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Eine Aktivisten demonstriert mit einem Schild „Homo, mir doch egal“ gegen Homophobie am 17. Mai in Tiflis.

© dpa

Homophobie in Georgien: "Wir verstecken uns nicht mehr"

Im Frühjahr 2012 demonstrierten in Tiflis zum ersten Mal eine Handvoll Aktivisten gegen Homophobie. Als sie dieses Jahr wieder auf die Straße gingen, stellten sich ihnen Zehntausende in den Weg - organisiert von der Orthodoxen Kirche.

Krisensitzung im großen Besprechungsraum der LGBT-Aktivisten von der georgischen Organisation "Identoba" im Zentrum von Tiflis. Die Nachricht ist erst wenige Stunden alt, dennoch sind sie alle schnell hergekommen. Die Sozialarbeiter, Juristen und Menschenrechtsaktivisten von anderen georgischen NGOs wollen sich mit den Lesben und Schwulen solidarisieren und beratschlagen, wie es weitergehen soll. Der Patriarch, das Oberhaupt der Georgischen Orthodoxen Kirche, hat mal wieder gegen die Homosexuellen gewettert. Dieses Mal wirft er den Aktivisten vor, in einer geplanten Notunterkunft Kinder und Jugendliche zu Homosexuellen umerziehen zu wollen.

"Was soll ich auf solch einen Blödsinn antworten?", fragt Anna Rekhviashvili, Mitarbeiterin von "Identoba". Der Winter steht vor Tür, es gibt gerade unter Homosexuellen und Transgender in Georgien viele Obdachlose, daher hätten sie sich entschieden, für diese hilfsbedürftigen Menschen eine Notunterkunft zu eröffnen. Dort sollte es warme Kleidung, etwas zu Essen und ein paar Schlafplätze geben. Eine Frau hatte sich bereit erklärt, Räume zur Verfügung zu stellen. Seitdem ihre Nachbarn ihren Namen genannt haben, bekommt sie Drohanrufe. "Wir wollten erwachsenen Menschen ab 18 Jahren helfen", erklärt Anna Rekhviashvili. Von Kindern und Jugendlichen hätte als erstes die Kirche in der Öffentlichkeit gesprochen, und damit in der mehrheitlich konservativen und christlich orientierten georgischen Gesellschaft massiven Protest erzeugt. Für heute ist die Notunterkunft der Menschenrechtler erst einmal gescheitert.

Mehr als 20.000 religiöse Demonstranten protestierten gegen die rund 100 Menschenrechtsaktivisten.
Mehr als 20.000 religiöse Demonstranten protestierten am 17. Mai 2013 gegen die rund 100 Menschenrechtsaktivisten.

© dpa

Seit Monaten macht die Orthodoxe Kirche in Georgien öffentlich mobil gegen die Homo-Aktivisten. Am 17. Mai dieses Jahres, zum Internationalen Tag gegen Homophobie, organisierten sie sogar einen Massenprotest gegen eine angemeldete Demonstration von rund 100 LGBT-Aktivisten. Nach 2012 ging die kleine Gruppe erneut mit Plakaten am Freiheitsplatz im Zentrum von Tiflis auf die Straße, um für Menschenrechte und gegen Ausgrenzung zu protestieren. Homosexualität ist in Georgien immer noch ein großes Tabuthema. Viele haben Angst, von der Familie verstoßen oder am Arbeitsplatz gekündigt zu werden, wenn jemand von der Liebe zum gleichen Geschlecht erfährt.

Die Kirche hatte an diesem Tag mindestens 20.000 religiöse Gegendemonstranten geschickt. Die Aktivisten wurden angeschrien, bespuckt und bedroht. Die Polizei schritt zunächst gar nicht ein, später war sie mit der aufgebrachten, religiösen Masse völlig überfordert. Nur mit Mühe konnte sie die Menschenrechtsgruppe in Sicherheit bringen. Immer mit dabei Fernsehkamerateams, die live von der Hatz berichteten.

Die ehemalige Sowjetrepublik Georgien ist zwar laut Gesetz ein säkularer Staat, aber die Kirche füllt seit Anfang der 1990er Jahre, wie in vielen anderen Ex-Sowjetrepubliken auch, das mentale Vakuum aus, das nach dem Ende des Kommunismus bei vielen entstanden war. Die Menschen strömen wieder in die Kirchen. Vor allem die Jungen versuchen, Halt und Orientierung im christlichen Glauben zu finden.

Seit Jahren vermitteln die Kirchenleute auch zwischen den politischen Lagern im Land. Und wenn dem Patriarch und den Priestern etwas nicht passt, können sie, wie am 17. Mai geschehen, kurzerhand zehntausende Menschen oder auch mehr mobilisieren. Weil der georgische Klerus zudem finanzielle Zuwendungen vom Staat erhält und keine Steuer zahlen muss, sehen manche die Georgische Orthodoxe Kirche bereits als ein Staat im Staat.

