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Mit Konfetti bejubeln die Fraktionsmitglieder von Bündnis 90/Die Grüne am 30.06.2017 im Bundestag in Berlin das Ergebnis nach der Abstimmung zu Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts. In der Mitte Volker Beck.

© dpa

Bundestag beschließt Ehe für alle: Eine Frage des Respekts - und so viel mehr

Die einen unterdrücken mühsam ihre Wut, die anderen notdürftig ihren Triumph. Der Tag lehrt die Parlamentarier eines: was Respekt wirklich bedeutet.

Von Robert Birnbaum

Nach drei Minuten ist alles klar. Es braucht noch ein paar Sekunden mehr, bis die Ersten im Reichstag begreifen, dass gerade faktisch die Entscheidung gefallen ist, die hinterher viele eine historische nennen werden. Aber dann bricht auf der linken Seite des Hohen Hauses ein regelrechtes Juchzen los. „Beifallsstürme nach Geschäftsordnungsentscheidungen hatten wir auch eher selten“, merkt Bundestagspräsident Norbert Lammert trocken an, als sich der Lärm etwas legt.

Tatsächlich hat der Bundestag an diesem Freitag um 8.03 Uhr ja erst mal weiter nichts beschlossen, als den Gesetzentwurf zur „Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ auf die Tagesordnung zu setzen. „Wer ist dafür?“, hat Lammert gesagt, und links gehen alle Hände hoch. „Wer ist dagegen?“ Bei der Union fliegen die Arme nach oben. Es sind aber weniger Arme als links. Ganz eindeutig weniger. Und das, obwohl CDU und CSU fast so viele Sitze im Parlament haben wie alle anderen zusammen. Und obwohl der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder seine Leute noch am Dienstag zur Anwesenheit gemahnt hatte. Sie hätten hier und jetzt vielleicht verhindern können, dass dieses Gesetz zur Abstimmung kommt. Aber die Dutzenden Christdemokraten, die erst später in den Saal bummeln, wollen es ersichtlich nicht verhindern. Und Kauder wird ihnen nicht mal böse sein. Schon allein, weil das Wort des Tages „Respekt“ heißt.

Lammert ist der Erste, der ihn einfordert, den Respekt vor der Meinung und Weltsicht des Anderen. Nur einer der zwölf Redner verweigert ihn. Der SPD- Mann Johannes Kahrs erregt sich dermaßen über die Union und über Angela Merkel – „Danke für Nichts!“ schreit er sie an –, dass selbst Vizekanzler Sigmar Gabriel den Kopf schüttelt. Doch es sind ohnehin unterschiedliche Spielarten von Respekt, die man in den offiziell 38 Minuten Debattenzeit erlebt. Einige wirken recht pflichtschuldig, auf beiden Seiten. Das hat mit dem Thema selbst zu tun, aber auch mit den letzten fünf Tagen. Am Montag hat Angela Merkel vom Sessel auf der Bühne des Gorki-Theaters aus die vielleicht letzte große gesellschaftliche Streitfrage aus den Tiefen der alten Republik zur Gewissensfrage erklärt. Seit diesem Wahlkampftalk unterdrücken die einen mühsam ihre Wut und die anderen notdürftig ihren Triumph.

Volker Kauder fällt es besonders schwer

Merkel sitzt am Morgen im knallblauen Kostüm auf ihrem Kanzlerstuhl in der Regierungsbank. Sie hat erst noch kurz Kauder getröstet und dann dem Grünen Winfried Kretschmann auf der Bundesratsbank die Hand gedrückt. Merkel wird in der nächsten Stunde recht viel und angeregt mit ihrem Nachbarn Gabriel den Kopf zusammenstecken. Jetzt guckt sie kurz hoch zum Rednerpult. Dort macht Thomas Oppermann den Anfang. „Dass wir heute darüber entscheiden, ist vielleicht nicht gut für die Koalition“, sagt der SPD-Fraktionschef, „aber es ist gut für die Menschen und gut für das Parlament.“

Stimmt, richtig gut für die Koalition ist es nicht. Dass der eine Regierungspartner mit der Opposition zusammen den anderen überstimmt, ist genauer gesagt ein Koalitionsbruch. Merkel hat sich darüber auch artig aufgeregt, aber von der Entlassung der SPD-Minister dann doch abgesehen. Ihr kommt der Koalitionsbruch nämlich zupass.

