zum Hauptinhalt
Mit Wasserwerfern räumte die Polizei Dienstagabend den Neuen Pferdemarkt in Hamburg. Hier hatte es spontane Proteste gegeben.

© Christophe Gateau/dpa

Demo am Donnerstag: "Wenn etwas brennen muss, soll es halt brennen"

Hamburgs Autonome wissen: G20 ist nicht zu verhindern. Aber eine konkrete Hoffnung bleibt ihnen.

Donnerstagabend in der Roten Flora, dem Zentrum der Hamburger Autonomen. Im größten Raum des Erdgeschosses sitzen 120 Menschen auf Stühlen und Bierbänken, ein Hund bellt. Die Teilnahmebedingungen der heutigen Vollversammlung sind auf einem Stück Pappe an der Wand nachzulesen: „keine Presse, keine Bullen“. In der Saalmitte steht ein kleiner Mann mit schwarzer Lederkappe. Er verspricht: „Wir nehmen uns die Stadt zurück.“

Der Mann heißt Andreas Beuth, ist 64, Anwalt und eine feste Größe in Hamburgs linker Szene. Für kommenden Donnerstag hat er eine Demonstration durch die Innenstadt angemeldet: „Welcome to Hell“. Willkommen in der Hölle.

Ein Teil der ausländischen Staatschefs wird dann schon angereist sein, der eigentliche Gipfel beginnt erst Freitagmittag. Beuth nennt seinen Protestzug eine „linksradikale Vorabenddemo“, die ein „starker Ausdruck unserer unversöhnlichen Kritik“ werden soll. Die Lokalpresse warnt seit Wochen, dieser Extremistenaufmarsch könnte ganz Hamburg in Schutt und Asche legen.

Statt mit zunächst 5000 rechnet Andreas Beuth inzwischen mit doppelt so vielen Teilnehmern. Die Versammlungsbehörde hat die Demonstration nicht verboten, gab allerdings den Hinweis, der Name „Welcome to Hell“ sei bedenklich. Außerdem sei es wenig hilfreich gewesen, dass Beuth vorher so euphorisch vom „größten schwarzen Block, den es je gab“ gesprochen hatte.

Auf der Vollversammlung in der Roten Flora liest der Anwalt Regeln vor, die er sich mit seinen engsten Mitstreitern ausgedacht hat: kein Alkohol, keine Drogen, am besten in Ketten laufen, also sich beim Nebenmann einhaken. „Wir möchten entschlossen, laut und wütend sein“, liest er vor. Aber auch: „Wir möchten mit der Demo laufen.“ Was nach Selbstverständlichkeit klingt, ist in Wahrheit eine wichtige Anweisung an die eigenen Leute. Der Umzug soll nicht frühzeitig im Chaos enden, sondern die gesamte Wegstrecke durch das Szeneviertel St. Pauli schaffen bis zum Abschlusspunkt in der Nähe der Messehallen, dem Tagungsort des Gipfels.

Beuth sagt, die Polizei werde versuchen, die Teilnehmer schon auf ihrem Weg zur Demo abzupassen und sogenannte „gefährliche Gegenstände“ und Helme zu beschlagnahmen. Dem solle man sich entziehen, indem man zu mehreren anreist. „Je größer die Gruppen sind, desto schwieriger wird die Durchführung.“

Sozialdemokraten und Grüne in der Zwickmühle

Die „Welcome to Hell“-Demo ist nur eine von dutzenden geplanten Umzügen, Kundgebungen und Blockadeversuchen. Am gestrigen Sonntag zogen bereits 8000 Menschen durch die Innenstadt, andere fuhren mit Kanus, Kajaks und Paddelbooten über die Alster, um eine, Achtung: schlechtes Wortspiel, „Protestwelle“ zu erzeugen. Höhepunkt soll die Großdemo am kommenden Samstag werden, zu der mehr als 100 000 Demonstranten erwartet werden. Initiatoren der Aktionen sind Linksradikale, aber auch Nichtregierungsorganisationen und kirchliche Gruppen. Es beteiligen sich Anarchisten, Kommunisten und Linksliberale, Sozialdemokraten und Grüne. Wobei letztere das Problem haben, dass ihre Parteien in Hamburg die Regierung bilden und somit das G20-Treffen mitverantworten. SPD-Innensenator Andy Grote wird unter den Protestlern „Verbote-Grote“ genannt.

