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Al-Quds-Demonstranten im vergangenen Jahr in Berlin.

© REUTERS

Zum Al-Quds-Tag: "Antisemitismus ist Alltag für einen Teil der Muslime"

Unsere Autorin, eine junge Muslima, engagiert sich gegen Judenhass und beobachtet: Jene, die voreingenommen sind, schreien am lautesten nach Toleranz. Ein Gastkommentar.

Im Iran ist er ein gesetzlicher Feiertag, wird als Massendemonstration gegen Israel verstanden und auch in Berlin von Tausenden genutzt, um mit beschämendem Unmut auf die Straßen zu gehen – der Al-Quds-Tag. Unter dem Deckmantel palästinensischer Solidarität und Kritik an der israelischen Politik wird Hass genährt, generalisierende Parolen und aggressive Militanz gegen eine ganze Religionsgruppe skandiert. „Stoppt den Krieg!“ rufen die Leute und wünschen im selben Atemzug einem gesamten Land den Tod. Es gilt: Wer sich um das Wohl der Palästinenser sorgt, wer die Politik Israels kritisiert, der muss dem Land gleich sein gesamtes Existenzrecht absprechen.

Ich war mir der Dimensionen des Antisemitismus gerade in Teilen meiner eigenen Community nie bewusst, bis ich persönlich Zeugin davon wurde. Im Workshop für eine Schulklasse, der von der Salaam-Shalom-Initiative ausging, führten wir gemeinsam als Muslime und Juden eine Gesprächsrunde, in der sich der allgemeine Judenhass der Schüler schnell offenbarte. Viel wurde meiner jüdischen Freundin vorgeworfen, es kamen Fragen nach Kriegsverbrechen und Ungerechtigkeiten. Es war erschreckend.

Seit knapp einem Jahr bin ich Mitglied von Salaam-Shalom, einer Gruppe bestehend aus Juden und Nicht-Juden, Muslimen und Nicht-Muslimen, die sich für den Dialog zwischen beiden Religionsgruppen starkmachen und sich für Solidarität unter Minderheiten einsetzen. Bei Kundgebungen, Veranstaltungen und Workshops gegen Juden- und Muslimenhass stand ich auch mit jüdischen Aktivisten für dieselben Prinzipien ein; ich schloss gute Freundschaften und machte inspirierende Bekanntschaften.

Allzu oft wird das Wort "Jude" als Beleidigung verwendet

Immer stärker aber bemerkte ich den Antisemitismus um mich herum. Ich sehe und erlebe ihn und bin entschlossen, darüber zu sprechen. Der Hass greift tiefer, als ich vermutete. Dass ich mit Juden zusammenarbeite, zusammen lache und gleiche Ziele anstrebe, ist einem Teil meines Umfeldes erschreckend zuwider. Häufig wird dies mit zusammenhangslosen, vermeintlich islamischen Argumenten versucht zu untermauern, obwohl doch meine Denkart aus dem Islam herrührt. Oft versuchten mir Leute weiszumachen, dass es gefährlich sei, sich mit Juden zu verbünden, man könne und dürfe ihnen als Muslim nicht vertrauen. Allzu oft erlebe ich, dass das Wort „Jude“ als Beleidigung verwendet wird.

Selbst Freunde warfen mir Verrat vor, an wem oder was, konnte mir niemand so richtig sagen. Ob ich keinen Respekt vor dem palästinensischen Widerstand hätte, kein Mitgefühl. Als würde der Nahostkonflikt den Judenhass irgendwie rechtfertigen. Angebliche Empathie bemäntelt ausschließende Ideologien: Denn die gleiche Empathie gilt nicht für die anderen.

Antisemitismus ist Alltag für einen Teil der Muslime

Selbstverständlich ist der Antisemitismus nicht in der islamischen Glaubenslehre verankert. Doch ist er Alltag für einen Teil der Muslime, den man angehen muss. Oft erwarten genau die Leute, die noch nie mit Juden zu tun hatten, dass ich mich ihrem Judenhass anschließe – einfach, weil ich Muslima bin. Bewegt man sich leicht aus dem Muster, gilt man als Verräterin. Dieselben Leute, die allen Juden mit Voreingenommenheit, wenn nicht einer eingebrannten Aversion begegnen, rufen oft am lautesten nach Toleranz für die eigenen Reihen.

Ich kannte keine Juden persönlich, hatte keine jüdischen Freunde, bewegte mich nie innerhalb der jüdischen Community. Gelegenheiten gab es genug: Die Synagogen stehen offen, zur Kreuzberger Synagoge am Fränkelufer ist es eine halbe Stunde. Aber ich hätte auch dann gegen Antisemitismus sprechen müssen, als ich noch keinen Juden und keine Jüdin meine Freunde nennen konnte. Antisemitismus bedient sich derselben Mittel wie Islamophobie. Und wie beim Muslimenhass hilft die persönliche Begegnung.

Viele der Teilnehmenden der Al-Quds-Züge sind junge Leute. Muslimische Jugendliche, die vermutlich noch nie ein längeres Gespräch mit einer Person jüdischen Glaubens führten, nicht an einem Tisch mit ihr saßen, das Essen teilten. Ihnen wird meist eine Abneigung indoktriniert, die sie annehmen, ohne sie zu hinterfragen. Die Gefahr beim Kollektivdenken besteht genau darin. Kategorisierte Menschen werden nicht mehr als Einzelpersonen wahrgenommen. Das ist Gift für unsere Gesellschaft, ein offener Dialog ist das wohl effektivste Gegenmittel. Und für diesen Dialog sind Initiativen wie Salaam-Shalom und deren Arbeit essenziell.

Büsra Delikaya

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