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Szenenbild aus dem Residenz-Theater 1901. Die Schauspieler Richard Georg und Richard Alexander am Boden sitzend, daneben stehend die Schauspielerin Ida Becker.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Rampensau bei Wilhelm Zwo

Otto Brahm macht sich am Deutschen Theater mit Ibsen und Hauptmann unsterblich. Aber bei Richard Alexander, dem Boulevard-Star des Residenz-Theaters lacht Berlin - in Serie. Der Alexanderplatz wurde trotzdem nicht nach ihm benannt. Erinnerung an eine längst vergessene Rampensau.

Die Pointe muss sitzen. Am besten auf dem Hosenboden. Der Schauspieler Richard Alexander – im Bild rechts – ist in diesem Fach der Unterhaltung erste Wahl. Ein großer Komödiant, 1,85 Meter, stattliche Figur. Das ist das Mindeste, was man als Rampensau vorzuweisen hat, um im Kaiserreich öffentlich bejubelt die Hosen herunterlassen zu können. Davon später mehr.

Im neuesten "Zugstück" des Residenz-Theaters steht – pardon: sitzt – Richard Alexander im Oktober 1901 als "Sein Doppelgänger" auf der Bühne. Die Vorlage "Le coup de fouet" kommt wie fast alles hier vom Pariser Boulevard. In der Titelrolle des Erfinders Anatol Barisart lebt er in glücklicher Ehe mit Colette, kann sich aber gelegentliche Eskapaden nicht verkneifen. Zur Tarnung seiner Galanterien ersinnt er sich ein Double namens Cornaillac. Doch mit dem Besuch des Freundes Gaston und seiner Frau Susanne, die als Enkelin des Vaudeville-Autors Scribe alle Tricks untreuer Ehemänner kennt, nehmen die Verwicklungen ihren Lauf. "Dieser köstliche Cirkusspass entwaffnet jede Kritik", kapituliert ein Rezensent. "Man lacht Thränen. Man, lacht, dass die Wände bersten."

Richard Alexander spielt Abend für Abend, ein Schwank jagt den nächsten, hundertfach werden Stücke wie "Pension Schöller" oder "Der Mustergatte" gegeben, nur Karfreitag, Bußtag, Totensonntag und am Heiligabend hat er außerhalb der Spielzeit frei, dann bleibt die Bühne nahe dem Alexanderplatz geschlossen. Selbst als seine Frau im "typhösen Fieber" mit dem Tode ringt, gibt Alexander den Bonvivant – das Publikum muss sein Vergnügen haben. Mag sich Otto Brahm am Deutschen Theater mit Ibsen und Hauptmann unvergessen machen. Aber bei Alexander lacht Berlin. Trotzdem: Der Alexanderplatz ist nicht nach ihm benannt.

Zahllose Theater, Varietés, Lichtspielhäuser und Tanzpaläste bedienen um die Jahrhundertwende die Sucht der Massen nach Zerstreuung. Richard Alexander, geboren 1852 unter dem bürgerlichen Familiennamen Krähahn in der Charlottenstraße 74, wirkt mit Vergnügen mit. Mal spielt er den Major, der nach einer "Verletzung im tieferen Teil seines Rückens" nicht mehr sitzen kann, mal den überführten Ehebrecher, und immer johlt das Publikum, wenn er mit herabgelassenem Beinkleid auf der Bühne steht.

Auch Wilhelm zwo amüsiert sich prächtig, als er den Komödianten auf einer Jagdgesellschaft erlebt – und stellt ein Engagement am Königlichen Schauspielhaus in Aussicht. Der Kaiser sieht ihn schon als Falstaff.

Aber Richard Alexander bleibt dem Residenz-Theater treu – und wird 1904 Direktor. Zu viel des Guten. Bei der dreiunddreißigsten Wiederholung des Schwanks "Die Hochzeitsnacht" verschläft ein Schauspieler seinen Einsatz, Alexander erleidet einen "Nervenschock". Erholung ist ihm nicht vergönnt. Auf dem Weg in die ärztlich verordnete Kur erfährt er per Telegramm, "es hätte sich in Berlin das Gerücht verbreitet, ich wäre verrückt geworden und hätte mich ins Meer gestürzt", schreibt Alexander 1922 in seinen Erinnerungen. Der Totgesagte telegrafiert zurück: "Im Begriff nach Helgoland zu fahren, um etwas Seeluft zu atmen, erfahre ich soeben von meinem heute erfolgten Tod. Da ich es vorziehe, mich in Berlin begraben zu lassen, werde ich mich selbst dorthin überführen und lade alle Leidtragenden ein, am Donnerstagabend im Residenztheater zu erscheinen, wo die Beisetzung in feierlicher Weise stattfinden wird."

Tags darauf berichten die Zeitungen von seiner Auferstehung, ein "übervolles Haus" empfängt den Theaterdirektor, und „am Schluss der Vorstellung durfte ich die mir zugedachten Trauerkränze und Ruhmesgemüse in Empfang nehmen".

Der Beitrag ist die dritte Folge in unserer neuen Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit, die auf der letzten Seite unserer gedruckten Sonnabend-Beilage MEHR BERLIN erscheint. Sie ist leicht zu erkennen: Achten Sie auf die Überschrift in Fraktur! In der kommenden Woche lesen Sie dort: "Das Fräulein and the City"

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