zum Hauptinhalt
Papa, der Ratgeber. Eltern von erwachsenen Kindern müssen lernen loszulassen. Sie bleiben aber wichtige Wegbegleiter im Leben ihrer Kinder. Ein erfahrener Gesprächspartner auf Augenhöhe ist das, was die jungen Menschen am meisten brauchten.

© auremar - Fotolia

Zwischen 18 und Mitte 30: Die härtesten Lebensjahre überhaupt

Claus Koch hat vier Söhne zwischen 18 und Mitte 30. Jetzt hat der Psychologe ein Buch über das Erwachsenwerden geschrieben.

Mit 18 Jahren hat man es geschafft. Das Abitur ist in Reichweite, der gewünschte Studienplatz in Aussicht. Man darf seinen Führerschein machen, hat vielleicht schon das erste eigene Geld verdient. Demnächst wird man das Elternhaus verlassen und sich dann nie wieder in die eigene Lebensgestaltung reinreden lassen. Schließlich ist man jetzt erwachsen. Doch stimmt das? Und haben die Eltern ab Erreichen der Volljährigkeit gar keine Aufgabe mehr im Leben ihrer Kinder?
Eigentlich nicht. Denn die wirklichen Härten des Lebens mit zahlreichen Sinn- und Orientierungskrisen folgen erst nach dem Schulabschluss.

„Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen“, twitterte vor einiger Zeit die 17-jährige Schülerin Naina aus Köln und erfuhr dadurch bundesweite Aufmerksamkeit. Ihr Tweet wurde zehntausendfach geteilt. Offenbar konnten sich viele Menschen in die Schülerin hineinversetzten, sich an eigene Unsicherheiten in dieser Lebensphase zurückerinnern. Mittlerweile wird Naina bemerkt haben, dass die von ihr benannten Probleme nur Nichtigkeiten waren – und nichts mit den eigentlichen Herausforderungen zu tun haben, die ein junger Mensch in der Lebensphase zwischen 18 und 30 Jahren zu meistern hat.

Spätestens mit Mitte 20 muss man Verantwortung übernehmen

Mit 18 ist man so frei im Leben wie niemals zuvor. Gleichzeitig muss man lernen, was es bedeutet Verantwortung zu übernehmen. „Was dann folgt, ist der eigentliche Schritt zum Erwachsenwerden“, meint der Psychologe und Bindungsexperte Claus Koch. Gerade hat er ein Buch geschrieben mit dem Titel „Pubertät war erst der Vorwaschgang – Wie junge Menschen erwachsen werden und ihren Platz im Leben finden “. Es ist ein Ratgeber, der sich insbesondere an Eltern mit Kindern in dieser Lebensphase richtet – und ihnen bestens dabei hilft, sich an ihre eigene Jugend zurückzuerinnern, beziehungsweise sich in die Probleme ihrer Kinder hineinzuversetzen.

„Die Lebensspanne zwischen 18 und 30 Jahren trifft die jungen Menschen noch viel stärker als die Pubertät“, sagt Koch. Das sind die „härtesten Lebensjahre“ überhaupt. Denn in dieser Zeit entscheide sich, was tatsächlich aus einer Person wird. Welchen Weg sie einschlagen wird. Fehler und Niederlagen haben wesentlich weitreichendere Konsequenzen als in anderen Entwicklungsphasen. „In der Schulzeit kann man auch mal ein Jahr problemlos wiederholen, ohne dass sich das auf das spätere Leben auswirkt“, sagt Koch. Doch was, wenn man mit 26 merkt, dass man auf das falsche Studium gesetzt hat? Was, wenn die langjährige Beziehung zum Freund oder Freundin kurz vor dem 30. Geburtstag in die Brüche geht? Man doch eigentlich eine Familie gründen wollte.

„Spätestens mit Mitte 20 geht es darum, weitreichende Entscheidungen zu treffen“, sagt Koch. Die Eltern drehen langsam den Geldhahn zu. Plötzlich merken die jungen Menschen, dass das Leben, so wie sie es seit ihrer Kindheit gewohnt waren, ganz schön teuer ist. Selbst wer erfolgreich sein Studium abgeschlossen hat, merkt vielleicht erst jetzt, dass der hart erarbeitete Traumjob, nicht zum gewünschten Lebensstandard führt. Dass es nur wenig erfüllend ist, sich von Praktikum zu Praktikum zu hangeln. Und auch Entscheidungen in der Liebe können langfristige Konsequenzen mit sich bringen. Ganz anders als das noch im Teenageralter der Fall ist. Geht man von Beziehung zu Beziehung, oder sucht man sich einen Partner, mit dem man sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann?

In der Pubertät sei das alles noch ganz anders, erklärt der Psychologe. „Hier lebt man für den Augenblick “. Das Heute interessiert weitaus mehr als das Morgen. Die Schule und das Elternhaus bilden ein stabiles Netz, in dem man sich frei bewegen kann, aber immer gut aufgefangen wird, wenn es einmal schwierig werden sollte. „Man hat einen durchstrukturierten Tagesablauf, die Eltern finanzieren den Lebensunterhalt.“ In dieser Entwicklungsphase spiele vor allem die Frage „Wer bin ich?“ die entscheidende Rolle. Mit 18 ist die Identitätssuche noch nicht abgeschlossen, aber es kommen weitere Sinnfragen hinzu. Wohin will ich? Was erfüllt mich? Was ist das Ziel? Und nicht immer gehe es gut aus. Die einen scheitern bei der Berufssuche, die anderen in der Liebe.