Beim Planen des Widerstands war jeder willkommen, heißt es. Nur eine Gruppe Hamburger Stalinisten, die dafür bekannt ist, jedes Bündnis durch stundenlange Grundsatzdiskussionen lahmzulegen, wurde schon vorher ausgeschlossen. Die Stalinisten sammeln jetzt Unterschriften gegen G20.

Den Demonstranten steht eine hochgerüstete Staatsmacht gegenüber. 20 000 Polizisten, Wasserwerfer und Räumgerät, 150 Polizeihunde. Im Süden der Stadt, auf der anderen Elbseite, ist eine schwer bewachte Gefangenensammelstelle eingerichtet, daneben eine provisorische Außenstelle des Amtsgerichts mit neun Richtern. Straftäter sollen im Schnellverfahren verurteilt werden.

In einem Café am Rand des Hamburger Schanzenviertels sitzt die Aktivistin Meike Seidel. Sie ist Mitte 30 und sagt: „Natürlich wird es Gewalt geben, keine Frage.“ Dass die Proteste den Gipfel verhindern oder gar vorzeitig beenden könnten, glaubt Seidel nicht. Ziel sei aber, dass die G20 „nach dieser Erfahrung nie wieder versuchen, mitten in einer europäischen Großstadt zu tagen“. Meike Seidel gehört einer kleinen politischen Gruppierung an, die sich an Blockaden beteiligen wird sowie an Aktionen, über die Seidel keine Auskunft geben mag. Sie bittet darum, vor Gesprächsbeginn die Batterie aus dem Smartphone zu nehmen. Meike Seidel ist auch nicht ihr richtiger Name. Trotz der Vorsichtsmaßnahmen stelle dieses Interview ein Risiko dar, sagt sie. Erst wenige Stunden zuvor wurden die Wohnungen zweier Aktivisten der Gruppe Roter Aufbau durchsucht - die Polizisten seien mit Maschinenpistolen gekommen. Die beiden sollen, ebenfalls unter Pseudonym, vor Monaten mit der „taz“ gesprochen und dabei einen Brandanschlag auf das Tagungszentrum gutgeheißen haben.

Verunsicherung, Nervosität und Wut in der Szene

20000 Polizisten werden bereitstehen. Die ersten  Hundertschaften  waren bereits im Einsatz.
20000 Polizisten werden bereitstehen. Die ersten Hundertschaften waren bereits im Einsatz.

© REUTERS/Hannibal Hanschke

Meike Seidel sagt, die Diskussion über die Gewaltfrage sei eine leidige, aber nun gut, sie sei bereit, ihre Sicht ein weiteres Mal darzulegen. Mit der Gewalt verhalte es sich also folgendermaßen: Während der zwei Gipfeltage würden auf der Welt statistisch gesehen 49 000 Menschen an Unterernährung sterben, darunter 17 000 Kinder. Die Zahlen hat sie sich nicht ausgedacht, die sind von der Uno. All diese Todesfälle, sagt Seidel, wären vermeidbar, meinten die reichen Länder es ernst mit der Entwicklungshilfe - hätte die Bundesregierung, nur als Beispiel, nicht 46 Jahre hintereinander ihr Versprechen gebrochen, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in Entwicklungshilfe zu investieren.

Während diese 49 000 Menschen also sterben, werden in der Metropole Hamburg viele Fensterscheiben zu Bruch gehen, Barrikaden brennen, vielleicht sogar Autos. Meike Seidel sagt: „Wir möchten wachrütteln. Wenn dazu etwas brennen muss, soll es halt brennen.“ Dann sagt sie noch, sie erwarte nicht, dass die Mehrheit der Deutschen ihre Taktik gut fände. „Aber sie könnten anerkennen, dass wir keine blutrünstigen Vandalen sind, sondern uns schon Gedanken gemacht haben.“

So ähnlich ist es auf einem Flugblatt nachzulesen, das in Hamburg gerade tausendfach verteilt wird. Dort wird der Protest der Suffragetten, die im frühen 20. Jahrhundert in Großbritannien und den USA für das Frauenwahlrecht kämpften, als Vorbild gepriesen. „Sie warfen Glasscheiben ein, zündeten Landsitze an und wurden schließlich gehört.“ Protest, der sich sklavisch an die Regeln der Herrschenden halte, bewirke zu wenig: „Bunt und friedlich werden wir das kapitalistische System nicht überwinden.“

Ist Vermummung zwingend notwendig?