"Es ist genug Ehe für alle da"

In Sachen Respekt hat Oppermann Verständnis für die Kollegen der Union, die „diesen Schritt nicht mitgehen“, ansonsten aber einen halb tröstlichen, halb belehrenden Hinweis: „Wenn die Ehe für alle kommt, dann wird vielen etwas gegeben, aber niemandem etwas genommen.“ Der Satz wird in Varianten noch häufig fallen von den Befürwortern der Homo- Ehe. „Es ist genug Ehe für alle da“, ruft Grünen-Spitzenfrau Katrin Göring-Eckard etwas übermütig. „Niemand muss, alle dürfen“, sagt der Linke Harald Petzold: „Fürchtet euch nicht!“ Abgesehen von dieser Spitze ist Petzold in Sachen Respekt vielleicht der Aufrichtigste in seinem Lager. „Ich respektiere Ihre Position, auch wenn ich sie nicht verstehe“, sagt der Brandenburger in Richtung Union. Das ist direkt, aber wenigstens nicht verdruckst.

Am schwersten am Respekt zu tragen hat Volker Kauder. Als er ans Pult tritt, zischelt ein vielfaches „schschschsch“ von rechts bis links durch den Saal – Kollegen, Ruhe! „In meiner Fraktion gibt es unterschiedliche Auffassungen“, fängt Kauder an. „Als Vorsitzender dieser Fraktion habe ich Respekt vor beiden Seiten.“ Das ganze Haus applaudiert.

Alle wissen, wie schwer er sich tut. Kauder hat sich lange gegen diese „Ehe für alle“ gewehrt, obwohl er wusste, dass er auf verlorenem Posten stand. Aber er war nie ein Eiferer, eher ein abendländischer Melancholiker. Es gehe nicht um die Liebe zwischen zwei Menschen oder die Gleichberechtigung, sagt Kauder; die hätten gleichgeschlechtliche Partner jetzt schon. Es gehe nur darum, dass die Verbindung von Mann und Frau nun mal „seit Jahrhunderten in unserem Kulturkreis als Ehe bezeichnet wird“.

Männer mit Regenbogenflaggen feiern die Abstimmung über die "Ehe für alle".
Männer mit Regenbogenflaggen feiern die Abstimmung über die "Ehe für alle".

© dpa

Das zweite Argument der Gegner bringt er nicht, das wird die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt vortragen: Die Ehe als Verbindung, aus der Kinder hervorgehen, sei die „Keimzelle der Gesellschaft“ und die Garantie für ihr Fortbestehen; deshalb seien Ehe und Familie im Grundgesetz privilegiert und nicht einfach jedwede Lebenspartnerschaft. „Ungleiches ist nun einmal nicht gleich“, sagt Hasselfeldt.

Das mit dem Grundgesetz treibt aber auch Kauder um. Er sei schon etwas irritiert, dass das Bundesjustizministerium 2015 eine Verfassungsänderung erforderlich gefunden habe für eine „Ehe für alle“, der ebengleiche SPD-Minister das aber „rechtzeitig vor dieser Entscheidung“ auf einmal anders sehe. Heiko Maas verschränkt auf der Regierungsbank die Arme noch fester als vorher. „Vorsicht, Herr Minister!“, ruft Kauder. Solche Fragen dürfe man „nicht unter politischer Opportunität beurteilen“.

Da hat er sicherlich recht. Nur steht die frühere CDU-Abgeordnete Erika Steinbach keineswegs allein mit der Sichtweise, dass sich in Sachen Opportunität die wahlkämpfende SPD und die wahltaktische Kanzlerin nichts geben. Steinbach hat als Fraktionslose zwei Minuten Rederecht. „Es war die Bundeskanzlerin, nicht die SPD-Fraktion, die die Türen für die heutige Entscheidung sperrangelweit geöffnet hat“, empört sich die Frankfurterin, zitiert anklagend aus dem CDU- Grundsatzprogramm das „Leitbild“ der Ehe von Mann und Frau und wirft Merkel vor, dass sie sich „als quasi neue Fraktionsvorsitzende“ angemaßt habe, die Abstimmung freizugeben.

Mancher hatte ja gehofft, Merkel sei da nur etwas rausgerutscht

Dafür setzt es aber einen Tadel des Präsidenten. Niemand müsse irgendetwas freigeben, weil jeder Abgeordnete frei sei in jeder seiner Entscheidungen, belehrt sie Lammert. Auch was eine Gewissensfrage sei, bestimme einzig und allein jeder Kollege für sich. Der CDU-Mann hat von dort oben immer die Rechte des einzelnen Abgeordneten verteidigt, auch gegen die eigene Fraktion. Er scheidet bald aus. Da soll ihm nicht auf die letzten Stunden noch jemand mit Gerede kommen.

