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Bundeskanzlerin Angela Merkel mit CDU-Abgeordneten.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Datenanalyse zur Bundestagswahl: "Politik ist immer noch ein Männergeschäft"

Seit zwölf Jahren regiert Angela Merkel. Und sonst? Dominieren im kommenden Bundestag die Männer. Eine Datenrecherche und interaktive Grafiken zur Geschlechtergerechtigkeit.

Nicht immer ist wichtig, was jemand sagt, sondern wer sich äußert. Lisa Paus war gerade als junge Abgeordnete ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt worden, als ihr dies ein männlicher Kollege demonstrierte: „Sie haben ja recht“, sagte damals Klaus Wowereit. „Das ist aber egal. Denn niemand hört auf sie.“ Lisa Paus grinst. Sie hat sich nicht abschrecken lassen: „Ich musste eben dafür sorgen, dass sich das ändert.“ Inzwischen sitzt Paus seit zwei Legislaturperioden im Bundestag, auf Listenplatz eins der Berliner Grünen wird sie im September wohl ein drittes Mal ins Parlament einziehen.

Die Grünen besetzen Listen nach dem Reißverschlussverfahren, es gilt die Quote. „Sie bewirkt wirklich etwas“, sagt Paus. Tatsächlich hat die Partei mit fast 40 Prozent den höchsten Frauenanteil unter den deutschen Parteien. Trotzdem sieht Paus es ähnlich, was im Gespräch mit anderen Politikerinnen immer wieder durchklingt, und die Berliner Sozialdemokratin Eva Högl so formuliert: „Politik ist immer noch ein Männergeschäft.“

Dabei regiert seit zwölf Jahren eine Kanzlerin das Land, der Frauenanteil im Bundestag ist mit rund 37 Prozent so hoch wie noch nie. Doch dürfte sich das im September ändern, wenn voraussichtlich FDP und AfD den Sprung ins Parlament schaffen. Und auch die Union schickt deutlich mehr Männer in den Wahlkampf. Bis zum Montag konnten die Parteien ihre Landeslisten für die Bundestagswahl einreichen. Bereits vorher hat der Tagesspiegel zusammen mit abgeordnetenwatch.de Daten zu allen Kandidierenden recherchiert und auf dieser Grundlage die Platzierung der KandidatInnen von CDU, CSU, Grünen, Linke, SPD sowie AfD und FDP auf den Landeslisten und die Vergabe der Wahlkreise nach Geschlechtern analysiert. Es zeigt sich: Bei keiner Partei geht es mehr ohne Frauen. Der Platz aber, den sie einnehmen, unterscheidet sich klar.

So führen bei der AfD zwar vier der 16 Landeslisten Frauen an, in Berlin steht Beatrix von Storch auf Platz eins. Dann aber folgen meist erst einmal viele Männer, hinter Alice Weidel in Baden-Württemberg zum Beispiel erst auf Platz elf mit Franziska Gminder die nächste Frau. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen kommt die Partei ganz ohne weibliche Kandidaten aus, insgesamt stehen 27 Bundestagskandidatinnen 197 Männern gegenüber.

Beatrix von Storch sagt dazu, es „interessieren sich einfach weniger Frauen für Parteipolitik“. Wenn nicht mehr Frauen in einer Partei seien, könnten auch nicht mehr Frauen aufgestellt werden. Sie ärgert sich hörbar über die Aussage eines Parteikollegen: „Wenn eine Frau bei uns kandidiert, dann wird sie auch etwas.“ Der Mann habe recht, sagt von Storch, und genau das sei das Problem: „Da fühle ich mich diskriminiert.“

Tatsächlich haben alle Parteien weniger weibliche Mitglieder als Männer. Das Web-Portal Statista.de gibt mit Stand Dezember 2015 für die AfD 15 Prozent an, gefolgt von CSU (20 Prozent) und FDP (25 Prozent). SPD, Linke und Grüne haben zwischen 32, 37 und 39 Prozent Frauenanteil. Einen Grund für diese Ungleichheit sieht der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne aber nicht im mangelnden Interesse der Frauen, sondern zum Beispiel in den Parteistrukturen vor Ort, die oft von älteren Männern dominiert würden. Junge Männer wiederum würden oft zielgerichteter eine Parteikarriere anstreben und entsprechend gefördert.