Wer in diesen Tagen in Hamburg mit Gipfelgegnern spricht, spürt Verunsicherung, Nervosität und Wut. Man erfährt von Streit in der linken Szene über die beste Strategie, man erfährt von Debatten darüber, ob Vermummung zwingend notwendig sei. Ob Linke das Wort „Raubtierkapitalismus“ nicht vermeiden sollten, weil es ja impliziere, dass theoretisch auch eine harmlosere Variante von Kapitalismus denkbar wäre. Ob die Flüchtlinge in der Stadt an den gemeinsamen Aktionen teilnehmen sollten oder ob dies eine Form von „patronising“ darstelle, also Bevormundung durch privilegierte Weiße. Man bekommt Stadtkarten mit potenziellen Blockadepunkten gezeigt, aber nur für ein paar Sekunden, und dann bitte gleich wieder vergessen. Oder Schutzbrillen aus Plastik, die beim Discounter nur 1,99 Euro kosten und wahrscheinlich, also hoffentlich, gegen das Tränengas der Polizei helfen.

Meike Seidel sagt, der G20-Gipfel sei auch eine obszöne Zurschaustellung von Reichtum. Sinnbild dafür sei Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud. Der König von Saudi-Arabien hat seine Teilnahme inzwischen zwar abgesagt, zuvor aber hatte er gleich das ganze Vier Jahreszeiten gemietet, wollte in einer 430 Quadratmeter großen Suite schlafen, seinen eigenen Thron mitbringen plus eine spezielle Rolltreppe, um seinen Safe sicher aus dem Flugzeug zu bekommen.

Als zweiter großer Verschwender gilt Donald Trump. Der reise mit drei Varianten seiner „Air Force One“ an, lautet ein Gerücht. Von denen müssten zwei während des Gipfels mit laufendem Motor bereitstehen. Verhasst ist auch die Limousine, mit der Trump vom Flughafen Fuhlsbüttel zum Tagungsgelände kutschiert wird. Sie ist mit 13 Zentimeter dickem Stahl gepanzert, hat einen Granatwerfer und Tränengaskanonen an Bord. Spitzname: „The Beast“. Innensenator Grote hat Demonstranten davor gewarnt, die Fahrzeugkolonne des Präsidenten zu blockieren. Dessen Männer seien schwer bewaffnet, das gäbe ein Unglück.

Meike Seidel hat sich in den vergangenen Wochen mehrere Dokumentarfilme angeschaut. Verwackelte Aufnahmen von Protesten zu früheren Gipfeln. Um die Jahrtausendwende war die Bewegung riesig, sagt sie. 1999 in Seattle gegen die Welthandelsorganisation WTO, 2000 in Prag gegen die Weltbank, zuletzt Genua, das war 2001, gegen ein Treffen der G8. Die Bewegung ist dann eingeschlafen, und Meike Seidel sagt, das hänge vor allem mit den Anschlägen vom 11. September zusammen, die andere Themen auf die Agenda setzten: Krieg gegen den Terror, Einmarsch in Afghanistan, Verschärfung von Sicherheitsgesetzen. „Wenn wir ehrlich sind, haben wir von den damaligen Forderungen praktisch nichts durchgesetzt.“ Keine Transaktionssteuer, kein Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln, keine Gesetze für fairen Handel mit Entwicklungsländern. „Aber es ist noch schlimmer“, sagt Seidel. Denn während die Linke mit ihren Protesten scheiterte, würden nun ausgerechnet Rechtspopulisten wie Donald Trump oder Viktor Orbán tatsächlich die Globalisierung einschränken: durch Protektionismus und Abschottung ihrer nationalen Märkte. „Wir wollten eine sozialere Globalisierung, aber doch nicht das.“ Der Gipfel in Hamburg sei eine Chance für die Linke, endlich wieder wahrgenommen zu werden mit ihren Anliegen.

