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Der Sitz des Bundestagspräsidenten. Wer wird Nachfolger von Norbert Lammert?

© Kai-Uwe Heinrich

Bundestagspräsident: Wer wird Nachfolger von Norbert Lammert?

Nach der Wahl beginnt die Suche nach einem neuen Bundestagspräsidenten. Schon jetzt ist klar: Norbert Lammert zu ersetzen, wird nicht leicht.

Von Robert Birnbaum

Man kann Norbert Lammert sicher das ein oder andere Versäumnis vorwerfen, aber um seine Nachfolge kümmert sich der Präsident des Bundestages mit Weitsicht. „Mein Platz wird in absehbarer Zeit frei“, sprach der CDU-Politiker vor Kurzem im Reichstag. „Vielleicht motiviert das ja jemanden.“ Vor ihm saßen 313 Schüler aus ganz Deutschland, die für drei Tage Bundestag spielten. Sie können sich das noch lange überlegen. Andere nicht. Spätestens 30 Tage nach der Wahl muss das neue Parlament nach Artikel 39 Grundgesetz in der ersten Sitzung seinen Klassensprecher wählen. Dass die Union wieder stärkste Fraktion wird und nach Gewohnheitsrecht den Posten kriegt, bezweifelt keiner. Nur – wer soll’s machen?

Wer die Frage in diesen Tagen zwischen Urlaub und anlaufendem Wahlkampf stellt, bekommt reichlich ratloses Schulterzucken zu sehen. Tja. Drängt sich irgendwie keiner auf. Aber bis nach der Regierungsbildung zu warten, wer übrig bleibt, ist angesichts des Zeitplans kein Ausweg. Zwar gibt einer aus dem Regierungslager zu Recht zu bedenken, dass die Antwort auf die Frage ja mit davon abhänge, welche Koalition der Wähler am 24. September auskegelt und ob keine, wenige oder viele Regierungsämter zu verteilen sind. Trotzdem – Angela Merkel und Horst Seehofer müssen sich bald nach der Wahl Gedanken machen.

Leicht wird das nicht. Der Präsident des Bundestages rangiert hierarchisch je nach Lesart als Nummer zwei oder drei im Staate nächst dem Bundespräsidenten und dem – rotierenden – Vorsitz im Bundesrat. Das sichert dem Inhaber Ehrerbietung und öffentliches Gehör, doch so gut wie keine Macht. Lammert hat das zuletzt schmerzvoll erfahren bei seinen vergeblichen Versuchen, die Fraktionen zur Wahlrechtsreform zu drängen.

Im Hintergrund

Das Job-Profil bringt es mit sich, dass der Posten meist als letzte Station an verdiente ältere Herrschaften geht. Die Ahnengalerie zeigt Ex-Fraktionschefs und Ex-Minister, auch mal Parlamentarier der zweiten Reihe wie die SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Annemarie Renger, 1972 erste Frau im Präsidentenamt. Lammert war, bevor er vom Vize- auf den Chefsessel rückte, einer der einflussreichsten CDU-Politiker im Hintergrund.

Hält man sich an die historischen Vorbilder, bleiben zwei Gruppen von Kandidaten: Altparlamentarier hier, Regierungsmitglieder ohne günstige Zukunftsperspektive dort. Was die Abgeordneten angeht, ist das Angebot an Altgedienten überschaubar. Viele verlassen gerade das Parlament; eine ganze Generation ist auf dem Weg in die Polit-Rente. Ex-Minister wie Franz Josef Jung, szenebekannte Gesichter wie Maria Böhmer, Michael Fuchs oder die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt kehren nicht zurück. Als Silberrücken im Fraktionsvorstand bleiben nur Finanz-Vize Eckard Rehberg und der Chef-Europäer Hans-Peter Friedrich. Der CSU-Mann kann zwar eine offene Rechnung vorweisen, seit Seehofer und Merkel ihn vor drei Jahren zum Rücktritt als Innenminister zwangen. Aber Friedrich hat sich seither als Mann des starken Widerworts bei der Chefin nicht für Höheres empfohlen. Und in der CSU-Spitze versichern sie, dass sie in diesem Teil des Berliner Personalspiels weder Karten haben noch haben wollen.

Da richten sich die Blicke dann schnell auf den Chef selbst. Volker Kauder führt die Fraktion seit 2005. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit – schon jetzt Rekord unter den Unionsfraktionsvorsitzenden. Mit seinen 67 Jahren ist er nicht mehr der Jüngste. Dass er angekündigt hat, weitermachen zu wollen, muss nicht viel heißen – was sonst soll er einem Interviewer antworten? Aber wer den Badener kennt, geht davon aus, dass er das ernst meint. Und jeder, der Merkel kennt, geht davon aus, dass sie ihn nicht fortzwingt. „Gegen seinen Willen würde sie nicht handeln“, ist jemand aus dem Kanzlerinnen-Umfeld überzeugt. Die zwei sind zusammen ans Regieren gekommen, die zwei werden wohl auch gemeinsam gehen.