Höhne ist stellvertretender Leiter des Instituts für Parlamentarismusforschung in Halle, das sich in einem Forschungsprojekt mit der Kandidatenaufstellung für die Bundestagswahl 2017 beschäftigt. Was die Auswahl der Kandidaten betrifft, bestätigt er: „Es ist generell schwer für Frauen, Direktmandate zu bekommen, die als sicher gelten.“ Zum Beispiel bei der CSU, deren Abgeordnete regelmäßig über die Direktmandate in den Bundestag einziehen. In acht von 46 Wahlkreisen kandidiert 2017 für die Christsozialen in Bayern eine Frau.

"Manchmal stehen Frauen sich auch selbst im Weg"

Am mangelnden Interesse jedoch liegt die geringere Zahl an Frauen nicht, davon ist Daniela Kluckert überzeugt. Sie kandidiert auf Platz zwei der FDP-Landesliste in Berlin. Die Liberalen ziehen als einzige Partei in der Hauptstadt nicht mit einer Frau an der Spitze in die Wahl, verglichen mit 2013, als sie aus dem Bundestag flog, ist die FDP in Berlin aber kaum wiederzuerkennen. Während damals die Liste aus acht Männern bestand, stehen dort jetzt bis zu Platz sechs abwechselnd ein Mann und eine Frau. Die ersten beiden, also auch Kluckert, haben derzeit gute Chancen auf ein Bundestagsmandat.

Insgesamt findet aber bei der FDP neben weiblichen Stars wie Katja Suding in Hamburg oder Nicola Beer in Hessen auf den Landeslisten mehrheitlich eine Männer-Wahl statt. Auch in NRW, wo Parteichef Christian Lindner vorne steht, kommt auf Platz zwei Marie-Agnes Strack-Zimmermann – und auf Platz 13 die nächste Frau. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt schafft es die erste Kandidatin jeweils erst auf Platz fünf der Liste. Kluckert fände es gut, „wenn wir mehr Frauen in den Bundestag schicken könnten. Aber ich bin nicht in der Position, anderen Ratschläge zu erteilen.“

Manchmal, hat sie beobachtet, stehen sich die Frauen „auch selbst im Weg.“ Junge, talentierte Kandidatinnen würden kein Vorstandsamt annehmen, aus Angst, „es nicht zu schaffen“. „Machen Sie es nach langem Überreden, klappt’s wunderbar.“ Eine Quote könnte helfen, dass Frauen Ämter schlicht übernehmen müssen. Das lehnt Kluckert strikt ab, gibt aber zu: „Möglicherweise fehlt es an Vorbildern.“

Die CDU allerdings zeigt, dass trotz des Vorbildes der Kanzlerin in der eigenen Partei das Thema Kandidatinnen ein Bohren dicker Bretter bedeutet. Monika Grütters, Berliner Landeschefin und Spitzenkandidatin, ist stolz darauf, dass „erstmals in der Geschichte der CDU der Landesvorstand paritätisch mit Männern und Frauen besetzt ist“. Was die Landesliste betrifft, gibt sie zu, „haben wir noch Luft nach oben. Das habe sie schon „bei der Nominierung angemerkt“. Tatsächlich kommt nach Grütters Christina Schwarzer als zweite Frau auf Platz sechs der Liste, in den sicheren Wahlkreisen dagegen kandidieren Männer.

Einer modernen Großstadtpartei, wie sie die CDU sein will, stünde das weniger gut zu Gesicht. In Hamburg allerdings, ein Trost für Berlin, hat man es geschafft, die erste Frau erst auf Platz fünf auf die Liste zu nehmen. Vielleicht blendet in der CDU auch die Strahlkraft Angela Merkels und weiterer Führungsfiguren wie Annegret Kramp-Karrenbauer oder Ursula von der Leyen, so dass die nüchterne Realität beispielsweise der Wahlkreisvergabe übersehen wird. In Baden-Württemberg, wo 2013 die meisten CDU-Abgeordneten über ein Direktmandat in den Bundestag zogen, gibt es nach aktuellem Stand drei weibliche und 35 männliche CDU-Wahlkreiskandidaten.

