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Um die Rechtschreibung geht es dann ein anderes Mal. Die dreizehnjährige Ayah hat sich beim Kommunikationstraining Gedanken über ihre Zukunft gemacht.

© Thilo Rückeis

Zukunftsakademie Gropiusstadt: Praktikum statt Schulabbruch

Drei Oberschulen in Neukölln haben sich zur Initiative "Zukunftskademie Gropiusstadt" zusammengeschlossen. Die Schulen arbeiten mit unternehmen zusammen. Das Ziel: Jugendlichen eine Perspektive geben und sie fit für Jobs machen.

Feinsäuberlich schneiden die Siebtklässler die vorgedruckten Texte aus und unterhalten sich dabei über die Traumberufe ihrer Klassenkameraden. Der eine will Polizist werden, der andere Anwalt. „Schlägerin“, spottet eines der Mädchen und lacht. Zum Abschluss eines mehrstündigen Kommunikationstrainings gestalten die fünf Schüler der Hermann-von-Helmholtz-Schule in Gropiusstadt eine Wandzeitung mit Fotos und den Ergebnissen ihrer Arbeit.

Das Training ist der Teil einer Initiative mit dem klangvollen Namen „Zukunftsakademie Gropiusstadt“. Drei Oberschulen des Neuköllner Ortsteils bereiten in Kooperation mit Unternehmen sowie öffentlichen und ehrenamtlichen Einrichtungen die Schüler der siebten bis zur zehnten Klasse auf ihre Zukunft vor. Das Modellprojekt ist auf drei Jahre ausgelegt und soll Schüler, Lehrer und zukünftige Arbeitgeber dabei unterstützen, aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen. Die Neuköllner Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport, Franziska Giffey, unterstützt das Projekt. Sie sagt: „Die Schüler sollen so fit sein, dass sie den Anforderungen der Unternehmen gerecht werden. Dazu müssen die Lehrer wissen: Was erwartet die Wirtschaft von unseren jungen Menschen?“

Jährlich gibt es in Neukölln rund 2500 Schulabgänger, davon verlassen rund 350 die Schule ohne Abschluss, etwa 700 werden mit einem Hauptschulabschluss in ihre Zukunft entlassen. Ihre Chancen stehen nicht gut – selbst die, die einen Ausbildungsplatz ergattern, brechen oft wieder ab. Um dem entgegenzutreten, startet die Zukunftsakademie Gropiusstadt ihr Programm, das für die kommenden drei Jahre vom Bund mit 350.000 Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert wird, der Berliner Senat hat 80.000 Euro hinzugegeben. Los ging es an der Hermann-von-Helmholtz Schule, einer Integrierten Sekundarschule. Hier, wo knapp 70 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben und zwei Drittel der Eltern finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten. Hier, am südlichen Stadtrand von Berlin, in der Gropiusstadt, berüchtigt für ihre 19.000 Wohneinheiten, die sich oft in mehr als 20 Stockwerken übereinander stapeln – und für ihr berühmtes Kind Christiane F., die einst auf die Helmholtz-Schule ging.

Beim Thema Christiane F. winkt Helmholtz-Schulleiter Roland Hägler ab. „Das war in den siebziger Jahren. Mit dem Namen kann hier heute niemand mehr etwas anfangen“, sagt er. Statt vierzig Jahre in die Vergangenheit zu blicken, schaut er lieber nach vorne. „In drei Jahren kann eine Schule sich stark verändern“, sagt er mit Blick auf die Zukunftsakademie. An seiner Schule sowie den beiden weiteren beteiligten Schulen Liebig- und Walter-Gropius-Schule gesteht man sich ein, dass Schüler und vor allem Lehrer sich oft vor der Realität des Arbeitsmarkts in ihren Klassenzimmern verschanzt haben. Hägler sagt: „Schulen und Unternehmen waren wie Festungen: Jeder hat die Tür zugemacht und wollte nichts vom anderen wissen.“ Auf beiden Seiten besinnt man sich jetzt eines Besseren. Die kooperierenden Unternehmen sind die Deutsche Telekom, das Berliner Immobilienunternehmen Degewo und der Krankenhauskonzern Vivantes.

Sie stellen für die Schüler Praktikumsplätze zur Verfügung und vermitteln den Lehrern Informationen über ihr Ausbildungsangebot. Schulleiter Hägler betont, wie wichtig es ist, die eigenen Chancen realistisch einzuschätzen. Die Frage: „Welche Note brauche ich in Physik, wenn ich Mechatroniker werden möchte?“ sei entscheidend, denn nur so könne man sich konkrete Ziele setzen. „Mit Perspektive lernt man mehr“, sagt Hägler. Um die Perspektiven der Schüler auszubauen bietet die Zukunftsakademie Gropiusstadt für die siebte bis zur zehnten Klasse ein Begleitprogramm – einiges davon findet im Unterricht statt, wie das Kommunikationstraining in den siebten Klassen, für andere Projekte werden einzelne Schüler ausgewählt. Einige Neuntklässler absolvieren in einem der kooperierenden Unternehmen ein dreiwöchiges Betriebspraktikum. Die Schüler werden dann in der zehnten Klasse durch ein Mentorenprogramm der Bürgerstiftung Neukölln gefördert, wo sie eine intensive Beratung erhalten. In der Schule halten die Schüler anschließend Vorträge über ihre Erfahrungen.

Murat, Ayah, Arta, Justin und Baki haben mit ihrem soeben absolvierten Kommunikationstraining den Anfang gemacht. Sie kleben die Unterrichtsergebnisse auf ihre Wandzeitung. Auf den Ausschnitten stehen Fragen, mit denen man beim Bewerbungsgespräch rechnen muss: Weshalb haben Sie sich für diesen Beruf entschieden? Sind Sie vorbestraft? Haben Sie noch Fragen an uns? Auf einem der Ausschnitte sind die Berufswünsche der Schüler gesammelt. Besonders gerührt ist Kommunikationstrainerin Ingke Brodersen von einem Traumberuf: „Sänger: Wenn ich singe, fühle ich mich frei, als würde ich in der Luft schweben.“ Die Trainerin sagt: „So etwas kann man sich gar nicht ausdenken. Die Schüler überraschen mich immer wieder.“ Die fünf Schüler, die an der Wandzeitung arbeiten, sind engagiert dabei, denn: „Es geht um unsere Zukunft“, sagt Ayah.

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