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Polizei bei der Räumung der "Friedel 54" in Berlin-Neukölln

© dpa/Paul Zinken

Update

Friedel 54, Rigaer und Anschläge: Wie die autonome Szene sich für G20 warmläuft

Der Kampf zwischen Staatsmacht und Aktivisten spitzt sich vor dem G-20-Gipfel zu. Was sich zusammenbraut, ruft böse Erinnerungen wach.

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Es ist die erste Warnung, aber keiner hört hin. Mit Regenschirmen und Transparenten hocken sie auf dem Kopfsteinpflaster. Im Rücken den Eingang der Friedelstraße 54 in Neukölln. 150 mögen es sein, die hier seit der Nacht zu Donnerstag der Polizei den Weg versperren. Von den Balkonen schallt Musik. Von einem Polizeiwagen schallt zurück: „Sie werden aufgefordert, sich unverzüglich in Richtung Reuterplatz zu entfernen!“

Seit vier Uhr morgens versucht die Polizei, den Kiezladen im Erdgeschoss zu räumen. Die linke Szene will das verhindern. Es ist der übliche Kampf zwischen Staatsmacht und Aktivisten. Friedlich zunächst, aber er spitzt sich zu. Nicht nur in Berlin. Zweite Warnung: „Kommen Sie dieser Entfernungspflicht nicht nach, kommen Sie in den Bereich weiterer Maßnahmen!“ Pfiffe, Schreie. Jemand ruft: „Ich bin nichts, ich kann nichts, gebt mir einen Bademantel.“

"Widerstand wird mit körperlicher Gewalt gebrochen"

Die Polizisten stehen da in voller Rüstung, mit Helmen, Schutzwesten, Handschellen. Darunter auch Hundertschaften, die eigentlich gerade in Hamburg zum Schutz des G20-Gipfels eingesetzt werden sollten, aber nach Berlin zurückbeordert wurden. Sie sollen in ihrer Unterkunft eine wilde Party gefeiert, gesoffen, gestrippt und – wie es Polizeisprecher Thomas Neuendorf danach formulierte – in aller Öffentlichkeit „gebumst“ haben. Eine Beamtin tanzte angeblich im Bademantel mit der Waffe in der Hand auf dem Tisch.

Letzte Warnung: „Widerstand wird mit körperlicher Gewalt gebrochen!“ Hektik bricht aus. Demonstranten werden von Polizisten an Füßen und Armen gepackt. Ein Mann, dem der Arm verdreht und der Kopf nach hinten gedrückt wird, schreit auf.

Die Aktivisten ihrerseits hatten im Innern einen Türknauf unter Strom gesetzt. Die Polizeigewerkschaft spricht von Mordversuch. Es ist der vorläufige Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Polizei und linker Szene in Berlin. Doch es ist erst der Anfang. Was in der Friedelstraße passiert, lässt sich gerade im ganzen Land beobachten. Die Autonomen laufen sich warm für den G20-Gipfel, die Polizei stellt sich auf einen harten Kampf ein.

Polizisten montieren in Hamburg Rollen mit Stacheldraht auf einen Zaun am Bahnhof Sternschanze, nahe dem Messegelände. Der G20-Gipfel findet am 07. und 08. Juli statt.
Polizisten montieren in Hamburg Rollen mit Stacheldraht auf einen Zaun am Bahnhof Sternschanze, nahe dem Messegelände. Der G20-Gipfel findet am 07. und 08. Juli statt.

© dpa

Seit Mai 2016 hat die Polizei bundesweit bereits 113 Brandanschläge und weitere Sachbeschädigungen mit Bezug zum G-20-Gipfel registriert. Womöglich kommt jetzt noch ein Fall aus Berlin dazu. Donnerstagmorgen fanden Ermittler bei der von antiamerikanischen Linksextremisten verhassten McDonald’s-Filiale in der Kreuzberger Wrangelstraße eine Gasflasche mit Zündvorrichtung. Das Gas hatten die Täter über einen Schlauch in die Räume geleitet worden. „Geplant war offenbar eine Explosion“, heißt es in Sicherheitskreisen. Die Filiale war noch geschlossen und menschenleer. „Es könnte einen Zusammenhang mit der Räumung in der Friedelstraße 54 geben“, sagt ein Sicherheitsexperte. Der Kampf um die Friedelstraße werde von den Autonomen auch in den Kontext G-20-Gipfel gestellt, „weil es denen um den Kampf gegen Ungerechtigkeit überall geht“.

