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Diplomatisch. Röller vermeidet öffentlich Kritik an anderen Ländern.

© Tim Brake/pa/dpa

G20-Gipfel in Hamburg: Merkels Lastenträger

Das Treffen der G20 wird für die Kanzlerin ihr schwierigster Gipfel. Ihrem Sherpa Lars-Hendrik Röller steht ein Kraftakt bevor.

Wer bis zum Gipfel will, braucht einen Sherpa – darüber waren sich Bergsteiger im Himalaya schon vor Jahrzehnten einig. Die Sherpas weisen als Ortskundige den Weg und tragen das schwere Gepäck nach oben. Sie sorgen dafür, dass die Expedition erfolgreich ist und die Gruppe am Ende auch wirklich den Gipfel erreicht. Längst ist der Sherpa auch in der Politik zur Metapher geworden: Wenn Angela Merkel im Juli in Hamburg die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer der Welt (G 20) empfängt, haben die Sherpas aus den G20-Staaten bereits die schwerste Last geschultert. In langen und detailreichen Verhandlungen erarbeiten die persönlichen Beauftragten der Regierungschefs vorher einen Entwurf für das Abschlussdokument, beim Gipfel selbst müssen dann nur noch letzte strittige Punkte geklärt werden. So war es zumindest in früheren Jahren. Da Deutschland derzeit den Vorsitz der G 20 innehat, trägt Merkels Sherpa die schwerste Last: Lars-Hendrik Röller, der wirtschaftspolitische Berater der Kanzlerin, bereitet den Gipfel vor und leitet die Sherpa-Runden.

Die G20 sind anders als die Vereinten Nationen, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder die Nato keine internationale Organisation, sondern nur ein Zusammenschluss von Staaten. Sie haben deshalb keine eigene Struktur, nicht einmal ein Sekretariat. Damit liegt die gesamte Organisation der Gipfeltreffen und der Ministerrunden bei dem Land, das in dem jeweiligen Jahr den Vorsitz der G20 hat – und damit letztlich beim Sherpa und seinem Stab. Einige Wochen oder Monate nach dem G20-Gipfel übernimmt das nächste Land den Vorsitz und versucht seinerseits, eigene Akzente zu setzen.

Deutschland hat zum ersten Mal überhaupt den Vorsitz der G20 inne, die seit der internationalen Finanzkrise 2008 einmal im Jahr zusammenkommen. Kein anderer Sherpa kann allerdings auf so viele G-20-Gipfel zurückblicken wie Lars-Hendrik Röller. Das Treffen in Hamburg ist bereits sein siebter Gipfel, hinzu kommen sechs Gipfel der G-8- beziehungsweise G-7-Staaten.

Er ist der wichtigste wirtschaftspolitische Berater der Kanzlerin

Der 58-Jährige leitet seit 2011 die Abteilung 4 im Bundeskanzleramt, die für Wirtschafts- und Finanzpolitik zuständig ist. Damit ist er zugleich der wichtigste wirtschaftspolitische Berater der Kanzlerin. Bevor er sein Büro im Kanzleramt bezog, hatte Röller im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR gearbeitet, wo er die European School of Management and Technology (ESMT) leitete, eine private Hochschule, die von deutschen Unternehmen und Verbänden gegründet worden war. Zuvor war er der erste Chefökonom der Generaldirektion Wettbewerb der EU- Kommission. Ins Kanzleramt brachte er also seine guten Kontakte in die Wirtschaft ebenso mit wie Erfahrungen in der europäischen Wettbewerbspolitik. Im Studium hatte er sich nicht nur den Wirtschaftswissenschaften gewidmet, sondern auch der Informatik. Letzteres könnte in den Vorbereitungen für den Hamburger G20-Gipfel durchaus von Vorteil sein, weil einer der Schwerpunkte der deutschen Präsidentschaft die Herausforderungen durch die Digitalisierung sind. Röller gilt als sachlich und pragmatisch und pflegt damit einen ähnlichen Stil wie die Kanzlerin, kann aber auch routiniert und mit wohldosiertem Humor einen Saal voller Professoren zum Lachen bringen, wie er zuletzt beim „Global Solutions“-Treffen von Think Tanks (T 20) aus den G20-Staaten zeigte.

Nun steht dem dienstältesten G20-Sherpa der bisher schwierigste Gipfel bevor. Dieses Mal müssen die Sherpas wie Sisyphos Steine den Berg hinaufrollen, in der angesichts der politischen Ausgangslage nicht besonders realistischen Hoffnung, dass das am Ende nicht vergeblich sein wird. Öffentlich sagt Röller dazu nichts, Interviews gibt er nicht. Wenn er vor Publikum gefragt wird, ob man derzeit nicht eher von den „G 19 plus 1“ sprechen müsse, lässt er sich nicht auf öffentliche Kritik an den USA und der Haltung von Präsident Donald Trump ein, der dem Klimaschutz ebenso skeptisch gegenübersteht wie dem Freihandel und der als Gegner des Multilateralismus gilt. „Ich bin Diplomat“, sagt Röller dann.

Harte Verhandlungen kennt er. Doch diesmal wird es besonders schwer

Doch der G-7-Gipfel im italienischen Taormina hat Ende Mai die Differenzen zwischen den USA und den anderen Staaten offen zu Tage treten lassen. Selbst in die Abschlusserklärung fand der Dissens in der Klimapolitik Eingang. Kurz nach dem Treffen in Taormina kündigte Trump zudem den Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen an. Damit stellt sich für die deutsche Präsidentschaft die Frage, wie sie nun in Hamburg überhaupt mit dem Thema Klimaschutz umgehen soll. Es stillschweigend von der Agenda zu streichen, ist allerdings nicht geplant. Ob es gelingt, eine einheitliche Gegenposition der übrigen Staaten zu bilden, scheint ebenfalls fraglich.

Dreimal haben sich die Sherpas unter Leitung Röllers bisher getroffen, um den Gipfel am 7. und 8. Juli vorzubereiten. Die entscheidende Runde wird unmittelbar vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs stattfinden. In Taormina setzten sich die Sherpas sogar noch nach Gipfelbeginn zu einer Nachtsitzung zusammen, weil weniger als je zuvor vorab vereinbart worden war. Harte Verhandlungen im Kreis der G 7 und der G20 hat Röller schon früher erlebt, einmal diskutierten die Sherpas drei Stunden lang über ein Komma in der Abschlusserklärung.

Doch jetzt wäre es aus deutscher Sicht schon fast ein Erfolg, wenn es nach der US-Wende beim Klimaschutz nicht noch weitere Rückschritte gäbe. Zugleich soll mit einer Initiative wie einem Fonds zur Unterstützung weiblichen Unternehmertums in Entwicklungsländern der Versuch gemacht werden, im Rahmen der deutschen Präsidentschaft einen eigenen Akzent zu setzen. Röller betonte beim T-20-Treffen, dass auch in diesem Jahr der Anspruch bleibe, im Konsens eine gemeinsame Position zu finden. „Wir haben noch harte Verhandlungen vor uns“, heißt es dazu in Regierungskreisen. Viel Zeit bleibt dem deutschen Sherpa dafür nicht mehr.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 27. Juni 2017 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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