Trotzdem hat die Erzkonservative einen Punkt getroffen. In der Union sind viele sauer auf Merkel. Offen sagt es keiner. Aber neulich im informellen Fraktionsvorstand kurz vor der Sitzung am Dienstag, dem Tag nach Merkels Theatercoup, ging es hoch her. Wie er den Schwenk zu Hause seinen Wählern erklären solle, hat einer geflucht, der im Wahlkreis einen bekannten AfD-Mann im Nacken hat. „Aus voller Überzeugung haben wir im Rechtsausschuss dieses Gesetz vertagt und vertagt“, schimpfte dann im Fahrstuhl ein anderer, „und jetzt das!“

Mancher hat sich damit getröstet, dass Merkel bloß vorzeitig etwas rausgerutscht sei. Nun haben aber Angela Merkel und Horst Seehofer just am vorigen Sonntag beraten, wie sie das Thema vor dem Wahlkampf abräumen können. Da hatte sich gerade als letzter denkbarer Partner die SPD auf die „Ehe für alle“ als Koalitionsbedingung festgelegt. Der CDU-Chefin und dem CSU-Chef war klar, dass sie beidrehen mussten, je schneller je besser. Seehofer blieb in Deckung. Merkel übernahm das Ausputzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zückt die rote Karte. Sie stimmt gegen die "Ehe für alle".
Bundeskanzlerin Angela Merkel zückt die rote Karte. Sie stimmt gegen die "Ehe für alle".

© dpa

Der Mann, der ihr völlig ahnungslos das richtige Stichwort zur richtigen Zeit lieferte, sitzt am Freitag oben auf der Reichstagstribüne. Ulli Köppe hatte aus dem Publikum im Gorki-Theater heraus Merkel gefragt, wann er denn seinen Partner endlich „Ehemann“ nennen dürfe. Welche Lawine er da lostrat, hat der 28-jährige Berliner erst allmählich begriffen. Jetzt will er sehen, wie Merkel selbst abstimmt.

Merkel stimmt rot. Rot steht für „Nein“. Nicht vor dem Parlament, sondern danach vor einer Alu-Wand im Reichstagsrestaurant erläutert sie, dass sie gegen ein Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare nichts mehr habe „in Änderung einer Position“, aber die Ehe für sie die von Mann und Frau bleibe. Ansonsten hoffe sie jetzt aber auf ein Stück gesellschaftlichen Frieden.

Ein paar Meter weiter bekräftigt da gerade der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl in eine Kamera hinein, dass er guten Mutes sei, 157 Abgeordnete für eine Verfassungsklage zusammenzubringen. Aber das glauben nicht viele. „Die Kollegen fahren jetzt nach Hause und planen ihren Wahlkampf“, sagt ein erfahrener Parlamentarier. Einen Wahlkampf für Merkel, nicht gegen sie. Außerdem haben auch 75 Abgeordnete von CDU und CSU mit Ja gestimmt. Das ist ein Viertel der Fraktion, darunter Promis wie Generalsekretär Peter Tauber, Kanzleramtschef Peter Altmaier, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Berlins CDU-Chefin Monika Grütters.

Dann schießen ihm die Tränen in die Augen

Und außerdem – außerdem steht nach der Abstimmung der Grüne Volker Beck vor dem Fraktionssaal vor einer riesigen Torte mit Regenbogenzuckerschmuck. Obendrauf hält sich je ein schwules und ein lesbisches Puppen-Paar im Hochzeitsgewand an den Händen. Beck hat das Gesetz vorhin im Bundestag als „einen Beitrag zu Einigkeit und Recht und Freiheit“ gelobt in seiner Abschiedsrede.

Nun erläutert er noch mal, was er meint: Dass jetzt, erst jetzt Schwule wie er sich sozial sicher fühlen könnten in dieser Gesellschaft. Weil jetzt, erst jetzt Homosexuelle amtlich anerkannt seien als Menschen mit gleichen Rechten. Die anderen könnten das vielleicht nicht so richtig verstehen. „Wir wissen einfach um die jahrhundertelange Verfolgung und Diskriminierung.“ Beck schaut auf die Torte. „Das war’n 29 Jahre harter Kampf.“ Und dann schießen ihm die Tränen in die Augen.

„Kann mal jemand’n Taschentuch?“, ruft Claudia Roth. Volker Beck hat an einen Mann denken müssen, „an meinen gestorbenen Lebenspartner“. „Meinen Ehemann“ hat er ihn nicht mehr nennen können. Bloß ein Wort? Die anderen können das vielleicht nicht so richtig verstehen. Das nämlich, was an diesem Wort mehr ist, viel mehr als bloß eine Frage des Respekts.

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