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Einzelfälle. Die meisten Hertha-Fans entgingen einer Befragung durch die Polizei.

© dpa

Die lange Nacht der Hertha-Fans: Notbremsung in Spandau

Berliner Fans randalierten am Dienstag auf der Rückfahrt von Düsseldorf im Sonderzug. 500 Polizisten warteten am Hauptbahnhof, um die Personalien festzustellen – vergebens.

Von Sandra Dassler

Berlin - „Man hat mir noch ein Ticket angeboten, aber ich bin froh, dass ich nicht nach Düsseldorf gefahren bin“, sagt Gerd Eiserbeck. Und das will was heißen. Schließlich hat er 2001 den ersten schwulen Fanklub gegründet, die „Hertha-Junxx“, und mit dem Verein Höhen und Tiefen erlebt. Aber was am Dienstagabend in Düsseldorf und danach im Sonderzug der Fans nach Berlin abging, war ihm zu heftig. „Das muss ich mir nicht antun“, sagt er.

Dabei begann es nach Berichten von mitgereisten Hertha-Fans nicht schlecht. Die Hinfahrt des Sonderzugs verlief entspannt, wenn auch etwas verspätet. Bis zum 1:1 bestand ja auch Hoffnung, aber nach dem 2:1 der mit einem Mann mehr auf dem Rasen agierenden Düsseldorfer schien alles verloren: „Da war der Frust zu groß“, versucht ein Hertha-Anhänger, für den Pyrotechnik zur Fankultur gehört, das Werfen der Bengalos aufs Spielfeld zu erklären: „Sonst läuft das ja geordnet, ohne das Werfen ab, da wird es nur ein wenig heiß, aber die Emotionen mussten raus. Im Fanblock hat sich auch keiner negativ zu den Würfen geäußert.“ Einige vom harten Kern der Fans erzählen, dass es ihnen sogar lieber gewesen wäre, die Düsseldorfer hätten nicht nur das Spielfeld, sondern auch den Gästeblock gestürmt. „Dann hätte man sich wenigstens abreagieren können.“ So musste der Sonderzug dran glauben. Laut Bundespolizei war er mit 760 frustrierten Hertha-Fans drei Minuten vor Mitternacht in Düsseldorf losgefahren. Schon eineinhalb Stunden später musste er in Hamm halten, weil Scheiben eingeschlagen, Fenster komplett entglast und Türen eingedrückt worden waren. Drei Stunden dauerte es, bis die Bahnbediensteten Waggons abgehängt beziehungsweise teilweise geräumt hatten und der Zug weiterfahren konnte.

Die in Hamm hinzugezogenen Sicherheitskräfte der Landes- und Bundespolizei versuchten nicht, die Randalierer festzunehmen oder wenigstens ausfindig zu machen. Das wollten sie ihren Kollegen in Berlin überlassen. Dass sie diese nach Aussagen des Sprechers der Berliner Bundespolizei, Meik Gauer, aber erst informierten, als der Zug schon in Hannover war, verwundert. „Für uns war jedenfalls die Zeit zu knapp, um noch genügend Bundespolizisten nach Spandau zu bekommen, wo der Zug das erste Mal halten sollte“, sagt Gauer. Man habe vorgehabt, die Personalien von allen 760 Fans aufzunehmen. Die dazu notwendigen Beamten wurden aus der Einsatzabteilung im brandenburgischen Blumberg herangeholt.

„Der Zug sollte noch zum Haupt- und zum Ostbahnhof fahren“, sagt Gauer: „Deshalb haben wir uns in Absprache mit der Bahn entschieden, ihn nicht in Spandau halten zu lassen und die Kontrollen dann am Hauptbahnhof durchzuführen. Dort hatten wir genügend Kollegen.“

Das stimmt: Reisende, die am Mittwochmorgen am Hauptbahnhof unterwegs waren, berichten von gesperrten Gleisen, Verspätungen und etwa 500 Polizisten. Doch die warteten vergeblich. Denn nachdem im Sonderzug durchgesagt worden war, dass dieser nicht in Spandau halten würde, waren die Fans stutzig geworden. „Der Zug fuhr ja die gleiche Strecke Richtung Spandau, da war uns klar, dass die Polizei irgendwo wartet“, sagt einer von ihnen: „Wir wollten nach Hause, keiner hatte mehr Bock auf Kontrollen. Klar, dass da jemand die Notbremse zog.“

Der „Jemand“ kannte sich gut aus, brachte den Zug direkt im Bahnhof Spandau zum Stehen. Wenig später waren alle 760 Fans verschwunden. Ein Bahnsprecher sagte, man habe durchsagen müssen, dass der Zug nicht in Spandau halte. Auch hätte ein Ziehen der Handbremse nach Passieren des Bahnhofs auf offener Strecke noch mehr Probleme bereitet.

So waren die Fans denn gegen 10 Uhr gänzlich unkontrolliert zu Hause, der völlig demolierte und verdreckte Zug in der Werkstatt und nicht nur Gerd Eiserbeck von den Hertha-Junxx glücklich, dass er in Berlin geblieben war. Auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zeigte sich angesichts der Bilder aus dem Düsseldorfer Stadion schockiert. „Wowereit feierte am Dienstag mit anderen in der Alten Schmiede am Schöneberger Gasometer den 60. Geburtstag von Ex-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder“, erzählt Axel Lange. Der ehemalige Bundesliga-Torhüter und Hertha-Sponsor verfolgte mit Wowereit und anderen die Szenen an einem kleinen Fernsehgerät. „Wir waren uns alle einig, dass so etwas nicht geht“, erzählt er, „und dass das Spiel wiederholt werden muss.“

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