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Die zwangsweise Räumung der Wohnung kann vermieden werden. Es gibt viele Beratungsstellen, die bei Mietschulden helfen.

© Tagesspiegel, Kitty Kleist-Heinrich

Zwangsräumung: Erst aus der Bahn, dann aus der Wohnung geworfen

Von Zwangsräumung Betroffene nehmen oft keine Hilfe an. Dabei sind viele Hilfsangebote vorhanden. Unterdessen ist Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Messerstecher aus der Simon-Dach-Straße erlassen worden - wegen versuchten Mordes.

Eine Zwangsräumung ist vermeidbar - davon sind Beratungseinrichtungen und Sozialämter überzeugt, denn es gibt ein engmaschiges Netz an Hilfseinrichtungen. Diese müssen aber die Menschen erreichen.

Bei der Wohnungslosenhilfe der Diakonie hat man die Erfahrung gemacht, dass viele Betroffene mit ihren Problemen nicht klarkommen, die Augen verschließen und Briefe gar nicht mehr öffnen. So erreichen sie dann weder die Schreiben der Sozialämter noch die Fristen des Gerichts. Denn selbst wenn bereits ein Räumungstitel vorliegt, kann dagegen vorgegangen werden. Im entsprechenden Beschluss wird dem Mieter auch eine angemessene Frist gewährt, in der er die Wohnung zu verlassen hat.

Auch das Sozialamt kann durchaus bei Mietschulden helfen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden laut Sozialverwaltung knapp 2500 der 5000 beantragten Mietschuldenübernahmen bewilligt.

Über Einzelheiten im Fall von Roland W., der am Montag auf sein Vermieterehepaar kurz vor dem Räumungstermin eingestochen hatte, wollten Polizei und Staatsanwaltschaft gestern keine Angaben machen; die Gründe für die Räumung sind nicht bekannt. Wie berichtet hatte der 51-Jährige in der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain auf seine Vermieter eingestochen. Dabei erlitt vor allem der 66-jährige Mann schwerste Verletzungen, so dass er am Dienstag noch nicht außer Lebensgefahr war. Der Zustand der gleichaltrigen Ehefrau sei mittlerweile stabil, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft mit.

Gegen Mieter Roland W. erging am Dienstag Haftbefehl – wegen versuchten Mordes. In der Vernehmung habe der Mann sich geäußert.

Er hatte am Montag gegen 9.30 Uhr vor der geplanten Zwangsräumung das Ehepaar im Flur abgepasst, ein Messer gezückt und auf den Mann und die Frau eingestochen. Zudem hatte er Feuer in seiner Wohnung gelegt und alle Wasserhähne aufgedreht. Die Gerichtsvollzieherin war etwas später hinzugestoßen und erlitt einen Schock, als sie von der lebensgefährlichen Attacke auf die beiden Vermieter erfahren hatte.
Zwangsräumungen treffen nach Erfahrungen des Mietervereins in der Regel Menschen, die keinerlei Beratung suchen. Sobald ein Mieter zwei Monate lang die Mietzahlungen ausgesetzt hat, kann ein Vermieter die Räumung beim Gericht beantragen. Das Bestreben der Behörden geht dahin, den zwangsweisen Verlust der Wohnung zu vermeiden, sagt Regina Kneiding von der Senatsverwaltung für Soziales.

In jedem Fall unterrichte das Gericht, sobald es über einen Räumungstitel entscheiden soll, das zuständige Sozialamt. Dieses versucht dann Kontakt mit den säumigen Mietern aufzunehmen, um die Räumung abzuwenden. Normalerweise geschieht das schriftlich.

Es kämen fast immer mehrere Faktoren zusammen, dass jemand so aus der Bahn geworfen wird und dann seine Wohnung durch eine Zwangsräumung verliert, heißt es bei den Experten der Diakonie: etwa der Verlust der Arbeit, Überschuldung, psychische Probleme, Tod eines Partners oder fehlende soziale Kontakte. „Bis zur Räumung ist es ein langer Weg. Wir haben vielfältige Beratungsangebote. Die Menschen müssen die Hilfe jedoch auch wollen und annehmen“, sagt Diakoniedirektorin Susanne Kahl-Passoth. „Die zunehmende Wohnungsnot in Berlin bringt aber mehr und mehr Menschen in Bedrängnis. Entgegenwirken muss der Senat vor allem mit sozialem Wohnungsbau.“

Reiner Wild vom Mieterverein rechnet damit, dass aufgrund der Mietenentwicklung immer mehr Menschen Probleme haben werden, ihre Wohnungen zu bezahlen, und so in existenzielle Schwierigkeiten kommen.

Auch nach den seit dem Sommer geltenden, neuen Richtwerten des Senats für Hartz-IV-Mieten lebten rund 70000 der 320000 Bedarfsgemeinschaften in zu teuren Wohnungen, sagt Wild. Oftmals müssten sie die Mehrkosten aus ihren Leistungen für den täglichen Lebensbedarf bestreiten.

„Viele leihen sich auch Geld. Eine Dauerlösung darf das nicht sein“, sagt Wild. Wie Regina Kneiding von der Senatssozialverwaltung sagte, wurden im vergangenen Jahr zwar rund 61000 Hartz-IV-Haushalte dazu aufgefordert, ihre Mietkosten zu senken. Umziehen mussten aber 2011 nur 1313 Bedarfsgemeinschaften. Bis zum 18. Juli dieses Jahres gab es insgesamt 460 Zwangsumzüge.

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