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Interview: Intelligenz wächst durch Anstrengung

Jeder Mensch kommt mit einem bestimmten Potenzial zur Welt. Um dieses zu entfalten, muss er lernen – und zwar von Kindesbeinen an.

Frau Hannover, ist Intelligenz eine fixe Größe, sprich: angeboren und unveränderlich?
Nein. Sie ist mitnichten diese mystische, vom lieben Gott gegebene Größe, als die sie häufig angesehen wird. Das, was wir unter Intelligenz verstehen – die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen und von Erfahrungen zu profitieren –, ist natürlich veränderbar, zumindest in einem gewissen Rahmen. Denn man kommt zwar mit einem bestimmten, individuellen Potenzial auf die Welt. Wie stark sich dieses dann entfaltet, hängt jedoch von der Umwelt ab. Ein Beispiel dafür ist die Sprachentwicklung: Sprache zeichnet intelligente Organismen aus. Die Fähigkeit dazu ist in den menschlichen Genen angelegt. Welches sprachliche Kompetenzniveau ein Kind erlangt, hängt jedoch davon ab, ob und wie in seiner Umgebung gesprochen wird. Wächst es beispielsweise isoliert auf, bleibt sein Sprachpotenzial weitgehend ungenutzt. Genauso verhält es sich mit dem Intelligenzpotenzial insgesamt.
Wie groß ist der Einfluss der Gene, wie groß der der Umwelt?
Darüber diskutiert die Wissenschaft noch immer recht kontrovers. Die bisherigen Studien deuten allerdings darauf hin, dass die Gene rund 60 Prozent der Intelligenz ausmachen. Den Rest steuert die Umwelt hinzu. Unabhängig davon, ob dieses Verhältnis genau so stimmt, gilt: Ein intelligentes Wesen kann seine Intelligenz erst dann nutzen, wenn sich Gelegenheiten bieten, sie zu erproben: Lerngelegenheiten. Denn alles, was der Mensch kann, muss er lernen.

"Falsches Feedback kann fatale folgen haben ." Bettina Hannover ist Psychologin und Professorin an der Freien Universität Berlin. Dort leitet sie den Arbeitsbereich Schul- und Unterrichtsforschung am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie.
"Falsches Feedback kann fatale folgen haben ." Bettina Hannover ist Psychologin und Professorin an der Freien Universität Berlin. Dort leitet sie den Arbeitsbereich Schul- und Unterrichtsforschung am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie.

© Burckhard Roeder

Lernen kann aber ziemlich anstrengend sein.
Das ist richtig. Im Grunde muss Lernen sogar anstrengend sein! Denn bei der Entwicklung von Intelligenz ist das wie beim Sport: Wenn ich Übungen mache, die mich nicht anstrengen, erhalte ich vielleicht meine Fitness oder meine Kraft – steigern kann ich sie dadurch jedoch nicht. Einen Leistungszuwachs erlebe ich nur dann, wenn ich Übungen mache, bei denen ich mich anstrengen muss. Alle Angebote, die ein »Lernen im Schlaf« oder Ähnliches versprechen, sind daher Kokolores, sie funktionieren einfach nicht. Wenn ich mich bei einer Aufgabe nicht anstrengen muss, profitiere ich auch nicht von ihr. Muss ich mich dagegen anstrengen, bedeutet das, dass meine Intelligenz wächst. Leider hat Anstrengung in unserem Kulturkreis – anders als beispielsweise im asiatischen Raum – ein eher negatives Image, zumindest im Bildungsbereich: Hohe Anstrengung wird hier häufig gleichgesetzt mit geringeren Fähigkeiten. Unter Schulkindern gelten häufig diejenigen als die Coolsten, die scheinbar nichts für die Schule tun und trotzdem gute Noten haben. Dabei sind das möglicherweise genau diejenigen, die ihr Potenzial am wenigsten ausschöpfen.
Wie erreiche ich, dass sich jemand anstrengt, etwas zu lernen – ein Schüler oder ich selbst?
Allgemein lässt sich sagen: Menschen lernen gerne. Aus Neugierde und aus einem Streben nach Autonomie und Kompetenz erschließen sie sich gerne neue Bereiche, neue Fertigkeiten. Besonders gut funktioniert das Lernen aber dann, wenn man es für sich selber tut. Also nicht für einen Lehrer oder einen Elternteil, der mahnend und drohend hinter einem steht. Sondern wenn das Lernen selbstgesteuert ist: wenn es darum geht, selbstgesteckte Ziele zu verfolgen und zu erreichen. Dann nehmen Menschen auch größere Anstrengungen dafür in Kauf. Diesen inneren Ehrgeiz gilt es zu wecken – und dann unterstützend zu begleiten.

Das vollständige Interview finden Sie im Magazin für Medizin und Gesundheit in Berlin: "Tagesspiegel Gesund - Berlins Ärzte für Gehirn und Nerven".

Weitere Themen der Ausgabe: Faktencheck. Spannende Infos über das Gehirn. Was ist Intelligenz? Über Alltagskompetenz, Situationsschläue und Persönlichkeitsmerkmale. Vernetzt. Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir etwas Neues lernen? Spielend schlau bleiben. Hellwach bis ins hohe Alter. Stromlinien. Mit der Elektroenzephalografie machen Neurologen Hirnströme sichtbar - doch was bedeuten die Kurven? Das Stroke-Einsatz-Mobil. Schnelle Hilfe beim Schlaganfall: Ein Krankenhaus auf vier Rädern. Arztbrief. Wie man Schlaganfälle erkennt und therapiert. Reha nach Schlaganfall. Nach einem Hirninfarkt muss sich das Denkorgan neu organisieren. Langzeit-Reha. Den Alltag wieder lernen. Signalstörung. Zittern, Krämpfe, Muskelstarre lindern - wie Hirnschrittmacher gegen Parkinson helfen. Vorbote Schlafstörung. Eine REM-Schlafverhaltensstörung deutet auf Parkinson hin - und eröffnet Medizinern neue Therapieansätze. Auf eigenen Beinen. Multiple Sklerose muss nicht im Rollstuhl enden. BSE Ade? Gefahr begannt? was ist eigentlich aus der Rinderwahn-Epidemie geworden? Gewitter im Gehirn. Was bei Epilepsie hilft. Rasende Schmerzen. Ein Clusterkopfschmerz-Patient berichtet über ratlose Ärzte und verständislose Mitmenschen. Kater - ohne Alkohol. Woher die Migräne-Attacken kommen und was gegen den Kopfschmerz hilft. Kleine Blutsauger. Zecken sind auf dem Vormarsch - und übertragen gefährliche Erreger. Borreliose und FSME. Wie man die Zeckenkrankheiten erkennt und therapiert. Außerdem: Kliniken und Rehazentren im Vergleich. "Tagesspiegel Gesund" - Jetzt bei uns im Shop

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