"Die Stunde der Frauen schlägt, wenn Krise ist"

„Da müssen die ran“, sagt Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende der EAF Berlin, die sich vor allem für den Führungsnachwuchs von Frauen engagiert. Zum einen müssten die Parteien aus ihrer Sicht „ein Klima schaffen, in dem Frauen sich auch engagieren wollen“. Die Bandbreite von Möglichkeiten sei hier enorm. Angefangen von einer Debattenmoderation, die darauf achtet, dass Frauen zu Wort kommen, über familienfreundlichere Parteitreffen nicht nur am Abend, sondern auch mittags zum Lunch und zeitlich begrenzt, bis hin zu einer Gesetzgebung, die Frauen bei der Ämteraufstellung eine paritätische Vertretung sichert.

Vorreiterin. Elisabeth Schwarzhaupt wurde 1961 Gesundheitsministerin. Bundeskanzler Konrad Adenauer begrüßte das Kabinett trotzdem weiter mit „meine Herren“.
Vorreiterin. Elisabeth Schwarzhaupt wurde 1961 Gesundheitsministerin. Bundeskanzler Konrad Adenauer begrüßte das Kabinett trotzdem weiter mit „meine Herren“.

©  Wieczorek/Ullstein Bild

Ein Paritäts-Gesetz, wie es Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen fordert, hat in Frankreich indes mäßig funktioniert; Linke wie Rechte zahlten lieber Strafe, als die geforderten Kandidatinnen aufzustellen. Dass ein solches Gesetz in Deutschland auch wegen der Direktmandate kompliziert würde, ist Lukoschat klar: „Solche Dinge dauern ohnehin Jahre. Man muss nur irgendwann die Debatte beginnen.“ Eva Högl sieht das ähnlich: Die SPD-Spitzenfrau würde in der kommenden Legislatur gerne ein Paritätsgesetz auf den Weg bringen. „Junge Frauen starten sehr selbstbewusst in eine politische Karriere“, sagt sie. „Doch dann werden sie oft frustriert, weil sie immer wieder auf diskriminierende Verhaltensweisen und Strukturen stoßen. Das passiert ganz unterschwellig.“

Die Linken-Politikerin Petra Pau hat nicht nur fünfmal in Berlin ein Direktmandat gewonnen, sondern saß 2002 zusammen mit Gesine Lötzsch ohne Fraktion im Bundestag – weil ihre Partei an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war. Pau, seit 19 Jahren im Parlament, hat beobachtet: „Der Umgang mit Frauen in der Politik ist durch die Parteien ein sehr spezieller.“ Ihre Erfahrung: „Die Stunde der Frauen schlägt, wenn Krise ist.“ So kam sie zu ihrem ersten Direktmandat, so wurde sie später Bundestagsvizepräsidentin, nachdem Lothar Bisky, der Wunschkandidat von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, einfach nicht gewählt wurde. Auch als Angela Merkel Parteichefin wurde, war die CDU in einer tiefen Krise.

Inzwischen hat sich aber einiges geändert. Und wie Elisabeth Schwarzhaupt, der ersten bundesrepublikanischen Ministerin, geht es heute keiner Frau mehr. Konrad Adenauer weigerte sich 1961 beharrlich, seine Kabinettstreffen anders als weiter mit „meine Herren“ zu beginnen. Schwarzhaupt sollte sich halt „mitgemeint“ fühlen.

Der Tagesspiegel hat zusammen mit abgeordnetenwatch.de Daten zu allen Kandidierenden für die Bundestagswahl 2017 recherchiert. Ende dieser Woche wird abgeordnetenwatch.de das „Wahlportal“ vorstellen, bei dem der Tagesspiegel Kooperationspartner ist. Im August folgt dann der Kandidatencheck, in dem Bundestagskandidaten gebeten werden, einen Fragenkatalog zu beantworten. Der Tagesspiegel hat hier eigene Themen beigesteuert. Bis zur Wahl werden nun regelmäßig Berichte und Grafiken auf Grundlage dieser "Kandidatenbank“ veröffentlicht.

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