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Lehramtsstudierende unterrichten während des Paxissemesters, nehmen an Elternabenden und Klassenausflügen teil.

© Bernd Wannenmacher

Lehramtsstudium: Vom Hörsaal in die Klasse

Mehr Erfahrung für angehende Lehrer: Das neue Praxissemester integriert Unterricht und Schulalltag bereits ins Masterstudium.

Was war Ihr schönstes Erlebnis in der Schule?“ Als Antwort auf diese Frage erwartet man nicht ausgerechnet: „Das Feedback meiner Dozenten.“ Anders bei Lehramtsstudentin Berenike Nüsser: Sie absolvierte im vergangenen Wintersemester ihr Praxissemester in einer Oberschule in Charlottenburg und erinnert sich gerne an die beiden Unterrichtsbesuche, bei denen ihre Stunden in den Fächern Englisch und Geschichte ausgewertet wurden. „Meine Klasse hat sich richtig viel Mühe gegeben, und ich hatte tatsächlich das Gefühl, dass die Schülerinnen und Schüler einiges gelernt haben.“

Ähnlich hat es Martin Brämer erlebt, der das Fach Naturwissenschaften studiert und das Praxissemester an einer Grundschule in Wedding absolviert hat. „Bei mir waren zwei Lehrkräfte und die Dozentin im Raum. Am Anfang war das Stress, aber dann ist mir klargeworden, dass es im Referendariat später genauso abläuft und dass sie mich auf diese Situation unterstützend vorbereiten wollen.“

Die Studentin und der Student der Freien Universität Berlin sind zwei von rund 750 Lehramtsstudierenden aller Berliner Universitäten, die zwischen September 2016 und März 2017 das erste Praxissemester in der Hauptstadt absolviert haben. Die neue verpflichtende Studienphase ermöglicht es den angehenden Lehrkräften, sich bereits im dritten Semester des Masterstudiums längerfristig in den Alltag von Schulen einzufinden. In diesem Wintersemester hat die zweite Kohorte von Studierenden ihr Praxissemester begonnen.

Das Praxissemester soll Schulen und universitäre Lehrkräftebildung stärker verknüpfen

Für die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres ist diese frühzeitige Integration von Berufserfahrung in die Ausbildung von Lehrkräften essenziell: „Bis jetzt kamen die Studierenden nur im Bachelor wenige Wochen an unsere Schulen, um Praxiserfahrung zu sammeln. Das ist zu kurz gewesen, um den Schulalltag aus Sicht der Lehrenden kennenzulernen und sich auf seine Herausforderungen einzustellen.“ An rund 400 Schulen in Berlin nahmen die Studierenden also während des gesamten Winterhalbjahres an Schulausflügen und Elternabenden, an Studientagen und Klassenkonferenzen teil. Und vor allem unterrichteten sie selbst 32 Stunden, was in den zwei kürzeren Praktika im Bachelorstudium nicht unbedingt eingeplant ist.

Ein Ziel des Praxissemesters ist es, Schulen und universitäre Lehrkräftebildung stärker zu verknüpfen. Während des Praxissemesters nehmen die Studierenden deshalb an begleitenden Seminaren an der Universität teil. An den Schulen arbeiten sie zusätzlich an einem Lernforschungsprojekt, das zum Beispiel die Unterrichtsqualität oder die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern untersucht. Für viele Studierende bedeutete dieses Pensum eine siebentägige Arbeitswoche – ein realistischer Vorgeschmack auf den Arbeitsaufwand, der im Referendariat auf die zukünftigen Lehrkräfte zukomme, findet Martin Brämer.

Der Transfer von theoretisch an der Universität erlernter Didaktik in die Schulpraxis klappte bei ihm und bei Berenike Nüsser gut, wenn auch nicht ohne Irritationen. „Wenn ich zehn Stunden Vorbereitung in eine Unterrichtsstunde investiere, kann ich das langfristig nicht durchhalten“, sagt Nüsser, „aber es ist gut, einmal die Möglichkeit zu haben, so intensiv zu planen und Methoden auszuprobieren.“ Einige Lehrkräfte hätten auf seine Unterrichtsideen skeptisch reagiert, erzählt Martin Brämer: „Meine Schule hat einen Förderschwerpunkt für Inklusion, und ich hatte den Anspruch, interessengeleitet zu unterrichten, für jeden Schüler individuell etwas vorzubereiten.“ Hier und da seien sie an Organisation und Zeitaufwand gescheitert, aber oft gelangen ihnen „utopische“ Unterrichtseinheiten, wie Brämer es nennt. Er brachte zum Beispiel aus der Uni Roboter mit in den Sachkundeunterricht.

"Studierende dürfen keine Scheu aufbauen, ihren Unterricht zu öffnen"

Berenike Nüsser probierte ein politisches Rollenspiel in ihrem Englisch-Leistungskurs aus. „Die Schülerinnen und Schüler haben sich mit großer Freude darauf eingelassen“, sagt sie. „Damit hätte ich gar nicht gerechnet.“ Beide hoffen, dass es ihnen auch später gelingt, offen für aktuelle didaktische Diskussionen und Entwicklungen zu bleiben. Ihre Betreuerinnen und Betreuer seien jedenfalls immer bereit gewesen, auf Augenhöhe darüber zu diskutieren, wie man ihre Ideen umsetzen könnte.

So „ko-konstruktiv“ soll die Betreuung idealerweise im Praxissemester sein, sagt Sabine Achour. Die Professorin für Politikdidaktik betreute während des ersten Praxissemesters 15 Studierende von Seiten der Freien Universität und leitete ein Begleitseminar. „Es ist wichtig, dass Studierende erst gar keine Scheu aufbauen, ihren Unterricht zu öffnen und das Kollegium als Team wahrzunehmen, das sich gegenseitig berät und unterstützt.“

In der ersten Runde gelang ein derart vertrauensvolles Zusammenarbeiten noch nicht in allen Arbeitsbeziehungen zwischen Lehrkräften und Studierenden. Die Zeit nach dem ersten Praxissemester wurde deshalb für eine intensive Evaluation genutzt. Ein erstes Ergebnis sei, dass es einen großen Unterschied mache, ob die Lehrkräfte, die die Studierenden an der Schule betreuen, vorher an einer Mentoring-Qualifizierung teilgenommen haben oder nicht, sagt Sabine Achour. Sie ist als Projektleiterin intensiv in die Konzeption, Organisation und Durchführung des Programms involviert, das durch Drittmittel der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie unterstützt wird. Die Evaluation und Weiterentwicklung des Praxissemesters sollen nach dem Willen von Bildungssenatorin Sandra Scheeres auf jeden Fall fortgesetzt werden.

Martin Brämer und Berenike Nüsser denken jedenfalls gerne an ihr Praxissemester zurück und halten den Kontakt zu „ihren“ Schulen. Und Sabine Achour hat durch die Unterrichtsbesuche sogar einige der eindrücklichsten Erfahrungen als Dozentin während des Praxissemesters gesammelt: „Wenn die Studierenden nach ihrer langen theoretischen Ausbildung mit ihrer ganzen Persönlichkeit vor der Klasse stehen, muss man diese Leistung einfach anerkennen.“

Stefanie Hardick

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