Wer gewinnt die letzte Schlacht?

Das spontan errichtete Camp im Gählerpark wurde nach wenigen Stunden geräumt.
Das spontan errichtete Camp im Gählerpark wurde nach wenigen Stunden geräumt. Dabei setzte die Polizei Pfefferspray ein.

© Daniel Reinhardt/dpa

Ist diese Hoffnung realistisch? Mittwochabend im ausverkauften Schauspielhaus, dem Traditionstheater am Hauptbahnhof. Kurz vor dem Gipfel wollen hier zwei Linke vor Publikum über die Möglichkeiten von Widerstand diskutieren. Der eine ist der bekannte Soziologe und Globalisierungskritiker Jean Ziegler, 81. Der andere ist Karl-Heinz Dellwo, 65, ehemaliges Mitglied der Rote Armee Fraktion, beteiligt an der Geiselnahme von Stockholm 1975, bei der zwei Menschen ermordet wurden. Dellwo ist einer der wenigen RAFler, die sich glaubhaft von ihren Taten distanziert haben und trotzdem noch politisch aktiv sind. An diesem Abend sitzen sich Ziegler und Dellwo auf der Bühne in Ledersesseln gegenüber. Der Ältere erzählt Geschichten. Wie er Simone de Beauvoir traf („schöne, aber kalte Frau“), wie er Che Guevara bat, mit ihm in den Urwald Lateinamerikas ziehen zu dürfen. Der aber sagte, Ziegler solle mal besser zu Hause in Genf bleiben („Ich denke, er hat mir das Leben gerettet“). Die zwei Männer auf der Bühne duellieren sich mit Zitaten bekannter Linker, die halbwegs zum Thema des Abends passen. Dies hat Brecht gesagt, das Marcuse, dies aber Adorno und das der Che. Es ist anstrengend.

Ziegler glaubt, der Sieg der Linken über den Kapitalismus stehe kurz bevor. Dellwo widerspricht. Hätten denn nicht schon die Überlebenden der blutig niedergeschlagenen Pariser Kommune gesagt, ihr Misserfolg sei nicht endgültig, der Sieg nah? Das war im Mai 1871! Und hätten nicht die Ton Steine Scherben 1972, also mehr als 100 Jahre danach, ebenfalls versprochen: „Die letzte Schlacht gewinnen wir“? Ja wann denn jetzt?

Pessimismus ist unerwünscht

Eine Frau unterbricht Dellwo. Sie sagt, Pessimismus helfe hier nicht weiter. Schließlich seien doch lauter Menschen im Saal, die sich kurz vor den G20-Protesten Mut und Motivation wünschten. „Und wenn hier schon so viel zitiert wird“, sagt sie, empfehle sie Erich Kästner, nämlich: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Jean Ziegler antwortet, ihm falle dazu ein Zitat von Max Horkheimer ein. „Jetzt reicht's aber“, ruft jemand dazwischen.

Auf der Vollversammlung in der Roten Flora diskutieren die Autonomen konkreter. Es geht um die Frage, wie sie in den nächsten Tagen ein Zeltlager durchsetzen können - damit die vielen Gipfelgegner aus dem Ausland eine Übernachtungsmöglichkeit haben. Zwei Camps waren geplant, beide wurden verboten. Nach Urteilen bis hoch zum Bundesverfassungsgericht haben sie nun Flächen zugewiesen bekommen, aber ob dort wirklich gezeltet werden darf, ist offen. „Wir brauchen Druck“, sagt einer aus dem Orga-Team. „Wenn also noch jemand von euch Aktionen geplant hat, bitten wir, nicht länger zu warten. Macht es einfach.“ Andreas Beuth, der Anwalt, schlägt eine Spontandemo vor. Es wird abgestimmt. Fast alle dafür, eine Gegenstimme. Jemand hat drei Transparente mitgebracht, kann losgehen.

Draußen steht schon Polizei.

Zur Startseite