Es sei denn ... womit wir bei den Regierungsmitgliedern wären. Verliert Merkel die Wahl oder den Koalitionspoker danach, hat sie eh freie Auswahl im Überangebot. Aber es sieht doch eher nach Sieg aus. Und so führt die Suche nach dem nächsten Lammert leicht ins Gestrüpp der Kabinettsspekulationen. Dort finden sich ein paar Fixpunkte. Wolfgang Schäuble etwa muss – ähnlich wie Kauder – nicht mit einem unerbetenen Wechselangebot der Chefin rechnen. Der Finanzminister müsste schon selber sagen, dass er auf Weltreisen und Verhandlungsnächte keine Lust mehr hätte.

Ursula von der Leyen wird vermutlich auch auf Posten bleiben. Vor einer Woche spitzten zwar Hellhörige die Ohren, als die Verteidigungsministerin in einem Interview auffällig klar versicherte, dass sie das Amt behalten wolle. So was nährt immer den Verdacht, die Niedersächsin wolle sich entweder durch die Blume wegbewerben oder, im Gegenteil, ein unangenehmes Angebot abwehren.

Aber Kenner interner Abläufe versichern energisch, davon könne keine Rede sein. Für Merkel sei die Frau, die sich in jeder Talkshow in jede Bresche schlägt, nach wie vor die beste Wahl im wahrscheinlich schwierigsten Ministeramt. Dass ihr Traditions-Ukas Leyen offene Kritik aus der Truppe eingetragen hat, stehe dem nicht entgegen. „Die versuchen, sie jetzt wegzukriegen“, kommentiert ein Regierungsmann. „Aber die ist härter als jeder General.“ Und vor allem härter als jede denkbare Alternative auf dem Schleudersitz im Bendlerblock.

Ein anderer aus der Ministerriege hat größere Probleme. Merkel hat ihren alten Vertrauten Thomas de Maizière vor vier Jahren aus dem Feuer im Verteidigungsministerium heraus ins Innenministerium zurückversetzt. Jetzt droht dem CDU-Mann der nächste Wechsel wider Willen in der wuchtigen Gestalt des Joachim Herrmann. CSU-Chef Seehofer hat seinen Landesinnenminister als christsozialen Spitzenkandidaten auf den Weg nach Berlin geschickt, Perspektive Bundesinnenministerium. Zusagen Seehofers sind zwar mit Vorsicht zu genießen; aber vor der Bayern-Wahl im Herbst 2018 kann es sich der CSU-Chef nicht leisten, den weithin geachteten Franken hängen zu lassen.

Fingerspitzengefühl ist gefragt

Nun ist bei der CSU vieles denkbar; auch, dass die zwei Herren plötzlich einvernehmlich zu dem Schluss kommen, dass Herrmann in Bayern doch besser aufgehoben wäre. Aber de Maizière muss jedenfalls damit rechnen, dass er erst mal arbeitslos wird. Für einen Ex-Innen-, Ex-Verteidigungs-, Ex-Kanzleramtsminister scheidet aber alles unterhalb des Finanzressorts eigentlich aus.

Die Lage wird für den Wahl-Sachsen noch unkalkulierbarer durch Merkels zweiten, völlig anders gelagerten Problemfall am Kabinettstisch. Peter Altmaier steht nämlich eigentlich zur Beförderung an. Der joviale Saarländer ist für Merkel wichtiger als all seine Vorgänger; nicht zufällig hat sie ihm im Zweit-Amt in der CDU-Zentrale sogar das Wahlprogramm anvertraut. Dabei ist Kanzleramtschef allein schon ein Knochenjob für Schlaf-Verächter. Andererseits kann Altmaier warten, ob nicht zur nächsten Halbzeit etwas Passendes frei wird – Fraktion, Finanzen, wer weiß?

Was also bleibt? De Maizière das noble Austragshäusel im Parlament schmackhaft machen? Zwingend findet die Spekulation keiner, völlig unplausibel auch nicht. Aber am Ende spielen vielleicht noch ganz andere Kriterien die entscheidende Rolle als der Promi-Faktor. CDU- Vorsitzende müssen im großen Personalgedränge zum Beispiel stets auf landsmannschaftliche Balance achten. Auch deshalb gab es eigentlich einen logischen Nachfolger für den Nordrhein-Westfalen Lammert. Aber Peter Hintze starb im vorigen Jahr. Für ihn rückte Michaela Noll als Vizepräsidentin ins Bundestagspräsidium nach. Dass Merkel und Kauder die 57-jährige Deutsch-Iranerin einfach eins höher befördern – auch das erscheint manchen denkbar.

Nur so viel ist klar: Wer als Nummer eins auf dem Stuhl hinter dem Rednerpult im Reichstag sitzt, prägt nicht allein das Binnenklima. Das kann schwierig genug werden in der Spanne zwischen AfD und Linkspartei. Doch dazu kommt die öffentliche Repräsentation des Hohen Hauses, ja der repräsentativen Demokratie überhaupt. Deren Ruf ist beim Bürger schon seit Langem nicht mehr unangefochten. Contenance, Fingerspitzengefühl, Schlagfertigkeit, Redebegabung – „es gibt keine schönere und nur wenige auch nur annähernd vergleichbar anspruchsvolle Aufgaben“, hat Lammert im Abschiedsinterview mit der Hauszeitung „Das Parlament“ gesagt. Wer ihm nachfolgt, wird daran gemessen.

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