In Hamburgs Innenstadt sind die Vorzeichen des kommenden Großereignisses nicht mehr zu übersehen. Das Messegelände am Fernsehturm, wo die Delegationen der G20 Ende kommender Woche tagen werden, ist bereits mit Absperrgittern umstellt, allein vor dem Haupteingang stehen acht Mannschaftswagen, Polizisten patrouillieren in den Seitenstraßen. Mit weißer Kreide haben Unbekannte „G20 angreifen!!!“ quer auf die Straße gemalt. Eine Awohnerin ruft Beamten zu: „Na, feiert ihr schön?“ Nein, antwortet einer freundlich. „Wir sind aus Hamburg.“

"Im schlimmsten Fall gibt es einen toten Märtyrer"

In den Haupteinkaufsstraßen weiter südöstlich verbarrikadieren sich die ersten Kaufhäuser und Boutiquen. Bei Karstadt an der zentral gelegenen Mönckebergstraße wurden bereits die Schaufenster im Erdgeschoss mit Holzplatten vernagelt. Zur Sicherheit stehen noch mannshohe Stahlgitter davor. Obwohl die Straße laut Innenbehörde auch während der Protesttage für Passanten zugänglich sein soll, rechnen die Händler mit Umsatzeinbrüchen. Einige Filialen wollen ganz schließen. Am nahen Alstersee wurden die Bootsverleiher von der Polizei angewiesen, keine Tret- und Paddelboote an potenzielle Demonstranten zu vermieten. Diese könnten Störaktionen auf dem Wasser planen.

Was sich in Hamburg, Berlin und anderswo zusammenbraut, ruft in Sicherheitsbehörden üble Erinnerungen wach. „Im schlimmsten Fall wird es so wie in Genua“, sagt ein Experte, „und es gibt einen toten Märtyrer.“ Im Juli 2001 kam es in der italienischen Hafenstadt während des G-8-Gipfels zu schweren Krawallen, bei denen die Polizei den jungen Anarchisten Carlo Giuliani erschoss. Die Gefahr, dass Demonstranten während einer Blockade von einer durch die Stadt rasenden Autokolonne verletzt werden könnten, sei in Hamburg besonders groß. „Die Kolonnen von Trump und anderen Politikern sollen nicht anhalten“, sagt der Experte. „Jeder Stopp birgt das Risiko, dass die Wagen von Blockierern oder Terroristen angegriffen werden.“

Wie viele militante Linksextremisten nach Hamburg kommen werden, ist ungewiss. Die Polizei der Hansestadt spricht in einem Lagebild von bis zu 8000, in Sicherheitskreisen ist inzwischen ebenfalls von „mindestens 8000“ die Rede. Extrem gefährlich seien die Autonomen aus Griechenland, Italien und Frankreich. „Die bringen ihre USBVen mit“, warnt ein Experte. Gemeint sind „unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen“, also selbstgebastelte Bomben und vor allem Molotowcocktails. „Das ist bei Demonstrationen in Athen so üblich.“

Robert Jarowoy von der Partei Die Linke spricht im Volkspark Altona in Hamburg mit Journalisten während einer Protestveranstaltung zu den G20-Protestcamps, bei der Zelte aufgestellt wurden.
Robert Jarowoy von der Partei Die Linke spricht im Volkspark Altona in Hamburg mit Journalisten während einer Protestveranstaltung zu den G20-Protestcamps, bei der Zelte aufgestellt wurden.

© dpa

Wo die tausenden Demonstranten unterkommen werden, weiß niemand. Noch ist unklar, ob die zwei in Parks geplanten Zeltstädte für Aktivisten aufgebaut werden dürfen. In einer Eilentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beschlossen, die Stadt Hamburg müsse Protestcamps grundsätzlich ermöglichen, könne jedoch strenge Auflagen erteilen. Damit widersprach es einem Verbot der Stadt, die argumentiert hatte, Hamburgs Grünflächen müssten geschützt werden.

Am Mittwoch bauten Aktivisten die ersten zwölf Zelte im Volkspark auf – aber nur symbolisch. Die Polizei wachte darüber, dass keiner darin schlief. Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, beharrt darauf, es werde „keine Camps für Leute geben, die sich nicht von Gewalt distanzieren“. Den Organisatoren mehrerer großer Protestmärsche wirft er vor, sich bewusst nicht von Krawallmachern abzugrenzen.

