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Turm im Häusermeer. Das Rathaus Schöneberg mit dem Gasometer im Hintergrund.

© Kai-Uwe Heinrich

Jubiläum in Berlin: Rathaus Schöneberg: Voll auf die 100

Das berühmteste Bezirksrathaus der Welt feiert 100. Geburtstag. Und das wird im wahrsten Sinne des Wortes an die große Glocke gehängt - bei einem Freiluftkonzert mit Steve Schroyder von Tangerine Dream, einem Pionier der elektronischen Musik.

Das Rathaus Schöneberg feiert 100-Jähriges – und das wird an die große Glocke gehängt. An die Freiheitsglocke genau genommen, denn die spielt bei einem ungewöhnlichen Freiluftkonzert am Sonntag eine wichtige Rolle. Dafür kehrt ein Pionier der elektronischen Musik zurück in seine künstlerische Heimat: Steve Schroyder von Tangerine Dream. In der Schwäbischen Straße, gar nicht so weit weg vom Rathaus, hatte er einst mit dem Synthesizer experimentiert. Er war es, der dann für die einnehmenden Töne des Albums „Alpha Centauri“ von 1971 verantwortlich war.

Die Künstler. Udo P. Leis (v.l.n.r), Steve Schroyder, Wolfram Spyra und B. Ashra.
Die Künstler. Udo P. Leis (v.l.n.r), Steve Schroyder, Wolfram Spyra und B. Ashra.

© promo

Mit 17 war er aus seiner Geburtsstadt Solingen nach Berlin gezogen und hatte sich seine erste elektronische Orgel gekauft. „Für zwei Monate habe ich mich nach Wannsee zurückgezogen und experimentiert“, erinnert sich der heute 64-Jährige. „Erst mal habe ich alles vergessen, was ich über Musik wusste.“ Er war fasziniert von den neuen Klängen einer Band namens „Tangerine Dream“. In einem Plattenladen besorgte er sich die Adresse von Edgar Froese, dem Gründer der experimentellen Musikformation.

Makro Mikroelektronik. Florian Fricke und Steve Schroyder von Tangerin Dream im Jahr 1972.
Makro Mikroelektronik. Florian Fricke und Steve Schroyder von Tangerin Dream im Jahr 1972.

© Wallosek

Wenige Tage später stand er vor dessen Wohnung in der Schwäbischen Straße. „Ich bin euer neuer Organist“, schrie er nach oben. Aus dem Fenster blickte ein verwunderter Edgar Froese. Tatsächlich hatte er gerade Ersatz für die Gründungsmitglieder Klaus Schulze und Conrad Schnitzler gesucht, die neue Projekte starteten. Steve Schroyder erforschte neue Klänge, errechnete mit Hans Cousto aus den Erd- und Mondschwingungen Frequenzen, die den Hörer auf musikalische Fahrten in den Kosmos transportieren sollten. Er ist einer der wenigen, auf den die Bezeichnung Klangforscher zutrifft, weil er mit allem experimentierte, was sich musikalisch umsetzen ließ.

Es folgten weitere naturalistische Vertonungen, so zum Beispiel 1992 die CD „Sun-Spirit of Cheops“, in der er sich von den mathematischen Strukturen der Cheopspyramide inspirieren ließ. „Mit der Platte kann man sich in die Cheopspyramide hineinversetzen“, sagt Schroyder. Natürlich ist seine Musik sehr esoterisch, und man denkt schnell an Hippies in bunten Kleidern. Es ändert nichts daran, dass diese Titel die Grundlage vieler Goa- und Psy-Trance-Stücke sind. Man könnte es schlicht als elektronische Meditationsmusik bezeichnen. 1974 verließ er Berlin, das für ihn ein ausschlaggebender Ort seines musikalischen Schaffens bleibt. „Nirgendwo anders hätte elektronische Musik entstehen können“, sagt er, „Hier gab es durch die Enge den Wunsch nach einem Aufbruch in den Kosmos.“ Ganz so weit weg wohnt er heute nicht – in Freiburg.

Und die Freiheitsglocke? Das werde „eine fantastische Konstellation“, sagt Schroyder und meint damit auch seine Künstlerkollegen Wolfram Spyra, Udo P. Leis, B. Ashra und Rainer von Vielen, die mit elektronischen Instrumenten zu Klängen des Glockenspiels des Rathauses improvisieren. „Genau so ist Elektro entstanden“, sagt Steve Schroyder, „eigenständige Musiker, die zusammen improvisieren.“

„Glockenklang – Freedom Bells & Wisdom Voices“, Sonntag, 19.30 Uhr, John-F.-Kennedy-Platz. Bereits am Freitag, 11. April, gibt es einen Festakt im Rathaus, mit US-Botschafter John B. Emerson.

Kleine Chronik des Rathauses

20. Dezember 1901: Der Magistrat der Stadt Schöneberg beschließt den Bau eines neuen Rathauses – ein Jahrzehnt tut sich wegen Querelen um Bauplätze, Bauausführung und Baukosten nichts.

8. April 1911: Baubeginn.

25. März 1914: Zum ersten Mal tagt die Stadtverordnetenversammlung im neuen Rathaus. Die offizielle Einweihung entfällt später kriegsbedingt.

1. Oktober 1920: Schöneberg wird nach Groß-Berlin eingemeindet. Das Rathaus wird Sitz des Bezirksbürgermeisters.

29. April 1945: Rotarmisten erreichen das vom Krieg gezeichnete Rathaus.

30. November 1948: Endgültig zerbricht die einheitliche Verwaltung Berlins an der Wahl des SED-Bürgermeisters Friedrich Ebert. Im Rathaus finden die aus dem Osten vertriebenen Magistratsmitglieder und Stadtverordneten der anderen Parteien Unterschlupf.

14. Januar 1949: Erste Tagung im umfunktionierten Bürgersaal.

7. Juni 1949: Ernst Reuter zieht mit seinem Büro ein.

1. September 1950: Die neue Verfassung tritt in Kraft; es gibt nun den Regierenden Bürgermeister, den Senat und das Abgeordnetenhaus.

Klang der Freiheit. Die Glocke im Rathaus Schöneberg wurde 1950 übergeben.
Klang der Freiheit. Die Glocke im Rathaus Schöneberg wurde 1950 übergeben.

© Imago/Sven Lambert

24. Oktober 1950: 500 000 Menschen begrüßen die Freiheitsglocke.

26. Juni 1963: Kennedy redet.

10. November 1989: Kundgebung einen Tag nach dem Mauerfall. Kohl wird ausgepfiffen.

24. September 1991: Letzte Sitzung des Senats.

April 1993: Das Abgeordnetenhaus zieht aus.

Simon Grothe

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