zum Hauptinhalt
Dunja Hayali in Kreuzberg.

© Daniel Hofer

Doktor Körners gesammeltes Schweigen: Dunja Hayali taucht in einen inneren See

Was erfährt man über einen Menschen, wenn man nicht mit ihm spricht? Unser Autor sitzt mit Dunja Hayali am Flutgraben.

Vielleicht hat uns das Leben hier hingekritzelt, vielleicht Keith Haring. Wir sitzen im Schlesischen Busch am Flutgraben, im Schatten unter lichtgesprenkelten Birken. Jemand, der von der Brücke auf uns herabschaut, sieht ein Paar ohne Worte. Dunja Hayali wirft einen Ball ins Wasser, ihr Hund Emma springt hinterher, emsig wie ein Biber. Da hocken wir, auf Steinplatten, Knie angezogen, Arme verschränkt. Sie, Flip-Flops, Baumwollshorts, olivfarbenes T-Shirt. Als ihr Handy zirpt, murkst sie es kurzerhand ab und fährt sich mit dem Finger über die Kehle. Dann taucht sie unter, springt kopfüber in einen See, der in ihr treibt und richtet sich ein auf dem Grund: eine Apnoe-Taucherin. Wir sind im Tiefseetiefentaumel, kein Martinshorn, kein Rettungshubschrauber, kein Atom-U-Boot dringt hierher vor.

Ihre Tattoos seufzen tintenherzschwer

Welt hält's Maul, Dunja drosselt das Tempo. Sie geht die Aufgabe, nichts zu sagen, mit Ernst und Empathie an. Sie ist jenseits der Kolumnenstille still, neben der Energie, die ihr Körper ausstrahlt, siedelt die Fähigkeit, sich berühren zu lassen. Emma trägt das dicke Fell, das ihr fehlt. Hunde sind Intensivstationen, Beatmungsgeräte, meinetwegen auch Heizkraftwerke, aber ihr Sensorium ist einseitig ausgebildet; darüber, dass Dunja nun schweigt, lässt sich der Hund keine grauen Haare wachsen. Ironisch ist die Journalistin nicht, sie etabliert kein Über-allen-Gipfeln-Ich, sie steckt mitten in all den Graffiti, die wir sind. Ihre Tattoos seufzen tintenherzschwer. Aufstehen heißt Abschied nehmen.

Wir stromern nun durch den Park, satzlos, fraglos, schwimmen dicht unter der Oberfläche, scheuen das Auftauchen. Könnten wir schwimmen wie Delphine. Wie Delphine! Diese Zeile aus David Bowies „Heroes“ klingt in mir auf, als sei sie eine DJane, wir schweigen in Vinyl, es knistert köstlich analog, die Sonne funkelt wie ein Diamant. Ein Interview ohne Worte ist Slow Dating, Silent Dating.

Dunja ist zurückhaltender, als die Fernsehbilder erzählen. Ihre Unerschrockenheit und Hartnäckigkeit muss stets wieder erarbeitet, zurückgewonnen werden. Nichts kommt von selbst. Leben wird ohne Schienbeinschoner gespielt. „Können wir jetzt wieder reden?“ fragt sie behutsam. Worte fließen, wir entfernen uns voneinander. Dort, wo wir saßen, kauert im Schatten jetzt ein Kaninchen.

Dr. Torsten Körner, geboren 1965 in Oldenburg, ist Journalist und Schriftsteller. Für diese Kolumne führt er Interviews ohne Worte.

Zur Startseite