Für die Polizei wären die Massencamps ein Alptraum. „Da entstünde ein rechtsfreier Raum, in dem strafbare Aktionen geplant und die entsprechenden Utensilien vorrätig gehalten werden“, heißt es. Wenn es den Initiatoren nicht gelingen sollte, ihre Zeltstadt aufzubauen, könnte dies aber ebenfalls unangenehme Folgen haben. „Das wäre ein Dämpfer für die Autonomen“, sagt ein Sicherheitsexperte. „Der Frust könnte auch die aggressive Stimmung noch zusätzlich anheizen.“

Flugblätter geben Tipps für Protestler

Die Hamburger Polizei hat bereits einen alten polnischen Wasserwerfer konfisziert, den Aktivisten vor der Wohnung des Innensenators geparkt hatten. Das Nummernschild des funktionsfähigen Gefährts trug das Kennzeichen AC-AB – das steht für: all cops are bastards.

Auf tausenden Flugblättern geben Protestler Tipps für die kommenden Demos: Statt Kontaktlinsen solle man bruchsichere Brillen tragen, auf Schmuck wegen der Verletzungsgefahr verzichten. Es wird ferner empfohlen, auffällige Markenzeichen auf der Kleidung abzukleben, „sie machen euch für die Polizei unterscheidbar“. Kleingruppen sollten vor der Demo besprechen: „Was ist eurer Aktionskonsens? Wo sind Grenzen?“

Offen bleibt auch die Frage, wie viele Berliner Autonome sich an den Aktionen in der Hansestadt beteiligen. „Ein Teil des Häuserspektrums bleibt möglicherweise in Berlin, um hier während der Gipfeltage loszulegen“, heißt es in Sicherheitskreisen. Mit Häuserspektrum sind die Linken aus der Friedelstraße 54 und vor allem die notorischen Randalierer aus der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain gemeint. „Dort wird auffallend wenig für Hamburg mobilisiert", sagt ein Experte. Das könnte aber auch taktisch motiviert sein, „um nicht Maßnahmen der Polizei zu provozieren, die dann eine Fahrt der Linken zum G-20-Gipfel verhindern“.

In Hamburg bereiten sich Polizei und Aktivisten auf den Gipfel vor.
In Hamburg bereiten sich Polizei und Aktivisten auf den Gipfel vor.

© REUTERS

Die Erfahrung musste bereits ein Linksextremer aus der Rigaer Straße machen. Der als politisch motivierter Gewalttäter bekannte Mann wurde vergangene Woche mit einem weiteren Linksextremisten aus Berlin von der Hamburger Polizei in Gewahrsam genommen. Die beiden seien „die ersten Gäste“ der für bis zu 400 Personen angelegten Gefangenensammelstelle gewesen, feixte ein Hamburger Polizist. Die Beamten fanden in der Nähe der beiden Männer Gegenstände, die laut Polizei „zur Vorbereitung von Straftaten geeignet sind“: Sprechfunkgeräte, Latexhandschuhe, Einwegschutzanzüge, eine Streusandkiste sowie eine Liste mit Kennzeichen ziviler Polizeifahrzeuge. Ein Richter ließ beide Männer jedoch laufen.

Die Sitzblockade in der Neuköllner Friedelstraße aufzulösen, dauert nur 20 Minuten. Nun sind die Geräusche von Bohrern und Trennschleifern zu hören. Als die Polizei aber vor der von innen verbarrikadierten Tür steht, geht es zunächst nicht weiter. Grund für die Räumung ist der Verkauf des Hauses an eine Firma in Luxemburg. Auf Angebote des Vereins hatte sich der neue Eigentümer nicht eingelassen. Die Lokalbetreiber hätten zum 31. März 2017 die Räume übergeben müssen. Als das nicht passierte, stimmte das Amtsgericht der Räumung zu.

Etwas abseits steht Hakan Tas. Er ist Abgeordneter der Linken in Berlin und als Beobachter hier, erklärt er. „Ich habe in sozialen Medien bereits Fotos von Vorfällen gesehen, die auf Fehlverhalten von einzelnen Beamten deuten“, sagte er. „So eine Zwangsräumung mobilisiert nur weiteren Widerstand.“ Er glaubt, dass dieser Einsatz dazu führen wird, dass noch mehr Aktivisten zum G20-Gipfel nach Hamburg fahren.

Hinter ihm wird immer wieder die Polizei ausgebuht. Steine oder Flaschen fliegen aber nicht. Die Gewalt, sie hält sich an diesem Tag in Grenzen. Um 13 Uhr ist der Szeneladen geräumt. Der Protest in der Friedelstraße ist eine Warnung der Szene nach Hamburg. Ein oder zwei wird es wohl noch geben. Dann wird es ernst.

Ergänzung: Am Freitag erklärte die Berliner Polizei, dass sie zwar an einem Türknauf Spannung gemessen haben, ein Kabel, das sie festgestellt hatten, aber mit keiner Stromquelle verbunden gewesen sei. Mehr dazu hier.

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