monatlich ihre Kunstwerke abbezahlten. Ab und zu treffe ich diese Leute noch, neulich war einer hier, Trompeter bei der Deutschen Oper. Der hat damals ein Gemälde von Gregor Hiltner bei mir gekauft, was Abstraktes, braun, schwarz, zusammengebaute Gedankenfetzen. Der ist glücklich damit, der hat auch nie gefragt, was ist das heute wert?

"Schultz, erzähl uns doch mal dein Geheimnis"

Der Berliner Galerist Michael Schultz.
Der Berliner Galerist Michael Schultz.

© Anastasia Muna

Wie ermitteln Sie den Wert eines Bildes, eines Künstlers?

Wir haben regelmäßige strategische Besprechungen mit unseren Künstlern, und da werden Ziele formuliert - manchmal auch sehr hochtrabende Ziele: eine Ausstellung im MoMa, die Teilnahme an der Biennale in Venedig. Da reden wir auch über die Preise. Das tut uns auch gut, das treibt uns an. Wir haben ja sehr, sehr viel mit administrativer Arbeit zu tun. 95 Prozent unseres Tuns ist es, am Schreibtisch zu sitzen. Nur die letzten fünf Prozent ist Ausstellungen aufbauen und Kunst verkaufen.

Wozu fahren Sie überhaupt auf Messen - die Kunstwelt kommt doch nach Berlin?

Es tut der Stadt ja gut, dass wir als Kunstmetropole gelten. Ich glaube aber, dass Berlin eher ein Eldorado für Künstler ist, weil die Ateliermieten hier noch sehr moderat sind. Als Markt ist Berlin nicht interessant. Es gibt hier in der Stadt bei weitem nicht so viele Kunstkäufer, dass das Gros der Galeriebetreiber und Künstler davon leben können. Wir müssen rausgehen!

Wo ist das Geld denn? In Fernost?

Da müssen Sie gar nicht so weit weggehen. In Köln wird gekauft, das ist richtig toll. Die katholischen Sammler haben eine andere Beziehung zum Lebendigsein, zur Sünde, zu Abgründen. Da ist man nicht so pietätvoll und guckt die Bilder nur an, wenn das Licht aus ist. Jeder sündige Blick ist ja mit einem Rosenkranz wieder wettgemacht.

Was sind das für Menschen?

Metzger, Bäcker... die Breite der Gesellschaft! Ein Dachdecker aus Düren, der kommt nach Köln und kauft für 80.000 Euro Kunst ein, A.R. Penck! Ich habe das Bild selbst ausgeliefert bei ihm. Und der Mann sagt, kommen Sie mal mit in den Garten, und da steht eine riesige Skulptur von Rückriem. Wahnsinn. Er erzählte, wenn er mal das Zeitliche segnet, dann kommt eine kleinere Version der Skulptur auf sein Grab. Ist schon alles vorbereitet.

Wie ist das in Berlin?

Wir haben hier auch einen Hausmeister an einer Schule, der viel Kunst kauft. Der spart sich das von seinem Gehalt ab, der gibt auch schon mal zwei-, drei-, viertausend Euro aus. Der hat die ganze Wohnung bis unter die Decke vollgepflastert mit Bildern. Das gibt es auch, aber nicht in dieser Masse.

Wie verkauft man ein Kunstwerk überhaupt?

Ich bin schon so oft gefragt worden: Schultz, erzähl uns doch mal dein Geheimnis. Ich würde es Ihnen gern erzählen, wenn ich es wüsste.

Erkennen Sie den Moment, wenn jemand kurz vor der Entscheidung ist?

Ich merke es bei allen, ich habe da ein besonderes Gefühl dafür. Wenn ich merke, jetzt trifft der Kunde eine Entscheidung, dann muss man loslassen. Ich merke, wie er fiebert und zittert und es tun will. Es ist ganz wichtig, dass er die alleine trifft.

Haben Sie eine Theorie, warum?

Wenn ich dem Kunden sage, du musst dich jetzt entscheiden, sonst kommt gleich ein anderer und nimmt dir das Bild weg, dann kauft er es vielleicht tatsächlich. Aber wenn ich das beim nächsten Mal wieder mache, kommt er nie wieder. Dann haben die Leute Angst vor mir und fühlen sich überrumpelt. Also wechsle ich im richtigen Moment die Themen und rede über Fußball oder sonstwas.

Würden Sie sagen, die Käufer verlieben sich in die Werke?

Das ist ein angemessener Begriff, das geht mir selbst ja auch so. Ein guter Baselitz, da kann ich nicht schlafen. Das Bild taucht im Halbschlaf immer wieder auf, das ist wie eine schöne Frau oder eine interessante Begegnung. Da entsteht dann bei mir dasselbe wie bei den Sammlern, da überlege ich: Wie mach ich's, wie kann ich's, wie krieg ich's? Man wird zum Jäger.

Der Berliner Galerist Michael Schultz.
Der Berliner Galerist Michael Schultz.

© Anastasia Muna

Haben Sie in diesem Wettbewerb mal gegen andere Galeristen verloren?

Man verliert und gewinnt, täglich. Aber es hilft, dass ich, nach dem zweiten, dritten, vierten Blick, schnelle Entscheidungen treffe. Ich kaufe dann auch, wenn mir etwas gefällt.

Schmerzt es sehr, wenn ein Künstler, den Sie gerne vertreten würden, absagt?

Es gibt halt Künstler, auch wenn das selten ist, die wir gut aufgebaut haben, die sind dann irgendwann gegangen. Das war der Norbert Bisky vor ein paar Jahren - ohne Grund. Es war nicht so, dass es eine Schlägerei gab oder er sein Geld nicht gekriegt hätte. Das tut richtig weh. Wir sind ja eine Großfamilie, und da ist es auch manchmal wichtig, dass mein Handy nachts an ist. Wir sind ja auch Seelentröster, und das ist auch gut so.

Ihre Künstler rufen Sie also bei Liebeskummer an?

Eher bei Weltschmerz. Ich denke auch, dass das dazugehört. Und dann tut es halt weh, wenn so eine Figur auf einmal den Tisch verlässt und nicht sagt, warum. Wenn wir uns heute sehen, umarmen wir uns, das ist alles.

Wären Sie selbst gern Künstler geworden?

Ich komme aus einer sehr einfachen Familie, bei uns zu Hause im Wohnzimmer hing ein Bild. Ein kleines Haus auf einem Hügel, da führte ein Weg hoch. Dieses Bild habe ich mal mit Buntstiften nachgemalt, da war ich zehn oder so. Und als ich das geschafft habe, da war mein Bedürfnis, Künstler zu werden, gestillt.

Ach kommen Sie!

Ich glaube schon, dass jeder ernsthafte Galerist in gewissem Sinne auch Künstler ist. Man kann das ja gar nicht so trennen. Wenn ich jetzt Buchhalter wäre und Installationen von Sonja Alhäuser mit aufbauen würde, würde mir das gar nicht gelingen. Die Arbeiten kommen aus dem Atelier in den Ausstellungsraum, in eine neue Situation, die wirken dann ganz anders. Das ist meine einzige praktisch kreative Tätigkeit, Ausstellungen aufzuhängen. Ich habe es auch am liebsten, wenn die Künstler nicht dabei sind, wenn ich hänge. Beim Hängen bin ich vielleicht der, der mit der Kunst der anderen seine eigene Kunst macht.

Zur Startseite