Der Buchautor weiß, wovon er spricht

Und die Eltern? Die machen sich in solchen Momenten große Sorgen. Buchautor Claus Koch, selbst 65 Jahre, weiß, wovon er spricht. Er ist Vater von vier erwachsenen Kindern. Die drei Älteren sind um die 30, der Jüngste gerade 18 geworden. „Relativ problemlos konnte ich meine Söhne durch die Pubertät begleiten“, sagt er. Er merkte dann aber auch, dass die schwierigsten Krisen im Leben junger Menschen erst in den Jahren nach der Volljährigkeit folgten. Und viele Eltern gar nicht wüssten, wie sie damit umgehen sollten. Welche Rolle sie in dieser Phase einnehmen sollten?

Manche entwickelten sich jetzt erst recht zu Kontrolleuren, sogenannten Helicopter-Eltern. „Sie müssen lernen loszulassen, bleiben aber Ratgeber und wichtige Wegbegleiter im Leben ihrer Kinder“, sagt Koch. Ein erfahrener Gesprächspartner auf Augenhöhe sei das, was die jungen Menschen am meisten brauchten. Beim durchforsten der Literatur merkte der Sachbuchautor, dass sich die Psychologie bis auf wenige amerikanische Forscher, bisher kaum mit der Entwicklungsphase zwischen 18 und 30 Jahren beschäftigt hat. Es gibt neben einigen populärwissenschaftlichen Begriffen wie „Kidult“ auch keine einheitliche wissenschaftliche Bezeichnung für diese so prägenden Jahre, die Koch selber als Odysseus-Jahre oder Transitzone bezeichnet. Auch Ratgeber fand Koch keine, was ihn wunderte.

In der Popkultur gibt es reichlich Stoff über diese prägenden Jahre

Ganz anders sieht das nämlich in der Romanliteratur und Popkultur aus. Hier finde man überdurchschnittlich viel Stoff über diese bewegende Lebensphase, sagt Koch. „Fast jeder zweite Popsong handelt davon.“ Einerseits geht es um die grenzenlose Freiheit, die einem mit Anfang 20 widerfährt. „Those were the best days of my life“ singt beispielsweise Bryan Adams in seinem Lied „Summer of 69“. Andererseits trifft man auf die vielen Sinnkrisen, die exemplarisch für diese Zeit seien. Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ stehe für die dunkle Seite dieser Lebensphase. Der junge Goethe, damals ebenfalls Mitte 20, wusste vermutlich genau, wovon er erzählte.

Claus Koch schöpft für sein Buch allerdings weniger aus seinen eigenen Erfahrungen, sondern bündelt sämtliche vorhandene Quellen, zitiert vielfach aus Studien, manchmal auch aus Zeitungsartikeln. Außerdem sprach er mit 60 Frauen und Männern zwischen 18 Jahren und Anfang 30 sowie mit etwa 30 Teenagern. Wie definieren sie Erwachsensein? Welche Tugenden oder Ziele verbinden sie damit? Danach hat er jeden gefragt. Das interessante sei gewesen, dass zwar jeder seine eigene Definition dafür hatte, was Erwachsensein bedeute, sich aber alle darin einig waren, dass es darum gehe, „Verantwortung zu übernehmen“. Dies sei das entscheidende Kriterium für alle Befragten gewesen, sagt Koch.

Der Autor ist sich bewusst, dass es sich bei vielen Themen – wie der Arbeit oder der Liebe – auch um sehr normative Vorstellungen vom Erwachsensein handelt. Darf die Wissenschaft das überhaupt vorgeben? Ob man sich dazu entscheidet oder nicht, sei jedem selbst überlassen. Den Trend zur ewigen Jugend, den gebe es aber. Ein gesamtes Kapitel widmet Koch dem „Peter-Pan-Syndrom“, dem Verlangen danach für immer ein Kind zu bleiben. So mancher mag sich dieser Illusion hingeben. Doch das passiere nicht immer ganz freiwillig.

Immerhin zeigen Studien, dass mehr als 80 Prozent der 20- bis 39-Jährigen Kinder und eine Familie haben möchten, auch wenn das heutzutage nicht mehr gleichzusetzen ist mit dem Wunsch, auch zu heiraten. Auch finanzielle Unabhängigkeit sowie ein erfüllender Beruf sind den jungen Leuten sehr wichtig. Fest steht aber auch, die Generation Y lässt sich viel Zeit mit dem Erwachsenwerden. 40 ist ja bekanntlich das neue 30. Was aber manchmal eben auch wie eine Ausrede klingt. Die 26-jährige Laura, eine der Befragten, bringt die Problematik mit einem knappen Zitat in dem Buch auf den Punkt. „Erwachsensein kann schön sein, wenn es einem gelingt“. Und wer kann das tatsächlich von sich selbst behaupten?

DAS BUCH

In seinem Buch „Pubertät war erst der Vorwaschgang – Wie junge Menschen erwachsen werden und ihren Platz im Leben finden“ beschreibt und analysiert der Psychologe und Bindungsexperte Claus Koch die wichtige Entwicklungsphase zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr. Er zeigt, dass in dieser Lebensspanne ganz andere Aufgaben anstehen als in der Pubertät und gibt Eltern Tipps, wie sie ihre Kinder in dieser Zeit sinnvoll unterstützen können.Das Buch erscheint im Gütersloher Verlagshaus und kostet 19,99 Euro.

LESUNG MIT GESPRÄCH
Am kommenden Montag, 28. November, stellt Claus Koch sein Buch in Berlin vor. Um 19 Uhr in der Galerie Schmalfuß (Knesebeckstraße 96) in Charlottenburg. Im Anschluss diskutiert er mit dem Erziehungswissenschaftler und Publizisten Micha Brumlik über die Fragen des Erwachsenwerdens und wie Eltern ihre Kinder in dieser Zeit begleiten können.

Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung wird gebeten unter: ms@schwindkommunikation.de.

Zur Startseite