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Ein Unort soll verschwinden. Esther Borkam und Ulf Mann haben für den Platz viele Ideen gesammelt. Am Aktionstag soll es mit der Umgestaltung losgehen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wrangelkiez: In Kreuzberg soll ein Platz der Begegnung entstehen

Ein Schmuddelort im Berliner Wrangelkiez soll zum Treffpunkt werden – und die Nachbarschaft nachhaltig stärken.

Eine abgesoffene Jeanshose dümpelt in der Pfütze vor sich hin, Reste eines Lagerfeuers daneben. Ein paar Meter weiter sitzt ein Mann mit zerzaustem blonden Haar auf einer Bank, eine Bierflasche zu seinen Füßen, daneben ein Edeka-Lagertrolley mit diversen Plastiktüten.

Es ist ein sonniger Mittag auf dem Platz ohne Namen im Wrangelkiez, die Luft steht, Mückenwolken tanzen über dem Wasser. Gegenüber, auf der anderen Seite der Falckensteinstraße, stehen Mütter mit ihren Kindern beim Eisladen an, junge Menschen sitzen vor schicken Cafés, essen Kuchen zum Caffè Latte.

„Was würden Sie hier haben wollen, wenn Sie den Platz frei gestalten könnten?“

Die Bäume werfen einen kühlenden Schatten auf den Platz, es ist ein ruhiger Ort, der eigentlich zum Verweilen einlädt. Dennoch sitzt hier kaum jemand, er ist nur Durchgangsweg zum Spielplatz, zum Familien- und Nachbarschaftszentrum auf der anderen Seite des Platzes oder zur Cuvrystraße.

Eine Kita-Gruppe, gezogen von zwei Kindergärtnerinnen, marschiert händchenhaltend vorbei, etwas später kommt ein Nachbar mit seinem Hund. „Was würden Sie hier haben wollen, wenn Sie den Platz frei gestalten könnten?“, fragt Esther Borkam vom Familien- und Nachbarschaftszentrum Wrangelkiez. „Was Besseres“, sagt er. „Dass die Fixer und Dealer hier weggehen.“

„Harald-Juhnke-Platz“

Die Sozialarbeiterin Borkam ist da etwas diplomatischer. Die Gruppe junger Männer auf der Parkbank schräg gegenüber, von denen ein süßlich duftender Rauch ausgeht, kommt wohl aus dem Görlitzer Park, vermutet sie. Was die Obdachlosen, die hier abends oft Feuer machen und trinken, angeht, ist sie ebenfalls zurückhaltend: „Hier halten sich abends sehr viele Leute auf, suchen sich Möbel aus allen Ecken zusammen, machen Lagerfeuer.“

Die abendlichen Aktivitäten trugen dem Platz den Spitznamen „Harald-Juhnke-Platz“ ein.

Der Spielplatz wird zweckentfremdet

Dazu kommen Besucher, die den Spielplatz zweckentfremden. Borkam erinnert sich an eine Gruppe von Junggesellen, die um acht Uhr morgens mit ordentlich Restalkohol die Spielgeräte auf dem angrenzenden Spielplatz besetzte. „Das ist natürlich nicht Sinn der Sache.“

Deshalb fühlen sich die Nachbarn hier nicht wohl, wollen nicht zum Plauschen herkommen oder ihre Kinder hier spielen lassen. Das soll sich jetzt ändern: Beim Aktionstag „Gemeinsame Sache“ soll am Freitag, dem 8. September, von 14 bis 19 Uhr der Grundstein gelegt werden für die Umgestaltung des Areals.

Esther Borkam sammelt gemeinsam mit Anwohnern Ideen

Bei einem Workshop sammelte Esther Borkam gemeinsam mit Anwohnern Ideen für die Verschönerung: mehr Sitzgelegenheiten, Hochbeete und ein Verkehrsparcours „für mutige Kinder“ stehen auf der Wunschliste. Auch die Herren mit den Bierflaschen fragte Borkam, wie sie sich den Platz vorstellen: Waschgelegenheiten wären schön, denn bisher benutzen sie meist die Wasserpumpe am Spielplatz.

Öffentliche Toiletten wünschen sich auch die Nachbarn. Eine Sammelstation für Flaschen wurde angeregt und eine kleine Bühne, dann könnte es auch Musik und Theaterkunst geben. Dazu würde eine Tanzfläche passen.

Eine Speaker’s Corner wie im Hyde Park?

„Dafür bin ich aber zu alt“, sagt Ulf, ein Anwohner und selbst ernannter Kiezaktivist. Er kümmert sich täglich um die Give-Box, einen Schrank am Durchgang zwischen Familienzentrum und Platz, in dem Anwohner und Vorbeigehende Dinge tauschen können.

Im Vorbeigehen reißt er einen Zettel ab; schon wieder hat jemand die Tauschstation mit einem Gesuch beklebt. Er verfolgt die Pläne interessiert: Eine Speaker’s Corner wie im Hyde Park hätte er gerne. Auch bei der Idee mit den im Boden eingelassenen Trampolinen ist er sofort dabei.

Ein Kiez, der von der Gentrifizierung besonders betroffen ist

Die Vorschläge aus der Nachbarschaft sind zahlreich, ist das Familien- und Nachbarschaftszentrum doch ein Anlaufpunkt für verschiedenste Gruppen inmitten eines Kiezes, der von der Gentrifizierung besonders betroffen ist. Siebzehn Jahre lang gab es hier ein Quartiersmanagement, aber erst nach dessen Auslaufen begannen die Anwohner, sich wirklich aktiv zu engagieren und die geschaffenen Strukturen weiterzuentwickeln, erzählt Borkam.

„Platz der Begegnung“

Statt den Platz nur aufzuhübschen und die Obdachlosen zu vertreiben, will sie das Nischenhafte wiederherstellen und allen Nutzern Platz bieten. „Platz der Begegnung“ ist ihr Lieblingsvorschlag aus der Sammlung der Platznamen, die beim Nachbarschaftstreffen auf große Flipchart-Bögen geschrieben wurden. „Platz der Lebensfreude“, steht da, „Ronja-Räubertochter-Platz“ oder „Bizim Platz“, also „unser Platz“, eine Anspielung auf die im Wrangelkiez gegründete Anti-Räumungsinitiative „Bizim Kiez“, die sich für den Erhalt eines Gemüseladens im Kiez einsetzte.

Das Engagement für den Kiez ist stark

Für die Verschönerung des Platzes ohne Namen haben die Anwohner bereits eine Spende bekommen. Läden aus dem Kiez würden sich auch beteiligen, meint Borkam und setzt die Optimismusbrille auf: „Der Zusammenhalt und das Engagement für den Kiez und den Platz sind sehr stark – das ist vielleicht das einzig Positive an der Gentrifizierung.“

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