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Zweckentfremdung in Berlin: Bundesgerichtshof stärkt Mieter bei Kündigungen auf Eigenbedarf

Langjährige Mieter dürfen nicht einfach aus ihrer Wohnung geworfen werden - erst recht nicht mit einer beruflichen Begründung. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Vermieter, die in einer Wohnung ihr Geschäft betreiben wollen und allein deshalb wegen Eigenbedarfs kündigen, werden künftig sehr gute Gründe brauchen, um Mietverträge kündigen zu können. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am gestrigen Mittwoch die Möglichkeiten für Eigenbedarfskündigungen aus beruflichen Gründen deutlich eingeschränkt. Der Wunsch Büroräume zu vergrößern oder Archivräume zu schaffen, genügt in aller Regel nicht.

Im konkreten Fall ging es um eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in Charlottenburg. Die Wohnung war seit 1977 an einen Mann vermietet. Nach einem Eigentümerwechsel infolge einer Zwangsversteigerung der 27 Quadratmeter großen Wohnung kündigte die neue Vermieterin einige Jahre später. Ihr Ehemann führte im gleichen Anwesen seit vielen Jahren ein Beratungsunternehmen – und wollte es erweitern. Ihr Mann benötige dringend einen weiteren Arbeitsplatz sowie Archivräume für die Akten, lautete die Begründung für die Eigenbedarfskündigung des Wohnungsmietvertrages.

Das Interesse des Mieters wiegt schwerer

Das Amtsgericht und das Landgericht Berlin beurteilten die Eigenbedarfskündigung an sich für berechtigt, lehnten die Herausgabe der Wohnung jedoch aus anderen Gründen ab. In Berlin gilt inzwischen nämlich ein Zweckentfremdungsverbot. Weil Wohnraum nicht für die gewerbliche Nutzung umgewandelt werden dürfe, sei die Räumung abzulehnen. Der Fall ging in letzter Instanz zum BGH.

Dort ging es am Mittwoch in der mündlichen Verhandlung zwischen den beiden Anwälten hin und her. Während der Vertreter der Vermieter betonte, dass die Eigenbedarfskündigung nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH berechtigt sei, verwies der Vertreter des Mieters auf einen „Keller, in dem die Akten genauso gut gelagert werden können“. Der Kündigungsgrund des Eigenbedarfs sei daher nicht gegeben.

Drei Fallgruppen mit verschiedenen Ansprüchen

Zur Überraschung auch der BGH-erfahrenen Anwälte nahm der Mietsenat den Fall nun aber zum Anlass, die Maßstäbe für Eigenbedarfskündigungen aus beruflichen Gründen neu zu fassen. Die Vorsitzende Richterin Karin Milger sagte während der mündlichen Verhandlung, die Rechtsprechung des BGH sei von vielen Gerichten missverstanden worden. Sie übte aber auch Selbstkritik. Die Rechtsprechung des Hauses sei missverständlich gewesen. Denn das Gericht habe in einem früheren Urteil erklärt, ein Vermieter, der aus beruflichen Gründen Eigenbedarf anmelde, habe das Grundgesetz auf seiner Seite. Das Grundrecht der Berufsfreiheit schütze auch Eigenbedarfskündigungen zu geschäftlichen Zwecken. So pauschal soll das nicht mehr gelten oder verstanden werden. Nun bildete der BGH drei Fallgruppen.

Gruppe eins: Wenn ein Vermieter oder seine Familienangehörigen eine Wohnung selbst bewohnen wollen, so besteht ein berechtigtes Interesse und der Mieter muss weichen. Eigenbedarfskündigungen sind in solchen Fällen also in der Regel wirksam. Ausnahme: Es liegt ein außergewöhnlicher Härtefall auf der Mieterseite vor, wie schwere Krankheit oder Selbsttötungsgefahr.

Gruppe zwei: Wenn ein Eigentümer kündigt, weil er bereits im Haus wohnt und die gekündigte Wohnung zusätzlich beruflich nutzen will, wird von einem Mischverhältnis gesprochen. Hier genügt es laut BGH in aller Regel, wenn der Vermieter nachvollziehbare und vernünftige Gründe benennen kann. Etwa, dass er oder sein Partner Lebens- und Arbeitsmittelpunkt zusammenlegen wollen.

Gruppe drei: Geht es jedoch allein um die Nutzung der Wohnung zu geschäftlichen Zwecken, ohne dass bereits die eigene Wohnung im Anwesen liegt, muss der Vermieter besondere Nachteile benennen, die ihm andernfalls drohen. Er muss auf die Wohnung angewiesen sein, weil sonst der Geschäftsbetrieb unrentabel würde oder er wegen gesundheitlicher Einschränkungen diese Wohnung für die Berufsausübung benötigt.

Mieter haben Schadenseratzansprüche, wenn Vermieter Eigenbedarf vorgetäuscht haben

Diese Voraussetzungen sah der BGH im aktuellen Berliner Fall nicht gegeben. Es sei nicht ersichtlich, dass die Auslagerung von Akten in entfernter liegende Räumlichkeiten wirtschaftliche oder organisatorische Nachteile von Gewicht mit sich bringen würde.

Die zweite Frage, ob das in Berlin und auch anderen Großstädten geltende Zweckentfremdungsverbot gewerbliche Eigenbedarfskündigungen verhindert, hat der BGH nicht entschieden. Denn da bereits die Eigenbedarfskündigung nicht gerechtfertigt war, kam es hierauf nicht an. (Aktenzeichen: VIII ZR 45/16)

Ob das Urteil die Mieterrechte stärkt oder nur die sehr starke Rechtsstellung der Vermieter bei Eigenbedarfskündigungen wieder etwas zurücknimmt, wird nun die Praxis zeigen. In einem zweiten Urteil hat der BGH am Mittwoch jedenfalls betont, dass Mieter hohe Schadensersatzzahlungen verlangen können, wenn der Eigenbedarf nur vorgetäuscht war. Anlass des Urteils war die Eigenbedarfskündigung für einen Hausmeister. Der zog aber nach Auszug der bisherigen Mieter nicht ein, weil er Knieprobleme hatte und die Wohnung im dritten Stock dann doch nicht wollte. Diese Begründung ist laut BGH nicht nachvollziehbar. Dem verdrängten Mieter stehe Schadenersatz zu. (Aktenzeichen: VIII ZR 44/16)

Eine Zusammenfassung zum Zweckentfremdungsverbot und der Ausgangslage in dem strittigen Fall lesen Sie hier.

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