Die Macht der Kirche sei in der Tat ein großes Problem, sagt Natia Gvianishvili. "Wir sind in den letzten Jahren sichtbar geworden und verstecken uns nicht mehr. Das macht einigen Angst und führt zu heftigen Reaktionen." Die 27-Jährige ist Programmdirektorin bei "WISG", einer Initiative, die sich speziell für die Rechte von Frauen und Lesben in Georgien engagiert. Mit Schrecken erinnert sich die junge Frau an den 17. Mai und vor allem auch daran, was danach passierte. Einem Freund wurden die Haare abgesenkt, weil er einen "schwulen" Haarschnitt hatte, eine Freundin wurde aus dem Bus geworfen, weil sie "androgyn" aussah.

"All das passiert am helllichten Tag in der gesamten Stadt und die Regierung guckt weg und ignoriert diese Übergriffe," empört sich Natia Gvianishvili. Sie seien auch nicht zur Polizei gegangen, die Community habe kein Vertrauen in die Beamten, erklärt sie. "Viele haben homophobe Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Oder sie haben Angst, dass sie von den Polizisten gegenüber der Familie geoutet werden." Jeder in der Community könnte solch eine Geschichte berichten.

Informationsbroschüre der georgischen Organisation für Menschen- und LGBT-Rechte „Identoba“.
Informationsbroschüre der georgischen Organisation für Menschen- und LGBT-Rechte „Identoba“.

© Jana Demnitz

Laut Gesetz ist in Georgien Homosexualität seit 2000 zwar entkriminalisiert, es gibt gesetzliche Regelungen zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen der sexuellen Orientierung und seit 2012 stehen auch sogenannte Hass-Verbrechen gegen LGBTs (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) unter härterer Strafe. Aber das änderte bisher nichts daran, dass die georgische Bevölkerung weiterhin mehrheitlich homophob eingestellt ist. So sprechen sich seit Jahren in Umfragen des "Caucasus Research Resource Centers" mehr als 90 Prozent der Befragten gegen die Anerkennung von Homosexualität aus.

Neben dem immer stärker werdenden religiösen Einfluss der Kirche sieht die Gender-Forscherin Natia Gvianishvili noch zwei weitere Gründe für diese Ablehnung. Zum einen leben die Menschen in dem seit 25 Jahren wirtschaftlichen und politischen instabilen Georgien in einer permanenten Angst und Anspannung, das habe sie aggressiv gemacht. Zum anderen hätten viele einfach eine schlechte Bildung, sagt sie. „Kaum einer hat hier jemals etwas über sexuelle Orientierungen gehört oder gelernt, was das ist. Viele denken, Homosexualität kann wie ein Virus verbreitet werden.“

Von der Politik erhoffen sich die Aktivisten auch nicht viel Unterstützung. Zwar hatten sich im Vorfeld der Großdemonstration der bis vor kurzem amtierende Premierminister Bidsina Iwanischwili, die georgische Außenministerin sowie der Justizminister gegen die Diskriminierung von Homosexuellen ausgesprochen. Nach dem Aufmarsch der mehr als 20.000 Gegner waren von Mitgliedern der Regierungspartei aber gleich wieder homophobe Töne in den Medien zu hören, sagt Natia Gvianishvili.

Dennoch habe sich in den letzten Jahren in Georgien auch einiges zum Positiven entwickelt. Durch das Internet könnten sich die Menschen viel besser informieren und miteinander in Kontakt treten, zumindest in der Hauptstadt Tiflis gibt es einige homofreundliche Bars und Kneipen und zum aktuellen Zeitpunkt sei auch kein Gesetz gegen "Homosexuelle-Propaganda" wie in Russland zu erwarten.

Die Aktivisten können also auch weiterhin für ihre Rechte in der Öffentlichkeit demonstrieren und das werden sie im kommenden Frühjahr auch tun. Jetzt erst recht. "Jede Sichtbarkeit ist ein Schritt vorwärts und das treibt uns zurzeit an", sagt Natia Gvianishvili. Außerdem sei eine öffentliche Debatte in Gang gekommen. Das wäre vor vier Jahren noch undenkbar gewesen.

Mittlerweile haben sich auch die Gesichter der LGBT-Aktivisten von "Identoba" wieder entspannt. Das Krisentreffen war ein voller Erfolg. Mehr als 20 georgische Nichtregierungsorganisationen haben sich zusammengeschlossen. Sie werden jetzt alle gemeinsam die Notunterkunft für die Obdachlosen in Tiflis eröffnen.

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